GENDER UND NACHHALTIGKEIT: Gleichheits- oder Differenzfalle?

Unter dem Titel „Nachhaltig anders?“ referiert Uta von Winterfeld am kommenden Montag, den 7. April, um 18.30 Uhr im Cid über die Frage, inwiefern Gender und Nachhaltigkeit zusammenhängen. Im Interview mit der woxx verrät sie einige Fallstricke …

Nüchterne Feministin: Uta von Winterfeld

woxx: Wie würden Sie den Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und Nachhaltigkeit konkret erklären, jenseits der allgemeinen Realität von Geschlechterungleichheit und Naturraubbau?

Uta von Winterfeld: Die Frage ist, von welcher Nachhaltigkeit dabei die Rede ist. Schon bei der großen Konferenz in Rio, 1992, war der Begriff umstritten. Es gab Auseinandersetzungen über die Ansätze, und das ist auch bis heute noch relevant. Das südliche Frauennetzwerk „Dawn“ hatte im Kontext der Vorbereitung der Rio-Konferenz ganz vehement dafür plädiert, dass es nicht „sustainable development“, sondern „sus-tainable livelihood“ heißt. Livelihood betont den eigentlichen Erhalt der Lebensgrundlagen und ist sehr stark am Alltag, an der Praxis, an der Lebenswelt und damit auch an Frauen orientiert. Eigentlich ging es bei der Kontroverse schon damals darum, ob das Nachhaltigkeitsparadigma an die Fortschritts- und Modernisierungsvorstellungen angelehnt wird, oder ob mit ihm ein grundlegender Perspektivwechsel intendiert ist. Dieser Streit ist zugunsten der „nachhaltigen Entwicklung“ ausgegangen, und daran gibt es bis heute Kritik. Vor allem dahingehend, dass die Fortschritts- und Wachstumsvorstellungen, die das Problem überhaupt verursacht haben, in diese Konzeption von Nachhaltigkeit mit eingeflossen sind.

Hat man sich dann auf eine Definition einigen können, oder war es danach immer noch ein wackliger Begriff?

Es ist so, dass die frauenbewegten Ansätze in diesem Kontext nicht die Definitionsmacht hatten. Und das ist ein typisches Beispiel für eine Auseinandersetzung dieser Art. Wenn stattdessen gesagt wird – wie in der Agenda 21 – „Frauen sind die besseren Umweltschützerinnen“, dann tritt dieser Konflikt wieder hervor. Insofern ist es nicht so ganz einfach mit den Begriffen der „Nachhaltigkeit“ und der „Geschlechterrelevanz“.

Birgt die Kombination von „Gender“ und „Nachhaltigkeit“ nicht ohnehin die Gefahr, Frauen wiederum einen spezifischen Naturumgang zu unterstellen und eine besondere Nähe zur Natur zu konstruieren?

Die Geschichte ist voller Fallen, und genau das werde ich auch in meinen Vortrag am Montag einbauen. Es gibt eine Gleichheitsfalle: Frauen sollen alles genauso machen wie Männer. Es gibt aber auch eine Differenzfalle: dass Frauen die ganz anderen sind, mit „dem anderen Zugang“.

„Dadurch, dass Frauen unterdrückt worden sind, haben sich Gesellschaften um manche Lern- und Entwicklungs-möglichkeiten
gebracht.“

War und ist die unterbezahlte und freiwillige sorgende Arbeit von Frauen nicht von jeher eine Selbstverständlichkeit und Garant und Voraussetzung für Wachstum?

Ich denke, das ist etwas ganz Altes. Dennoch wäre es falsch zu sagen, das war schon immer so. Vielmehr hat sich auch das historisch sehr verschieden dargestellt. Auf jeden Fall ist es aber so, dass es das Problem dieser Sorge wirklich gibt, die eigentlich ermöglicht, was an Fortschritt und an Wachstum passiert. Zugleich wird diese Arbeit eigentlich externalisiert – also sie wird nicht bezahlt und nicht anerkannt. Da haben wir natürlich auch ein typisches Problem von Gender und Nachhaltigkeit. Zugleich hat das ja auch etwas mit Arbeitsteilung zu tun, speziell mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, und damit natürlich auch mit Herrschaft. Das wiederum ist ein Grund, warum feministische Perspektiven fast immer auch herrschaftskritisch angelegt sind.

Leben Unterdrückte oder Sklaven und damit weltweit Frauen nicht immer ökologischer als ihre Unterdrücker?

