SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH: „Eine der liberalsten Gesetzgebungen Europas“

Seit 1967 gibt es das „Planning Familial“. In der Hauptstadt, Esch und Ettelbrück können Frauen dort eine kostenlose Beratung in Anspruch nehmen. Präsidentin Danielle Igniti über die neuen Räumlichkeiten und die von der Regierung geplante Reform des Schwangerschaftsabbruchs.

Seit 1999 ist Danielle Igniti Präsidentin des Planning Familial. (Foto: Christian Mosar)

woxx: Vergangene Woche wurden die neuen Räumlichkeiten des Planning Familial eingeweiht. Nun steht Ihnen mehr Raum in der Rue de la Fonderie zur Verfügung. Erhält das Planning im Zuge der Gesetzesreform zusätzliche finanzielle Zuwendungen? Tragen die größeren Räumlichkeiten der neuen gesetzlichen Realität Rechnung?

Danielle Igniti: Ja, das ist klar. Wir haben auch unser Team verstärkt. Es sind jetzt zwei Gynäkologen mehr dabei. Ein Teil des Teams der „education affective“ ist auch größer geworden, und wir haben ein administratives Team von zwei Personen. Also der Mitarbeiterstab hat sich vergrößert und die Klientel auch. Wir kommen jetzt auf 12.200 Konsultationen im Jahr. Die Räumlichkeiten sind jetzt doppelt so groß (800 m2). Wir bekommen die Miete vom Staat bezahlt, und die ist natürlich höher als vorher. Wir wollten die Bereiche aber trennen. Vorher mussten die Frauen, die für einen Schwangerschaftsabbruch kamen, durch einen langen Korridor gehen, um zu der einzigen Toilette zu gelangen. Jetzt sind die beiden Bereiche voneinander getrennt. Das heißt der Trakt mit den Betten, wo wir die Unterbrechung vornehmen, ist abgetrennt vom anderen Bereich und hat auch eine separate Toilette, Dusche, usw. Es ist komfortabler und diskreter. Wir sind jetzt auch flexibler. In den letzten Jahren, als wir nur einen Raum zur Verfügung hatten, konnten wir immer nur Freitags Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, weil da keine Sexualerziehung stattfand; jetzt kann alles parallel laufen. Man stört einander nicht, und das erlaubt es uns, besser zu arbeiten.

Ist es von Relevanz, dass der Straßenstrich in der Nähe ist?

Von den Angeboten, die in Frage kamen, war dieser Ort der praktischste, zunächst einmal, weil er sich in der Nähe zum Bahnhof befindet. Dann haben wir uns auch gedacht, es ist ein bekannter Ort für Jugendliche, weil das Atelier in der Nähe ist. Und es gibt auch viele andere soziale Dienste in der Nähe und im Haus – so zum Beispiel die „Stëmm vun der Strooss“ gegenüber von unserem Gebäude. Das ergibt möglicherweise auch Synergien, die für uns interessant sind.

Werden dank der Straffreiheit mehr Schwangerschaftsabbrüche im Planning vorgenommen?

Ich würde eher sagen, dass sie dadurch sichtbarer werden. Ich denke, es hat immer Abbrüche gegeben, aber die Leute sind irgendwie zurechtgekommen. Auch früher, als das Planning noch keine Schwangerschaftsabbrüche vornahm, gab es so etwa 200 Frauen, die wir ins Ausland vermittelten, und jetzt kommen alle für den medizinischen Abbruch zu uns. 2013 haben wir 630 Abbrüche vorgenommen. Das ist schon viel. Es sind zwei pro Tag – wobei das nicht alle sind, die in Luxemburg stattfinden. Es gibt noch immer eine Dunkelziffer. Aber ich denke, die Tatsache, dass wir das zum Thema gemacht haben, hat das alles auch dedramatisiert. Die Frauen kommen jetzt und sagen ganz klar, „ich möchte einen Schwangerschaftsabbruch machen lassen“. Im Moment gibt es noch diese obligatorische Vorberatung. Wir hoffen, dass die abgeschafft wird und die Frauen dann selbst entscheiden können, ob sie eine Beratung wollen oder nicht. Aber wir wollen sie anbieten, weil wir denken, es gibt Frauen, die sie wollen oder brauchen. Andere erklären ganz klar, nein, ich brauche niemanden, der das hier für mich entscheidet. Und wir entscheiden ja auch nicht, wir helfen den Frauen nur dabei, eine Entscheidung zu treffen.

„Wir sind neutraler im Gesundheitsministerium.“

Künftig fällt die Finanzierung des Planning nicht mehr in die Zuständigkeit des Familienministeriums, sondern in die des Gesundheitsministeriums. Was bedeutet das?

Also historisch ist das so gewesen, dass wir beim Gesundheitsministerium angesiedelt waren, wo wir zwei Konventionen hatten: eine für den medizinischen Teil beim Gesundheitsministerium und eine beim Familienministerium. Dann gab es aber in Luxemburg diese Diskussion um „dysfonctionnement“, und man hat uns gesagt, man dürfe als asbl nur eine Konvention mit einem Ministerium haben. Da hat dann das Familienministerium die Zuständigkeit übernommen. Wir haben gesagt, dass es für uns eigentlich logisch ist, dem Gesundheitsministerium zu unterstehen – wir wollen ja auch ein Zentrum für sexuelle Gesundheit sein. Das ist unser Ziel, also ein nationales Zentrum für sexuelle und reproduktive Gesundheit. 70 Prozent unserer Aktivitäten sind ja medizinisch. Wir haben auch gesagt, wir bleiben bei dem Namen, obwohl der Name „Planning Familial“ irreführend ist. Heute ist Familie ein sehr weiter Begriff, es gibt zum Beispiel gleichgeschlechtliche Familien. Wir wollen uns eigentlich nicht diesem traditionellen Familienbild verpflichten. Wir sind neutraler im Gesundheitsministerium.

