FOTOGRAFIEN VON AUSCHWITZ: Erinnern, um zu verstören?

Die Aufnahmen der Wanderausstellung „Auschwitz! … Was danach?“ des jungen Fotografen Paul Klensch, ab Mittwoch am Lycée Technique in Ettelbrück zu sehen, dokumentieren seinen eigenen Blick auf das ehemalige Vernichtungslager und wirken mal harmonisch, mal geisterhaft.

Foto: Paul Klensch

Jeder Künstler, der die Judenvernichtung während der NS-Zeit zum Gegenstand seiner Auseinandersetzung macht, steht vor der Herausforderung, dem Grauen „ästhetisch“ gerecht zu werden, und läuft Gefahr, den organisierten Massenmord an Juden, die Shoa, zu verharmlosen. Historiker und Philosophen streiten vor allem in Deutschland, ob bzw. (in)wie(fern) Kunst nach Auschwitz überhaupt eine Berechtigung hat. In den Jahrzehnten nach dem Holocaust vermochten einige wenige künstlerische Auseinandersetzungen die lang beschwiegene Massenvernichtung der Nationalsozialisten angemessen zu behandeln, indem sie sich dem Grauen zunächst „dokumentarisch“ annäherten. Alain Resnais‘ „Nacht und Nebel“ (1955) war ein solcher filmischer Versuch. Seine Dokumentaraufnahmen waren Beweise, die sich ins Gedächtnis nachfolgender Generationen einprägen sollten – als Mahnung, dass ein Zivilisationsbruch wie dieser nie wieder geschehen dürfe.

Das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz ist heute ein zentraler Erinnerungsort, durch den täglich Schulklassen gelotst werden. Rundgang und Gespräche mit letzten Zeitzeugen sollen SchülerInnen den Holocaust nahebringen und vermitteln, was kaum verstanden werden kann. Eine pädagogische Erinnerungskultur soll nachfolgenden Generationen eine Basis bieten, doch die Reflexion und Verarbeitung bleibt dem Einzelnen selbst überlassen.

Eine solche Reise nach Auschwitz mit SchülerInnen aus seinem Gymnasium machte 2009 auch der Luxemburger Paul Klensch. Er fotografierte auf dieser Fahrt und beim Besuch des Lagers, um das, was er dort sah, „zu verkraften“, wie er sagt. So entstanden über 200 Bilder. Für den 1992 Geborenen war es auch eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Erinnerungsort. Die Erzählungen seines Großvaters waren für Klensch der Anlass, die Gedenkstätte zu besuchen und sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Während des Zweiten Weltkriegs war sein Großvater Zwangsrekrutierter und musste in der deutschen Wehrmacht dienen.

Klenschs Bilder wurden in einer Wanderausstellung zunächst im Centre de Documentation et de Recherche sur l`Enrôlement forcé (CDREF) in Luxemburg, anschließend im Palais de l’Europe in Straßburg und später auch an Gymnasien wie dem Athenäum in Merl gezeigt. Ab nächster Woche sind sie auch im Lycée Technique (LTE) in Ettelbrück zu sehen. Dazwischen stand die Zusammenarbeit mit Steve Kayser, dem Direktor der Gedenkstätte in Hollerich. Kayser gefiel Klenschs Herangehensweise, sein Blick und seine kritische Einstellung: „Ich habe so viel in diesen Bildern gelesen und dann gesagt, komm, das ist gut!“ Klensch selbst durchforstete Archive, sichtete historisches Material und schrieb LeiterInnen von Gedenkstätten in Frankreich, Belgien und Deutschland an. Am Ende standen 18 Aufnahmen und 24 Tafeln (franz. – deutsch), überwiegend gehalten in den mahnenden Farben schwarz, rot und weiß, die zur Bildsprache der Ausstellung werden sollte.

