VERSTECKTE STAATSBEIHILFE: Steuerlektionen aus Brüssel

Die EU-Kommission möchte manchen EU-Staaten gegen deren Willen höhere Steuereinnahmen verordnen. Fiskale Erleichterungen für Unternehmen könnten fortan als unerlaubte Staatsbeihilfen gewertet werden und somit gegen EU-Recht verstoßen. Fünf Länder bekamen einen Brief aus Brüssel. Darunter befindet sich auch Luxemburg.

Pierre Gramegna im Gespräch mit seinem griechischen Kollegen Giannis Stournaras. Zum Thema einer möglichen Untersuchung der EU-Kommission über versteckte Staatsbeihilfen möchte der Luxemburger Finanzminister derzeit lieber nichts sagen.

Höhere Steuern bringen mehr Geld in die Staatskassen. Weniger Steuererleichterungen auch. „Wir müssen uns stärker auf die Einnahmenseite konzentrieren“, lautet das Motto des Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia. „Wir haben unsere Zweifel darüber, ob manche Unternehmen tatsächlich ihren angemessenen Steueranteil zahlen.“ Deshalb sagte der Spanier den Ländern, deren Behörden solche Praktiken erlauben, den Kampf an. „Für die Kommission ist dies zur Priorität geworden“, stellt Almunia im Interview klar.

Den Hebel setzt die Kommission nicht beim Steuer- sondern beim Wettbewerbsrecht an: Auf der Suche nach versteckten Staatsbeihilfen sendete die Kommission fünf EU-Staaten einen Brief mit der Bitte um steuerrechtliche Informationen. Das so genannte „tax ruling“ erläutert die Auslegung der nationalen Steuergesetze. Zu den betroffenen Ländern gehört neben Belgien, den Niederlanden, Großbritannien und Irland auch Luxemburg. Die Kommission frage sich, ob verschiedenen Unternehmen durch Steuerbescheide eine Sonderbehandlung zugestanden wird, heißt es in dem Schreiben. Diese Diskriminierung könnte nicht kompatibel mit der europäischen Staatsbeihilferegelung sein. „Als Hüterin der Gesetze fragt die Kommission nun nach den nötigen Informationen über die nationalen Praktiken“, erklärt Almunia. „Sollte sich der Verdacht als unbegründet erweisen, werden wir uns ganz einfach bei den Ländern für die Auskünfte bedanken und es dabei belassen.“

Allerdings könnte es durchaus sein, dass es nicht beim „freundlichen Briefwechsel“ bleibt, so die Drohung aus Brüssel: Bleiben Zweifel bestehen, könnte eine offizielle Untersuchung eingeleitet werden. Wenn zudem ein Land die Herausgabe der Informationen verweigert, scheue man den Weg zum Europäischen Gerichtshof nicht, kündigt der Kommissar an. „Es ist zu früh, Schlüsse zu ziehen. Wir sind dabei die Antworten zu prüfen“, so Almunia. Bis auf einen Fall habe die Kommission ausreichend Informationen erhalten. Um welches Land es sich hierbei handelt, will Almunia ebenfalls nicht verraten.

Etienne Schneider: „Wir haben keine Angst.“

Manche Betroffenen geben sich zunächst einmal gelassen. Der Finanzminister sei eigentlich für Steuerfragen zuständig, doch er sei über den Brief aus Brüssel informiert, sagte Ende Februar am Rande des Treffens des Europäischen Rates für Wettbewerb ein selbstsicherer Luxemburgischer Wirtschaftsminister. „Die Kommission kann kontrollieren, was sie will, das ist ihr gutes Recht“, so Etienne Schneiders Reaktion auf das Schreiben. Luxemburg sei es gewöhnt, „immer wieder im Fokus zu stehen“. Es falle jedoch auf, dass vorwiegend kleine Länder visiert seien, „während die Großen ungeniert machen können, was sie wollen – sei es in ihrem Land oder in einer ihrer Provinzen“. Der Seitenhieb zielt wohl auf Großbritannien ab, das jedoch ebenfalls von der Kommission einen Brief erhielt. „Wegen seiner Aktivitäten auf Gibraltar“, stellt der Kommissar auf Nachfrage klar.

Pierre Gramegna: „Wir beantworten derzeit keine Fragen zu diesem Thema.“

Wir haben keine Angst“, gibt seinerseits Etienne Schneider zu Protokoll. „Wir machen nichts Illegales, wir bewegen uns in dem Rahmen, den die Kommission vorgibt“. Auf die Frage, ob Luxemburg denn nun tatsächlich bestimmten Unternehmen Steuererleichterungen gewährt und mit welchen Argumenten der Wirtschaftsminister auf seinen Auslandsmissionen für den Standort Luxemburg wirbt, antwortet auch Etienne Schneider: „Wir haben eine klare Steuerpolitik. Verschiedene Konzerne probieren, darüber zu diskutieren und zu verhandeln, doch das ist in jedem Land der Fall.“ Für weitere Details verweist der Minister abermals auf seinen Kollegen, den Finanzminister.

