LITERATUR: Logische Folgen

Tom Hillenbrands neuer Roman „Drohnenland“ ist kein Koch-Krimi, sondern ein knallharter Science-Fiction-Thriller, der sich kritisch mit der globalen Überwachung auseinandersetzt.

Tom Hillenbrand ist im Großherzogtum vor allem wegen seiner Krimi-Reihe über den Koch und Hobby-Detektiv Xavier Kieffer bekannt. In „Drohnenland“ schlägt er nun ganz andere und düstere Töne an: Dieser Antizipations-Roman kombiniert Technikwissen und spannende Story zu einem Page-Turner, der nebenbei auch noch ein bisschen schlauer macht.

woxx: Vom Koch-Krimi zum Science-Fiction-Thriller: Wann haben Sie sich entschieden, das Genre zu wechseln?

Tom Hillenbrand: Die Leute aus meinem engeren Bekanntenkreis haben mich immer schon gefragt, warum zum Teufel ich diese kulinarischen Krimis schreibe – und wieso keine Science-Fiction, Fantasy oder Weird Fiction, Genres, die ich im Privaten sehr gerne lese. Und ich war ja auch in meinem vorherigen Leben ein Tech-Journalist. Eigentlich köchelte dieses Buch schon seit drei oder vier Jahren. Weil ich mich schon immer gefragt habe: Was machen wir mit all diesen Daten, wenn wir sie haben, und wie wird es uns menschlich – ethisch und moralisch – verändern. Ich habe das aber immer weiter vor mir her geschoben, meine Xavier Kieffer-Serie schön weiter geschrieben. Aber irgendwann hatte ich an die 30 Seiten Notizen und dann konnte ich es nicht mehr ignorieren. Denn dieser ganze technologische Kram hat mich seit jeher fasziniert. Also wenn Sie mich auf drei Variablen herunterbrechen wollen, dann würde ich sagen: Essen, Technologie und Dungeons and Dragons.

„Drohnenland“ spielt in einer nicht allzu nahen Zukunft – auf welche Fakten bezogen Sie sich, als Sie ihre dystopische Welt zusammenbauten?

Eigentlich war es – von der Erzähltechnik her – nicht so viel anders als bei den kulinarischen Krimis. Es geht in „Drohnenland“ ja auch um Dinge, die, im Ansatz zumindest, heute schon technisch möglich sind, und von dem Punkt aus habe ich dann extrapoliert. Ich habe mir natürlich große Mengen an Informationen reingezogen über das, was bei Drohnen oder Big Data gerade ?state of the art‘ ist. Und viele Leute wissen nicht, was alles schon funktioniert. Zum Beispiel gibt es im Buch eine ?Panoptos‘-Drohne die in großer Höhe fliegt und ganze Städte von oben abfilmen kann – den Prototyp davon hat BAE-Sytems in Großbritannien bereits gebaut. Eine kleine Stadt wie Luxemburg könnte man schon flächendeckend mit einer 1,8 Gigapixel-Kamera 24 Stunden lang beobachten. Ob das jemand macht, das weiß man nicht. Denn wenn die Drohne in 7.000 Meter Höhe fliegt, erkennt man sie mit dem bloßen Auge schon gar nicht mehr.

Ihre Zukunftsvision basiert jedoch nicht nur auf der technischen, sondern auch der politischen Entwicklung. Trotzdem kommen die USA in Ihrem Buch so gut wie gar nicht vor …

Ja, die sind irgendwie weg vom Fenster. An vielen Stellen im Buch ist der Weltentwurf sowieso nur anskizziert. Ich weiß auch vieles selber nicht. So habe ich es zum Beispiel peinlichst vermieden, ein Datum oder eine Jahreszahl anzugeben – genau wie mein großes Vorbild William Gibson in „Neuromancer“ oder „Mona Lisa Overdrive“. Ich habe viele Sachen im Buch auch bewusst offen gelassen – zum Beispiel wird nirgends erklärt, wieso die Koreaner auf einmal so eine große Nummer sind. Meiner Meinung nach ist das weite geopolitische Umfeld ja auch nicht das Zentrum der Geschichte. Obwohl ich sicherlich Spaß daran gehabt hätte, das Ganze noch auszureizen. Aber mich als Leser langweilt bei Science-Fiction auch ganz schnell, wenn es ein reiner Futuristik-Porno wird. Seitenlange Backstories über Wirtschaftskrisen, Naturkatastrophen oder Beschreibungen von Raumschiffen, die nichts mit der Story zu tun haben und an denen sich der Autor lediglich ergötzt – das wollte ich vermeiden.