Die Frage bringt einen schon zum Nachdenken. Die Unterdrückung der Verwirklichungschancen kann ja theoretisch auch dazu führen, dass ich versuche, zu kompensieren und zu sublimieren, und zwar indem ich besonders intensiv konsumiere und meine Kleidung täglich wechsle. Also rein theoretisch ist das auch mit etwas ganz Unnachhaltigem denkbar. Es ist aber sicherlich etwas daran, dass die Unterdrückung der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten schnell dazu führt, dass einem ein ressourcenarmer Lebensstil aufgezwungen wird. Das betrifft dann unterdrückte Völker, Sklaven, Frauen. Das ist aber nur die eine Seite. Also dadurch, dass Frauen unterdrückt worden sind, hat sich die Moderne, haben sich Gesellschaften um manche Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten gebracht.

Als Gegenbild zum Raubbau treibenden Kapitalismus dient oft die Sorge- oder Care-Ökonomie. Wie stehen Sie dazu? Zugespitzt gefragt: Wenn ich meine pflegebedürftige Mutter versorge, inwiefern verfolge ich damit ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell?

Ich bin nicht sicher, ob das zutrifft. Dem kapitalistischen Raubbau das Care als Kontrast entgegenzusetzen und daran Hoffnungen zu knüpfen, ist auch ein Klischee. Es ist denkbar, dass diese Vorstellungen von Sorge und Post-Wachstum ihrerseits ungeheuer repressiv werden könnten. Verlockend wären sie dann überhaupt nicht mehr. Interessant ist da ein analytischer Ansatz, den ich zusammen mit Adelheid Biesecker verfolge. Wir beide gehören dem Netzwerk „Vorsorgendes Wirtschaften“ an, mit dem natürlich auch ein Care- und Sorgezugang verbunden ist. Der Kontrastierungsgefahr sind wir auch da stets ausgeliefert. Wir versuchen aber, dieser Falle durch den Begriff der Externalisierung zu entgehen. Damit ist die Beobachtung gemeint, dass Fortschritt und Wachstum nur erfolgen können, wenn zuvor etwas anderes externalisiert worden ist.

„Damit Wert entstehen kann, muss es etwas Wertloses geben, das man sich kostenlos aneignen kann.“

Damit Wert entstehen kann, muss es etwas Wertloses geben, das man sich kostenlos aneignen kann. Wenn ich diese Externalisierung als Prinzip herausarbeite und dann feststelle, dass sie unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten überhaupt nicht vertretbar ist, bleibe ich hinsichtlich der kapitalistischen Wachstumsökonomie kritisch. Die Problematisierung des Caredefizits im Zusammenhang mit dem Klimawandel finde ich aber sehr wichtig. Schon heute ist die Versorgung älterer Menschen nicht mehr sichergestellt, und die Klimaanpassung erfordert Vorsorge. Wir stellen fest, dass einfach ein Care- bzw. Fürsorgedefizit besteht – und in dieser Situation des Klimawandels besonders.

In einem Vortrag behaupteten Sie, dass die Gesellschaftsverträge (Rousseau, Locke, Hobbes) von jeher auch „Geschlechterverträge“ waren, insofern sie eine patriarchalische Weltordnung zugrunde legten … Haben sich diese Modelle in kapitalistischen Systemen, also in den westlichen Industriestaaten, nicht „behauptet“? Ist nicht letztlich in den meisten neoliberalen Unternehmen und in den meisten Berufsfeldern noch ein patriarchalischer Führungsstil gefragt?

Also mit dem patriarchalischen Führungsstil wäre ich jetzt etwas skeptisch. Dem Grundsätzlichen, dass die Rationalitäten in diesen Gesellschaftsverträgen bis heute wirksam sind – dem würde ich zustimmen, das sage ich selber ja auch. Und erstmal meint ja das Patriarchale dieser Verträge, dass die Männer sich die Verfügungsrechte über die Frau, ihren Körper und ihre Arbeit, schon angeeignet hatten, bevor sie als Freie und Gleiche einen Vertrag miteinander schlossen. Das hat Carole Pateman, eine feministische Politikwissenschaftlerin, 1988 in „sexual contract“, Der Geschlechtervertrag, herausgearbeitet. Mit dieser Figur arbeiten wir auch. Und dann muss ich noch mal auf die jeweils spezifischen Vertragsfiguren zurückkommen. Also wenn von Schutz und einem starken Staat die Rede ist, bin ich immer bei Hobbes, oder wenn es ums Privateigentum geht – und das wird dann beim Neoliberalismus sehr deutlich – bin ich immer bei Locke, dem Vater der eigentumsbasierten liberalen Demokratietheorie. Und dann muss ich noch mal genauer herauswuseln, was daran konkret das Geschlechterspezifische ist.

