STYLIANOS SCHICHO: Im Visier

Das Motto der Ausstellung „In the Mean/Time“ in der Galerie Clairefontaine ist Programm. Stylianos Schichos großformatige Tableaus künden von der allgegenwärtigen Überwachung und wirken beklemmend nach.

Die Nachrichten um die Bespitzelung durch die NSA überschlagen sich und gehören 30 Jahre nach 1984, dem Jahr, in das George Orwell die Handlung seiner berühmten Utopie eines Überwachungsstaates verlegte, längst zum Alltag. 2009 publizierten die Schriftsteller Juli Zeh und Ilja Trojanow mit „Angriff auf die Freiheit“  gewissermaßen eine Kampfschrift gegen den Überwachungsstaat. Aber nicht nur der Literaturbetrieb scheint das Thema für sich entdeckt zu haben. Mittlerweile empören sich weite Kreise der Zivilgesellschaft, Künstler und Intellektuelle über die Bespitzelung. Vor kurzem gestand selbst der einst so gehypte Super-Blogger Sascha Lobo in einem großen Essay zerknirscht ein, er habe die Gefahren des Internets verkannt.

Der österreichische Künstler Stylianos Schicho scheint diesen Trend schon früh erahnt zu haben – das „Beobachtet werden“ zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Es sind seine großformatigen Tableaus, Acrylgemälde und Kohlezeichnungen, die das Phänomen „der Überwachung“ auf eindringliche Weise wiedergeben. Übergroße Gesichter mit weit aufgerissenen Augen springen einem aus Schichos Bildern geradezu entgegen. Seine Figuren vermitteln Angespanntheit und Angst; man vermeint geradezu, ihren weit aufgerissenen Augen das Wissen um die allgegenwärtige Überwachung ablesen zu können. Die Porträtierten sind oft Freunde und gute Bekannte – häufig entdeckt man auch das Gesicht des Künstlers; es sind überdimensionale Gesichter, denen durch die gedeckten Pastell-Farben und die zum Teil unvollständige Ausfüllung der Kohlekonturen etwas Transparentes anhaftet. So wirken sie wie gläserne Menschen: unwirklich und beklemmend. Kohle sei seine Disziplin, meint Schicho, der immer erst den Kohlestift ansetzt – selbst, wenn er die Skizze später wieder übermalt und dabei etwas komplett Neues hervorbringt. Schichos Bildsprache ist gerade deshalb so faszinierend, weil der Betrachter sich stets auch selber durch die Figuren der Bilder observiert fühlt. „Wer spioniert hier wen aus?“, scheint der Künstler zu fragen.

„Ich interessiere mich für die Art und Weise, wie wir Informationen konsumieren. Die Flut, die täglich über uns hereinbricht, und dass heutzutage eben alles gleichzeitig passiert“, sagt Schicho. Als Reaktion diagnostiziert er eben jene Emotionslosigkeit, die seinen Figuren eigen ist. Der Name der Ausstellung „In the Mean/Time“, seiner mittlerweile zweiten Schau in der Galerie Clairefontaine, kann damit programmatisch verstanden werden. Denn in der Zwischenzeit geschieht das Leben. „Mean“ drückt aber auch das Gemeine und Tückische der allgegenwärtigen Bedrohung aus.  Smartphones und technische Geräte verweisen in den Bildern ebenfalls auf Informationsüberflutung und Überwachung. Und dann sind auf den förmlich herangezoomt wirkenden Tableaus auch immer wieder Tiere oder zu Tieren verfremdete Menschen wie Katzen, Affen oder eine Libelle zu finden. Es sind Chiffren für Wesen, die in mehreren Welten zu existieren scheinen.

Medienwirksamkeit ist ihm sicher. Der 1977 in Wien geborene Künstler, der dort von 1998 bis 2005 an der Universität für angewandte Kunst studierte, hat einen Teil seiner Werke bereits 2011 im CAPe in Ettelbrück ausgestellt. Vor kurzem erst belegte Schicho bei einer öffentlichen Ausschreibung in Wien den ersten Platz. Eines seiner Bilder wird künftig als Megaboard „Art Wall“ an einer Autobahnausfahrt in Wien zu sehen sein. – Als öffentliches Kunstwerk und Fanal gegen die Überwachung in einem. So wird auch älteren Generationen bewusst, dass wir im 21. Jahrhundert ständig unter Beobachtung stehen. Privatsphäre? Das war einmal!

Bis zum 15. März in der Galerie Clairefontaine, Espace 2.


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