„Der nächste Schritt ist logischerweise ein Ausbau dieser Prädiktion mittels Daten die aus der Überwachung der Bürger stammen.“

Einige Technologien, die Sie beschreiben – besonders die prädiktive Software oder das Mirrorspace -, scheinen doch aus der klassischen Science-Fiction à la Philipp K. Dick zu kommen. Haben Sie sich – neben der Technik – nicht auch aus diesem Fundus massiv bedient?

Ja, also viele Sachen tauchen da auf. Aber das Interessante daran ist, dass zum Beispiel die Prädiktion von Kriminalität, die Philipp K. Dick bereits in „Minority Report“ beschrieb, in seinem Roman nicht auf Technik, sondern auf Telepathen, sogenannten Psy-Begabten, basiert. Er konnte sich also nicht vorstellen, dass man das auch mit Daten machen könnte. Aber so weit sind wir ja jetzt schon: Einige amerikanische Städte lassen ihre Polizeipatrouillen bereits in Gegenden hinfahren, von denen auf der Basis von Daten angenommen werden kann, dass dort etwas passieren wird. Der nächste Schritt ist logischerweise ein Ausbau dieser Prädiktion mittels Daten, die aus der Überwachung der Bürger stammen. Es ist ja jetzt schon so, dass Staaten die Überwachung mit Argumenten legitimieren wie: Hätten wir damals diese eine spezifische Information gehabt, hätte jenes Attentat nie stattgefunden. Und das spielt der Sicherheitspolitik in die Hände. Ich befürchte, dass es viele Politiker gibt, die diesem Druck schneller als man „Vorratsdatenspeicherung“ sagen kann nachgeben werden.

In „Drohnenland“ ist die EU-Kommission fast uneingeschränkte Herrscherin über Europa und andere Teile der Welt. Ist Ihre Fiktion nicht etwas zu eurozentrisch?

Ja sicher ist das ein Fakt. Aber man hätte die Geschichte auch in einem anderen Rahmen erzählen können – einem Nationalstaat oder den USA. Dass ich mich für die EU entschieden habe, ist eigentlich ein bisschen kontra-intuitiv, weil wir uns ja immer sagen, dass wir eigentlich die Guten sind. Aber ganz genau kann ich die Frage nicht beantworten. Es kam eher aus einem Gefühl heraus, das sicher auch etwas mit der jüngeren deutschen Geschichte zu tun hat, dass nämlich jedes Land oder jede Staatengemeinschaft, egal wie rechtsstaatlich, doch eben nur sechs bis sieben Terroranschläge vom Überwachungsstaat entfernt ist. In Deutschland gab es zu Zeiten der RAF die völlig überzogene Rasterfahndung – und das beweist auch, dass, wenn solche Attentate passieren, alle Sicherungen durchbrennen und es sich bei diesem Phänomen mitnichten um ein amerikanisches Spezifikum handelt. Insofern fand ich es besonders interessant – und auch besonders gruselig -, wenn ein Staat, in dem eigentlich alle der Meinung sind, dass sie alles sagen dürfen und es nicht gegen sie verwendet wird, zu kippen anfängt. Wenn wir jetzt noch 30 Jahre sammeln und aus einem eigentlich freundlichen Staatengebilde ein protofaschistoides wird, dann ist es besonders gruselig.

Versteckt sich hinter der Fassade des Buches Kritik an der EU?

