Lage von Gambia: Schmal ist breit

Inhaltlich durchwachsen, rhetorisch schwach – Bettels erste Rede zur Lage der Nation hat die wenigsten begeistert. Reicht das, um sich Gambia wieder wegzuwünschen?

„Luxemburg ist ein kleines Land mit einer großen Zukunft.“ Seht her, auch er kann es: bedeutungsschwangere Phrasen von sich geben! Xavier Bettels erste Rede zur Lage der Nation musste sich an Maßstäben messen lassen, die sein Vorgänger in fast 20 Jahren Amtszeit gesetzt hat. Doch Jean-Claude Juncker war mehr als ein Phrasendrescher – in den besseren seiner Reden schaffte er es, Begeisterung für neue Ideen zu wecken und politische Innovationen schwungvoll anzukündigen. Gewiss, die den Worten folgenden Taten waren meist weniger schwungvoll und begeisternd. Trotzdem: eine vergleichbare rhetorische Wirkungskraft hat man in Bettels Rede vermisst.

„Was seit ein paar Jahren als Krise bezeichnet wird, ist inzwischen zur neuen Realität geworden.“ Klingt wie Effekthascherei, ist aber eine gelungene Zusammenfassung der wirtschafts- und sozialpolitischen Perspektive und Strategie der neuen Regierung: Es wird Luxemburg dauerhaft schlechter gehen, deshalb ist ein massiver Sozialabbau fällig. Statt „massiver Sozialabbau“ sagt man auf Gambisch natürlich lieber „mehr mit weniger“.

Zugegeben, die Regierung geht bisher eher zurückhaltend – und eher planlos – vor. Hieß es beim Regierungsantritt noch, dass die Indexmodulation fortgeführt werden solle, so war gestern alles anders: Bis auf weiteres – solange nicht die steigende Inflation die Regierung zum Eingreifen veranlasst – bleibt die automatische Lohnanpassung in Kraft. Das ist zwar kein richtiger Sieg für die Gewerkschaften, aber doch eine Niederlage für die Unternehmer, die darauf gehofft hatten, dass die „höchstens eine Tranche pro Jahr“-Regel in Stein gemeißelt würde.

An positiven Ankündigungen fehlte es auch in anderen Bereichen nicht: Luxemburg soll zu einer digitalen Gesellschaft werden, die Arbeitsmarktpolitik wird verbessert, die Landesplanung endlich nachhaltig gemacht. Dass die meisten fortschrittlichen Akzente im gesellschaftspolitischen Bereich gesetzt wurden, erstaunt wenig – nur hier herrscht weitgehend Konsens unter den Koalitionspartnern. Bettel bestätigte Vorhaben wie die Einführung des Werteunterrichts, die Öffnung von Ehe und Adoption für gleichgeschlechtliche Paare, die Liberalisierung der Abtreibung und die Flexibilisierung des Nationalitätsgesetz. Das Thema Ausländerwahlrecht dagegen blieb unberührt.

Mit der koalitionspolitischen Kontinentalverschiebung musste sich auch die Rede zur Lage der Nation verändern.

Was fehlte sonst noch im Inventar? Themenmäßig gelang Bettel, der zwei Stunden lang in schnellem Fluss redete, ein tüchtiger Rundumschlag: Weder die Krebs-Früherkennung, noch das Fußballstadion wurden vergessen. Doch obwohl der neue Premier – anders als Juncker – wenig trockenes Zahlenmaterial eingearbeitet hatte, wollte die Rede nicht so recht schmecken. Zu viele Themen wurden angeschnitten, zu wenige Ankündigungen konkretisiert, kaum ein Gesamtkonzept – vom Sparzwang abgesehen – herausgearbeitet.

Ist Bettel darum ein schlechter Premier, die Gambia-Koalition – wie Juncker prophezeit hatte – eine Chaostruppe? Keineswegs. In den vergangenen zwei Jahrzehnten stand die Lage der Nation für eine alljährliche öffentliche Zurschaustellung des politischen Seelenzustandes Jean-Claude Junckers, unter Einbeziehung von ein paar Nebengedanken des jeweiligen Juniorpartners. Bettel dagegen ist an erster Stelle der Mann, der Gambia möglich gemacht, der Tick, Trick und Track zusammengebracht hat. Mit dieser koalitionspolitischen Kontinentalverschiebung mussten sich unvermeidlich auch Stil und Bedeutung der Rede zur Lage der Nation verändern.

Gewiss, der erste Speech war so toll nicht. Bessere werden folgen. Doch das Wichtigste an der neuen Regierung wurde vom neuen Premier durchaus zum Ausdruck gebracht: Bei allen Einschränkungen versucht das blau-rot-grüne Team, neue Wege zu gehen, auch wenn niemand genau weiß, wie und wohin. Anders gesagt: Gambia ist ein schmales Land mit einer breiten Koalition.


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