THEATER: „Wir leben in vielen Scheinwahrheiten“

In „Vollmondbetrachtungen“ geht es um das Zusammentreffen zwischen einem Lehrer, der sich als Frau fühlt, und einem Jugendlichen. Eine Schuldirektorin und ein Sportlehrer geben die Wächter der Moral. Dabei entsprechen deren sexuelle Vorlieben auch nicht gerade der Norm. Was aber ist „normal“? Jean-Paul Maes über seine Rolle als Transsexuelle(r) und die Entstehung des Stücks …

Zwei von der Gesellschaft Ausgegrenzte: Lehrer Cornelius (Jean-Paul Maes), nachts „Conny“ und Andreas (Timo Wagner) begegnen sich bei Vollmond auf einer Parkbank.

woxx: Ihr Stück kreist um Transsexualität. Sie spielen darin einen Lehrer, der sich „im falschen Körper“ als Frau fühlt. Wie sind Sie auf das Thema gekommen? Wie und wann kam Ihnen die Idee zu dem Stück?

Jean-Paul Maes: Die Idee hatte ich schon vor Jahren, als ich ein Drehbuch zu dem Thema geschrieben habe. Eine sehr liebe Freundin von mir ist transident. Ich lernte sie erst als Frau kennen, sie war aber vorher ein Mann. Mich interessieren immer Menschen, die abseits dessen stehen, was man „Normalität“ nennt. Ich habe damals ein Drehbuch zu diesem Thema geschrieben. Mit Samsa-Film haben wir es erarbeitet, aber es wurde vom Luxemburgischen Filmfonds abgelehnt. Das ist jetzt drei Jahre her. Ich war verbittert über diese Ablehnung. Dann kam mir, weil ich das Thema nicht einfach fallenlassen wollte, die Idee, ein Stück, das völlig anders ist als das Drehbuch zu schreiben.

Wie kam es dann zur Besetzung?

Neve Nöthing ist ein Schauspieler, mit dem ich nun das vierte Mal spiele und er hat auch schon mit Eva Paulin, meiner Frau, zusammengearbeitet. Ich kenne ihn schon sehr lange. Er ist ein alter Weggefährte. Den Regisseur Klaus Dieter Köhler kenne ich aus seiner Trierer Zeit. Dort war er Schauspieldirektor, er brachte die Schauspielerin Irmgard Hetz mit, die übrigens eine Studienkollegin von Neven Nöthig ist. Und der junge Mann, Timo Wagner, ist einer meiner begabtesten Schüler am Escher Konservatorium, wo ich auch Schauspiel unterrichte.

Was ist Ihr Hauptanliegen? Verfolgen Sie mit dem Stück in erster Linie ein pädagogisches Ziel?

Ich wollte die Welt vor allen Dingen aus dem Blickwinkel der anderen betrachten. Derjenigen, die ausgrenzen. Wir haben ja in diesem Jahr beim Kaleidoskop-Theater „Ausgrenzung“ als Thema, und hier steht der Ausgegrenzte im Mittelpunkt, also wie er von den Ausgrenzenden – und das ist vor allem der Sportlehrer Meyer – angesehen wird. Doch auch die anderen grenzen aus. Die Frau Direktor, die das alles nicht wahrhaben will. Die Meyer gar vorschlägt, es am besten für sich zu behalten. Das Stück ist nicht nur ein Stück über Transsexualität. Es ist insgesamt ein Stück darüber, dass man sehr vieles vor sich verbirgt. Ja, es ist die Frage nach der Wahrheit, und wir leben oft in sehr vielen Scheinwahrheiten. Vielleicht ist jemand, der in einem anderen Geschlecht lebt, als in dem, auf das er bei der Geburt festgelegt wurde, noch am wenigsten jemand in einer Scheinwahrheit …?

„Ich wollte die Welt vor allen Dingen aus dem Blickwinkel der anderen betrachten. Derjenigen, die ausgrenzen.“

Das Geschlecht weiblich oder männlich wird ja oft recht schnell nach der Geburt zugeordnet …

Wobei man ja auch zugeben muss, dass die Natur eigentlich schon einteilt in „Mann“ und „Frau“. Aber manchmal fühlt jemand nun einmal anders. Und jeder Mensch soll ja so leben, wie er sich fühlt und wie er empfindet.

Wie vermeiden Sie es in dem Stück, in Klischees abzugleiten? Indem Sie gerade auf Klischees setzen?

Nein, Klischees sind es direkt nicht. Ich habe beim Schreiben manchmal gedacht, dass die Figur des homophoben und christlich-konservativen Kollegen Meyer vielleicht übertrieben ist. Aber diese Typen gibt es! Ich spiele ja den Lehrer Cornelius, der als Frau auftritt. Und ich hatte vor dem ersten Auftritt schon Bedenken, dass die Zuschauer lachen könnten. Tat aber keiner. Man hat mir dann nachher gesagt: „wir haben Dich gar nicht erkannt“. Und das nehme ich als Kompliment.

Was war das für eine Erfahrung: einen Mann zu spielen, der sich als „Frau“ fühlt? Wovon haben Sie sich inspirieren lassen?

Ich versuche immer, wenn ich mir eine Rolle erarbeite, mich hineinzufühlen, und man muss beobachten, wie sich Frauen bewegen. Das ist das Spannende daran. Es ist schön. Ich spiele diese Rolle sehr sehr gern.

Wie kommt es, dass „Trans- und Intersexualität“ in Luxemburg bisher noch kaum künstlerisch behandelt, geschweige denn szenisch umgesetzt wurden? Mit Ausnahme eines Gastspiels im Kapuzinertheater vor etwa drei Jahren, in der Dominique Horwitz die Transsexuelle Charlotte von Mahlsdorf spielte …

Ich glaube, das ist nicht nur in Luxemburg so. Ein kleines Berliner Theater hatte sich für mich als Autor interessiert. Ich schickte ihnen „Vollmondbetrachtungen“, und aus ihrer Antwort ergab sich klar, dass sie das Stück gar nicht verstanden hatten. Und das war ein Berliner Theater! Wieso dieses Thema in der Kunst nicht weiter verarbeitet wird? Ich habe es jetzt einmal versucht. Es ist sicherlich kein Thema, was einem so auf der Feder liegt. Es gibt ja auch Menschen, die gar nicht wissen, dass es das gibt. Was mir Freude gemacht hat bei der Premiere und auch jetzt, sind die Resonanzen, die ich bekommen habe. Das finde ich so wunderbar, denn in einigen Teilen Europas – gerade in Osteuropa – muss man mit allem rechnen, wenn man als Mann in Frauenkleidern auf die Straße geht.

Vollmondbetrachtungen – deutschsprachige Uraufführung. Am 9. (17h30), 11., 12. und 13. Februar sowie am 20., 21. und 22. März um 20h im Bettemburger Schloß.


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