Ja, obwohl ich ja eigentlich ein glühender Europäer bin – abgesehen von ein bisschen zu viel Brüsseler Bürokratismus. Aber das Perverse an dem Szenario ist ja, dass der absolute europäische Föderalismus nur durch Druck von außen zustande kommt – und nicht aus einer Friedensidee. Ich finde aber nicht, dass die EU sich jetzt zwangsläufig in diese Richtung entwickelt. Ich finde die EU eigentlich noch ganz gut, ich war sogar wählen.

Sie beschreiben den Gebrauch futuristischer Technik als etwas Alltägliches – war dies eine klare Intention?

Ja sicher, erstens weil ich darauf achten wollte das Buch nicht mit Beschreibungen zu überfrachten. Und zweitens, weil ich überzeugt bin, dass Technologie nicht irgendwie böse ist, sondern immer nur das, was man aus ihr macht. In der Auflösung des Buches rettet die Technologie ja auch wieder die Menschen – durch Hackerculture zum Beispiel. Ein Beispiel für diese Zwiespältigkeit ist das jetzige Verhältnis der Gesellschaft zu Drohnen – das ja eher von Hysterie geprägt ist.

„Ich fand es besonders interessant – und auch besonders gruselig – wenn ein Staat in dem eigentlich alle der Meinung sind, dass sie alles sagen dürfen und es nicht gegen sie verwendet wird, zu kippen anfängt.“

Es gibt aber auch jede Menge Verwendungen von Drohnen, gegen die eigentlich niemand was haben kann. Sei es, dass ein verschwundenes Kind nicht erst nach acht Stunden von Hundertschaften der Polizei mit Schäferhunden gefunden wird, sondern schon viel früher dank einer Drohne. Oder dass ein Landwirt auf Herbizide oder Pestizide verzichten kann, dank Daten, die ihm eine Drohne übermittelt. Also, die Technologie selber ist an sich ja neutral und nicht zielgerichtet.

Interessant ist auch, dass Sie ihr Buch schon vor den Snowden-Enthüllungen fertig hatten.

Ja, vor ungefähr einem Jahr war ich so bei 85 Prozent, als das rauskam, und da habe ich mir gesagt: schneller schreiben! Aber was ich auch feststelle, wenn ich mit anderen Technologie-Experten rede, wie zum Beispiel vor kurzem auf der Re:Publica in Berlin: Sie wussten, dass das geht, und zwar seit Jahren – theoretisch sicher und praktisch zumindest ansatzweise. Aber dass es in einem solchen Umfang gemacht wird, das hat alle verblüfft. Selbst wenn man für eine umfängliche Überwachung wäre, was ich ja nicht bin, sogar dann ist die Position der NSA die radikalst mögliche. Die wollen alles sammeln und zwar für immer. Und die wollen ziemlich sicher einen schlauen Computer haben, der alles für sie durchsieht – eine Art Knecht, der diese riesigen Datenmengen, die kein Mensch durchsehen könnte, analysiert und dabei immer noch dazulernt. Auch solche Computer sind eine logische Folge der Datensammelwut.

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Zur Person
Europa in nicht allzu ferner Zukunft: Die Energiewende wurde durch Solarkriege realisiert, halb Holland ist abgesoffen, und der Kontinent wird von einer allmächtigen Kommission von Brüssel aus regiert. Die totale Überwachung findet mittels Drohnen statt, und Super-Analyse-Ccomputer wissen schon jetzt, was Sie in einer Viertelstunde machen werden – in dieser, nicht unbedingt utopischen, Zukunft spielt Tom Hillenbrands neuer Roman „Drohnenland“, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch. Der Autor, 1972 in Hamburg geboren, lebt heute in München, von wo er regelmäßig kulinarische Krimis über den luxemburgischen Koch Xavier Kieffer verfasst („Tödliche Oliven“, der nächste Roman in dieser Reihe erscheint im Herbst). Nebenbei schreibt der ehemalige Journalist – unter dem Pseudonym Tom König – Kolumnen über die deutsche Service-Wüste auf Spiegel-Online.


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