Es sind 18 Fotografien von Auschwitz, die das Vernichtungslager im scheinbaren Einklang mit der Natur zeigen und es dadurch paradox harmonisch wirken lassen. Teilweise entsteht der Eindruck eines idyllischen Backsteindorfes, wären nicht auch Stacheldraht und Wachtürme zu sehen. Vor allem durch die rote Farbe, mit denen einige Schwarz-Weiß-Aufnahmen unterlegt sind, bekommen die Aufnahmen etwas Gespenstisches – aber auch Zeitloses und Poppiges. „Mir ging es bei den Fotos zunächst darum, dokumentarisch festzuhalten, aber später habe ich mich gefragt, wie war die Natur früher, vor 60, 70 Jahren?“ Überall dort, wo die Natur ist, geht der Schwarz-Weiß-Verlauf in Farbe über. Sobald aber irgendwo Baracken auftreten, führt der Fotograf sie bewusst ins Schwarz-Weiß zurück. Es sei ihm um den „Blick nach früher“ gegangen, erklärt Klensch, der zum Teil mit einem Schwarz-Weiß-Infrarotfilter gearbeitet hat, um die Dichotomie zwischen dem Inneren (Bedrohlichen) des Konzentrationslagers und der Schönheit der Natur herauszuarbeiten. Die Fotos mit dem Infrarotfilter sind in einer zweiten Phase entstanden, ?parallel zum Konzept des Katalogs. „2013, als wir den Katalog entworfen haben, war es ein Blick zurück – drei Jahre nach dem Erlebten. Um das nicht miteinander zu vermischen, habe ich im Archiv neue Fotos herausgesucht und sie überlappend mit dem Rotfilter bearbeitet“, erklärt Klensch.

In intensiver Nachbearbeitung seiner Aufnahmen hat er so versucht, das herauszuarbeiten, was ihm wichtig war. Auf der Fahrt hatten viele seiner Klassenkameraden Gruppenbilder gemacht, teilweise vor dem Tor, zum Teil mit hochgerecktem Daumen. Klensch dagegen löste sich von der Gruppe und schoss seine Aufnahmen, als der Erinnerungsort menschenleer war. „Es sollten keine Schnappschüsse von einer Touristenattraktion sein, sondern wirklich eine Dokumentation“ erklärt er sein Anliegen. Seine Form der Fotografie und Bildbearbeitung sieht CDREF-Direktor Kayser positiv: „Man lädt den Zuschauer so dazu ein, seinen eigenen Blickwinkel zu ergründen. Das macht das Ganze so interessant.“

Theoretisch auseinandergesetzt hat sich Klensch mit dem Holocaust und seiner Darstellung nicht, das wäre auch zu viel verlangt. Die fördernden Institutionen der Ausstellung, finanziert vom Staat Luxemburg, können sich dieser Frage aber nicht entziehen. Welche Ästhetik geeignet sein könnte, den systematischen Massenmord an den Juden Europas so darzustellen, dass seine Bebilderung das Unfassbare nicht übertüncht und zugleich eine Reflexion in Gang setzen kann, die nicht harmonisiert, diese Frage stellt sich unausweichlich. Der Titel der Ausstellung „Auschwitz! Was danach?!“ spricht sie eigentlich offen an. „Wir mussten einen Titel finden, der auf Deutsch, Französisch und Englisch gut klingt“, berichtet Steve Kayser, ?für den es gilt, keine Lehren aus Auschwitz, sondern vielmehr Lehren nach Auschwitz zu ziehen. Paul Klensch ist es am wichtigsten, dass sich die Bilder an Leute richten, die den Krieg nicht erlebt haben, vor allem an Jugendliche. „Dass auch die Generationen nach uns, die nach meinen Großeltern kommen, erfahren, was geschehen ist“, sagt Klensch. „Denn an dem Punkt, an dem die Geschichte vergessen wird, wird sie sich wiederholen.“

Von 4.000 Menschen jüdischen Glaubens, die 1940 noch in Luxemburg lebten, überlebten 1.300 den Holocaust nicht, heißt es in dem Katalog. Weshalb diese Menschen verfolgt und gezielt vernichtet wurden – der (deutsche) Antisemitismus – erschließt sich aus den Tafeln nur sehr bedingt. Den auf eine glatte Ästhetik ausgerichteten Fotos von Baracken, Stacheldrähten und herbstlichen Bäumen droht so die weiche Integration in ein nicht verstörendes Gedenken und damit genau das, was Kunst nach Auschwitz vor allem vermeiden sollte: Verharmlosung.

Vernissage am Mittwoch, dem 23. April um 17h30 im Lycée Technique in Ettelbrück. Zugänglich während der Schulzeiten.


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