AUDIO-KUNST: Sounds of our Society

Kunst durch Hören zu erfahren, darum geht es in der akustischen Werkschau im Casino Forum d’art contemporain. Ein sinnliches Experimentierfeld, das unsere Hörgewohnheiten hinterfragt und zeigt, wie stark sie von unserer soziokulturellen Wahrnehmung bestimmt werden.

Sullivan and Flint:
„The Thing Is“ – Performance in
der Motorcade/Flash Parade in Bristol.

„It’s All In the Mind“ lautet der Titel einer Ausstellung, die momentan in der Frankfurter Schirn nicht zu sehen, sondern vielmehr zu erfahren ist. Der Künstler Daniele Buetti stellt eine Soundinstallation in den Mittelpunkt seiner Schau, die BesucherInnen mit einer Meditationshypnose lockt und damit ermöglicht, dass die Ausstellung sich über Geräusche im Kopf entfaltet. Ganz in diesem Trend begreift sich auch „HLYSNAN: The Notion and Politics of Listening“. In der neuen Schau des Casinos geht es um unser erweitertes, (unter-)bewusstes und zielgerichtetes Hören. Wie es schon das altenglische Wort „hlysnan“ (listen) suggeriert, steht die auditive Wahrnehmung im Mittelpunkt der künstlerischen Schau. Im Alltag hören wir unentwegt Geräusche, doch wie oft hören wir wirklich genau hin? Das Zuhören bedarf verstärkter Konzentration auf das, was man hört – es beinhaltet Sehnsucht und die Erwartung nach dem Verstehen eines Sinngehalts. „HLYSNAN: The Notion and Politics of Listening“ versteht Zuhören explizit als Stellungnahme und Haltung. Die Ausstellung unternimmt den Versuch, verschiedene Praktiken des Zuhörens mit aktuellen soziopolitischen Realitäten in Einklang zu bringen – denn was ich wie höre und wie ich Geräusche verstehe und einordne, hängt immer auch vom sozialen und kulturellen Kontext ab. Einige Installationen fokussieren auf die „vokale Geste“, wie sie in politischen Reden oder gesetzlichen oder juristischen Zusammenhängen eingesetzt wird, oder aber auf Aufnahmetechniken und ihre Bedeutung in der Geschichtsschreibung- und Rezeption. Andere stellen ganz auf die körperliche Wirkung von akustischen Reizen ab, so zum Beispiel der prasselnde Regen, der bei den BesucherInnen Entspannung bewirkt.

Im Erdgeschoss präsentiert Kader Attia mit seiner Sound-Installation „Mimesis as Resistance“ (2013), einem Auszug aus einer Naturdokumentation, den Graurücken-Leierschwanz, eine seltene Vogelart aus Australien, die die Eigenart hat, die Geräusche ihrer Umgebung nachzuahmen und mit diesem Geräuschrepertoire in der Paarungszeit Weibchen anzulocken. Doch längst gehören zu den Vorbildern, die der Vogel imitiert, auch Autolärm und das Geräusch von Kettensägen. Das Industriezeitalter hat hier Einzug in die Natur gehalten. Ein Werk von Angie Atmadjaja präsentiert sich als ganz in Weiß gehaltener Raum ohne jegliches räumliche oder visuelle Orientierungsmerkmal. Boden, Wände und Decken verschmelzen zu einem konturlosen Ganzen, durch das sich die BesucherInnen orientierungslos bewegen, bis sie das Gleichgewicht zu verlieren drohen. Sukzessive wird eine an die Wand gezeichnete Linie erkennbar, die einen Anhaltspunkt über die eigene Position im Raum liefert. Über die körperliche Erfahrung wird der Raum zum Experimentierfeld. Interaktiv tätig werden, um die Installation überhaupt zum Klingen zu bringen, müssen BesucherInnen bei dem Werk von Lawrence Abu Hamdan „Aural Contract Audio Archive“ (2009/2014). An der Wand befindet sich eine Liste mit Titeln und Namen, davor stehen drei Konferenzmikrofone, wie bei internationalen Gerichtshöfen. Bei den aufgeführten Titeln kann man sich aus dem Archiv des Künstlers bedienen – Mitschnitte aus Filmen, Radioaufnahmen oder Auszüge aus bekannten Reden. Aktiviert wird das Werk jedoch erst durch die Stimme der BesucherInnen, die den Titel ihrer Wahl in ein Mikro sprechen müssen. Geradezu ermüdend und abstumpfend wirkt hingegen die Tonaufnahme von Daniela Brahm & Les Schliesser „eins und eins sind eins, 2009“, in der Vertragstexte förmlich heruntergerattert werden. Wieder ganz anders ist Emeka Ogbohs „The Ambivalence of 1960, 2012“, aus der man politische Verklärung heraushören kann. Es ist eine Sound-Collage, die während der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Nigerias 1960 gehalten wurden und in der Utopie und Nostalgie verschwimmen. Bei Yoko Onos „Telephone Piece 1971/2014“ steht mit einem weißen Telefon in der Ausstellung die Möglichkeit eines Gesprächs mit der Künstlerin im Raum. Freilich weiß man nicht, ob es während des Gangs durch die Ausstellung klingeln wird. Der Zufall lässt es offen. Überhaupt scheint Offenheit die Bedingung dafür zu sein, die Ausstellung intensiv zu erfahren. Bewusst entziehen sich die Arbeiten dem Materiellen, so wird der Fokus aufs Hören gelenkt, erschließt sich die gewitzte und kluge künstlerische Schau dem Besucher ganz und gar über Klänge.

Noch bis zum 7. September im Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain.


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