Eine Interviewanfrage in Pierre Gramegna’s Ministerium blieb jedoch leider ohne Erfolg. Zwar ließ sich der Minister zunächst eventuelle Fragen zumailen, um dann ein paar Tage später mitzuteilen, dass man „à ce stade“ keine Fragen in diesem Zusammenhang beantworte. Es folgte ein Verweis auf eine Stellungnahme seines Hauses zu einem Artikel, der Mitte September vergangenen Jahres in der „Financial Times“ zum Thema möglicher Steuererleichterungen für multinationale Konzerne erschienen war. Luxemburg bekomme regelmäßig Anfragen von der Europäischen Kommission über Steuerangelegenheiten, es gebe jedoch keine Anhaltspunkte für eine formelle Untersuchung in Sachen Staatsbeihilfen. „Es gab keine Befragung über die steuerlichen Beziehungen zu einem bestimmten Unternehmen“, hieß es weiter in dem besagten Statement. „Luxemburg unterstützt eine faire Besteuerung, die auf internationalem Recht und den Jurisprudenzen des Europäischen Gerichtshofes beruht.“ „Unternehmen müssen Steuern zahlen, jedoch setzt sich Luxemburg für eine ?effektive` Besteuerung ein.“

Etwas ärgerlicher fiel die irische Reaktion auf den Vorstoß der Kommission aus. In einem Brief an Kommissar Almunia zeigte sich der Sprecher des irischen Finanzministeriums im Januar gegenüber der „Irish Times“ besorgt darüber, dass die Nachfragen aus Brüssel dem internationalen Ruf der Insel schaden könnten. Es sei deshalb sehr wichtig, dass diese Voruntersuchungen so schnell wie möglich abgeschlossen werden, vor allem, jetzt, da die die Presse darüber berichte.

Arnaud Montebourg: „Wir brauchen keine Taliban des Rechts.“

Almunias Vorgänger Mario Monti, der 2001 als erster EU-Kommissar Steuererleichterungen für Unternehmen untersuchte, musste sich damals den Vorwurf gefallen lassen, seine Behörde missbrauche das Staatsbeihilfenrecht dafür, die Steuersysteme der EU-Länder zu harmonisieren. „Dies ist keine Alternative zu einer besseren Steuergesetzgebung“, sagt dazu Joaquin Almunia. „Es ist jedoch eine gute Ergänzung. Und es könnte wesentlich schneller zu Resultaten führen.“

Dass sich die Länder auf ihre Souveränität in Steuerangelegenheiten berufen, lässt der Kommissar nicht gelten. „Das europäische Recht ist sehr klar“, betont Almunia. „Staatsbeihilfen fallen eindeutig unter die Kompetenz der Europäischen Kommission. Und es wäre nicht das erste Mal, dass die Kommission entscheidet, dass es zu unerlaubten Staatsbeihilfen mittels steuerlicher Maßnahmen kam.“

Doch was passiert dann konkret? Im Falle einer offiziellen Untersuchung über unerlaubte Staatsbeihilfen müsse sich das betroffene Land zu den Vorfällen verhalten, erläutert Almunia. Stelle sich etwa heraus, dass der Fiskus einem Unternehmen tatsächlich unerlaubt steuerlich unter die Arme gegriffen hat, müsse dieser Teil der unerlaubten Staatsbeihilfen zurückbezahlt werden. Und zwar an den, der diese Beihilfe illegaler Weise der Firma gewährt hatte: den Staat.

Dieser freut sich aber nicht unbedingt über diese zusätzlichen Einnahmen. Das zeigt aktuell das Beispiel Frankreichs. Der französische Minister „pour le redressement productif“, Arnaud Montebourg, und Kommissar Almunia lieferten sich in den letzten Wochen Wortgefechte, die einer Kriegserklärung glichen. Montebourg, dem Brüssels Suche nach versteckten Staatsbeihilfen eindeutig zu weit geht, forderte gar die Auflösung der Generaldirektion „Wettbewerb“ der Kommission: „Wir brauchen diese Taliban des Rechts nichts“, stellte Montebourg Ende Februar vor dem European American Press Club fest. Staatliche Subventionen seien woanders gang und gäbe und die Kommission wache über Gesetze, ohne die realen Bedingungen der globalisierten Märkte wahrzunehmen, denen sich europäische Unternehmen stellen müssen, schrieb Montebourg dem Brüsseler Kommissar. Almunia warf seinerseits dem französischen Minister Protektionismus sowie „wirtschaftlichen Nationalismus“ vor.

Montebourg drohte indessen, das Thema im Wahlkampf auszuschlachten. „Es ist ein transnationales Anliegen, die Einflussbereiche der Kommission zu reduzieren“, sagte Montebourg dem Nachrichtendienst „euractiv“. Eine Aussage, die auch Euroskeptiker überzeugen dürfte.


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