Worum geht es beim Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP? Erste Runde des Diskussionsprozesses in der Chamber.
„Abkommen wie das TTIP sind wie Graf Dracula: Wenn sie ans Tageslicht kommen, dann zerfallen sie zu Staub.“ Mit dieser Aussage wollte der Déi-Lénk-Abgeordnete Justin Turpel am vergangenen Dienstag darauf hinweisen, dass über das Abkommen bisher im Verborgenen verhandelt wurde. Seine Partei hatte die Aktuelle Stunde zum TTIP beantragt.
Amerikanisches Hormon-Rindfleisch, chlorierte Hähnchen und genveränderte Organismen könnten frei importiert werden, so lautet eines der schlagkräftigsten Argumente der TTIP-Kritiker. Doch Turpel ging weiter und wies darauf hin, dass die USA vielen internationalen Abkommen nicht beigetreten sind: von den Standards der Internationalen Arbeitsorganisation über den Schutz von Klima und Biodiversität bis hin zur Unesco-Konvention zur kulturellen Vielfalt. Die Verhandlungen seien in vollem Gange, die EU befinde sich in der Defensive und habe schon die Chlor-Hähnchen akzeptieren müssen. Dabei sei das zu erwartende zusätzliche Wachstum extrem gering: 0,5 Prozent des BIP – nicht etwa jährlich, sondern kumuliert über zehn Jahre hinweg.
Interessanterweise plädierte auch die grüne Fraktionsvorsitzende Viviane Loschetter für einen sehr kritischen Umgang mit dem TTIP. Sie warf die Frage auf, wem die positiven Effekte einer Liberalisierung eigentlich zugute kämen? Auch die angestrebte Harmonisierung der Produktionsnormen gehe eher in die falsche Richtung, nämlich die einer Verwässerung der hohen europäischen Standards.
Als größter Fan des TTIP outete sich Fernand Kartheiser. Normen, die für die amerikanische Bevölkerung gut seien, müssten doch auch für Europa ausreichen, so der ADR-Leader, der für die Synthese von weltanschaulischem Konservatismus, Nationalismus und wirtschaftlichem Liberalismus steht. Die Linken und die Grünen, so Kartheiser weiter, hielten den Freihandel für grundsätzlich unmoralisch und hätten bereits das Welthandelsabkommen zum Scheitern gebracht. Weniger unterhaltsam, aber nicht minder klar, war der Redebeitrag von Martine Hansen: Der Abbau von unsinnigen Normen auf beiden Seiten des Atlantiks sei eine gute Sache, so die CSV-Abgeordnete, doch dürfe man sich nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Bei den Nahrungsmitteln reiche eine Kennzeichnungspflicht aus – so könnten die europäischen Konsumenten selber entscheiden. Alles in allem sei das TTIP-Abkommen, wenn „richtig“ verhandelt werde, eine einmalige Chance.
Märchenstunde
Marc Angel von der LSAP sprach sich ebenfalls dafür aus, die Verhandlungen unbedingt fortzusetzen: Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit müsse man jeder Initiative eine Chance geben. Der Präsident der Kommission für europäische Angelegenheiten versicherte aber, eine offene Diskussion zulassen und allen Bedenken Rechnung tragen zu wollen. Am Ende müsse das Abkommen den Menschen dienen und nicht den Konzernen. Ähnlich realitätsfremd argumentierten Eugène Berger und Außenminister Jean Asselborn. Der DP-Abgeordnete unterstrich, Luxemburg sei auf Exporte angewiesen, man dürfe aber bei diesem Abkommen die bestehenden Normen nicht aushöhlen. Auch der LSAP-Minister lehnte die Absenkung der Standards und die vielkritisierte Möglichkeit, dass Konzerne gegen nationale Gesetze klagen, ab. Sowieso sei derzeit „noch kein Jota“ des Abkommens festgemacht, versuchte Asselborn zu beruhigen. Außerdem würden die US-Gewerkschaften das TTIP herbeiwünschen, um die eigenen Standards in Richtung der besseren, europäischen anzuheben.
Am Ende wurde die Motion von Déi Lénk mit der Aufforderung, die Verhandlungen zu stoppen, von allen anderen Parteien abgelehnt. Die gleiche Forderung war interessanterweise am Tag zuvor von einer deutschen Gewerkschaft, der IG Metall, erhoben worden. Am 13. März, nach Redaktionsschluss, findet eine erste Informationsveranstaltung von Luxemburger NGOs statt, aus der möglicherweise ein den OGBL einbeziehendes Aktionsbündnis gegen das TTIP hervorgeht. Und auch die größte amerikanische Gewerkschaft AFL-CIO ist keineswegs „für“ das Abkommen, sondern fordert Verhandlungen im Sinne einer nachfrageorientierten Wachstums- statt der in Europa vorherrschenden Austeritätspolitik.