Wieso bedarf es „Gender“, und bedarf es – aus Ihrer Sicht – immer noch eines feministischen „Extras“? Also warum muss es noch „Quoten“ oder „Gender-Mainstreaming“ geben? Sind diese frauenstärkenden Maßnahmen nicht überholt und letztlich kontraproduktiv?

Ich denke, dass das notwendig ist, und ich meine sogar, dass es noch überhaupt nicht reicht, weil nämlich sowohl Quoten als auch Gender-Mainstreaming bei der Partizipation am Vorhandenen ansetzen und damit eigentlich quer zu Transformationgeschichten stehen. Und trotzdem werden sie gebraucht. Nur dadurch, dass in ein reines Männergremium eine Frau kommt, ändert sich etwas. Deshalb ist es nicht überflüssig, und ich würde die beiden Sachen auch nicht gegeneinander ausspielen. Meine persönliche Vorliebe ist es nicht, zu fragen, was ist denn damit gewonnen, dass Frauen das jetzt auch so machen dürfen wie Männer. Deshalb würde ich aber niemals sagen, das sei sinnlos. Ich glaube aber, dass Gleichheit nicht reicht. Differenz reicht aber auch nicht – da bin ich dann wieder bei meiner Gleichheits- und Differenzfalle.

„Ich glaube, dass Gleichheit nicht reicht. Differenz reicht aber auch nicht.“

Mit dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ wird häufig technologische Modernisierung oder gar (repressive) Selbstkontrolle verbunden. Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit für eine emanzipative Politik?

Bei der Nachhaltigkeit gibt es eine politikwissenschaftliche Unterscheidung zwischen ökologischer Modernisierung und ökologischem Strukturwandel. Bei der Modernisierung wird das bereits Vorhandene auf den neuesten Stand gebracht und technologisch fortschrittlich weitergeführt. Beim ökologischen Strukturwandel geht es um grundlegende Änderungsprozesse. Wenn ich Emanzipation gleichstellungslogisch denke, dann gibt es neue Berufe und dann sollten Frauen in Spitzenpositionen kommen und die Geschichte gleichberechtigt mitentwickeln. Beim ökologischen Strukturwandel würde das dann nicht hinhauen, sondern man würde auf der Frage beharren, was die eigentlichen Herausforderungen sind und was an unseren Strukturen problematisch ist. Da kann ich dann mit der Nachhaltigkeit doch einiges anfangen Also ich sag’s erstmal allgemeiner: Nachhaltigkeit enthält ein Gerechtigkeitsgebot, mit dem viele Feministinnen arbeiten, und sie enthält das Gebot – wenn ich es ökonomisch formuliere – des Produktivitäterhalts oder des Erhalts der Lebensgrundlagen. Da gibt es einige feministische Perspektiven. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit: Rücksicht auf zukünftige Generationen zu nehmen. Nachhaltigkeit bedeutet also, Rücksicht auf andere zu nehmen, die wir noch nicht kennen können. Dafür sind moderne Gesellschaften, so wie sie verfasst sind, nicht ausgestattet. Darin besteht für mich die eigentliche Herausforderung der Nachhaltigkeit.

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Zur Person
Prof. Dr. Uta von Winterfeld ist Projektleiterin am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie und Privatdozentin am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin. Sie ist Mitglied des Frauennetzwerkes Vorsorgendes Wirtschaften, der AG Frauen im Forum Umwelt und von attac. Ihre Forschungs-Schwerpunkte sind: Naturbeherrschung und gesellschaftliche Naturverhältnisse; Nachhaltiges Arbeiten; Global Governance; Anpassung an den Klimawandel; Gender und Nachhaltigkeit.

(AVT) Die Veranstaltung „Nachhaltig Anders“, Feministische Perspektiven zu Nachhaltigkeit und Geschlecht, organisiert vom Cid, der Stadt Luxemburg und mit der Unterstützung der ASTM findet am Montag, den 7. April, um 18.30h in den Räumen des Cid, 14 rue Beck Luxemburg, statt.


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