Wird künftig durch die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen der sogenannte „Abtreibungstourismus“ verhindert?

Der kommt eigentlich nur noch bei Frauen vor, deren Schwangerschaft schon über die 12. Woche hinausreicht. Wir nehmen nur Eingriffe im Rahmen des Gesetzes vor. Wenn Frauen über die 12. Woche hinaus schwanger sind und trotzdem abtreiben wollen, müssen wir sie nach Holland vermitteln. Und dann gibt es Frauen, die hier bekannt, beziehungsweise sehr bekannt sind und aus diesem Grund lieber ins Ausland gehen. Aber beim Planning tun wir eigentlich alles, damit die Frauen hier bleiben können.

Die zweite Konsultation entfällt ja nun – außer bei Minderjährigen – gänzlich. Der erste Beratungstermin bleibt dagegen verpflichtend. Außerdem müssen sich Frauen nicht mehr in einer „sozialen Notlage“ befinden beziehungsweise diese nachweisen. Ist damit alles erreicht, was das Kollektiv „Je veux“ gefordert hat?

Die erste Konsultation ist schon wichtig, weil sie eine gynäkologische ist, mit der die Schwangerschaft festgestellt wird. Die Frau weiß dann, woran sie ist. Ich meine, diese Konsultation ist fast nicht wegzudenken und sie ist auch, glaube ich, für die Frauen nicht traumatisierend. Die obligatorische Vorberatung dagegen kann traumatisch auf die Frau wirken, weil sie sich rechtfertigen muss oder glaubt, sich rechtfertigen zu müssen. Man kann das aber auch so gestalten – und darauf sind unsere Fortbildungen auch ausgerichtet – dass sie nicht traumatisierend wirkt. Aber es bleibt ein Zwang, und Zwänge sollte es nicht geben. Also wir sind ganz gegen eine obligatorische Beratung beim Schwangerschaftsabbruch, aber wir denken, dass das Angebot bestehen sollte. Und für uns ist das Gesetz, was die Selbstbestimmung anbelangt, ziemlich okay. Ein staatliches Krankenhaus müsste aber garantieren, dass es einen Abbruch vornimmt, wie es im Gesetz steht. In irgendeiner Form sollte im Gesetz stehen, dass der „service public“, also ein öffentliches Krankenhaus, eine Schwangerschaftsunterbrechung durchführen muss.

„Ein staatliches Krankenhaus müsste garantieren, dass es einen Abbruch vornimmt, wie es im Gesetz steht.“

Ist aus Ihrer Sicht ein Maximum an Selbstbestimmung der Frauen erreicht? Oder könnte die Regelung noch liberaler sein? In den Niederlanden ist ja ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 24. Woche möglich …

Ich denke, dass, wenn das Gesetz so durchkommt, wie der Entwurf es vorsieht, wir eine der liberalsten Gesetzgebungen in Europa haben. Das ist schon eine gute Sache. Wenn wir die Betroffenen früh genug informieren und eine gute Vorarbeit leisten, so dass wir schnell reagieren können, dann ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass wir über die 12. Woche hinaus kommen.

Wo sehen Sie noch Nachholbedarf? Im Bereich der Sexualaufklärung? Glauben Sie, dass auch im Bereich der Verhütung eine noch progressivere Handhabung möglich wäre? Die Pille wird ja momentan nur für Frauen bis 25 Jahre erstattet. Alternative Verhütungsmittel, wie die Spirale, können sich manche Frauen gar nicht leisten.

Es ist ganz klar, dass wir am Verhalten der Frauen und Männer, was Verhütung anbelangt, arbeiten müssen. Auch die Männer müssen sich Gedanken dazu machen. Denn sonst ist es immer eine Angelegenheit der Frauen, betrifft nur sie und bleibt an ihnen hängen. Die Männer interessieren sich eigentlich nicht dafür. Erst, wenn sie dann ein Kind „aufgehalst“ bekommen. Der Ausdruck sagt eigentlich schon alles. Die zweite Frage ist: welche Verhütung für wen? Es ist für uns eigentlich sehr seltsam, dass das Ministerium entschieden hat, nur die orale Verhütung zu erstatten. Denn die ist nicht für jede Frau geeignet – aus gesundheitlichen Gründen und auch aus Gründen des Lebensstils. Es gibt Leute, die führen ein Leben, bei dem es nicht möglich ist, regelmäßig eine Pille zu nehmen. Das geht irgendwann daneben, das ist ganz klar. Eine Pille nehmen bedeutet auch Disziplin, man muss nachdenken, es ist gar nicht so einfach. Es gibt aber andere Verhütungsmittel, wie die Spirale oder das Implanon. Dass nur die orale Kontrazeption zurückerstattet wird – das werden wir auch zum Thema machen und versuchen, zusammen mit dem Ministerium weiterzukommen. Die Erstattung bis 25 haben wir erkämpft. Das war schon nicht einfach, und wir haben uns in einer ersten Phase damit zufrieden gegeben, aber wir wissen, dass das nicht genügt. Es ist auch nicht realistisch, weil das Durchschnittsalter für Schwangerschaftsabbrüche bei uns bei 26 Jahren liegt. Wir denken, dass wir daran etwas ändern müssen. Es ist nicht gerechtfertigt, dass es hier eine Altersgrenze gibt, zumal die Frauen ja in einer Zeitspanne von 16 bis 45/48 Jahre Kinder bekommen können. Das Argument, es sei eine Frage der Verantwortung, finde ich auch ein bisschen schwach, denn für die, die viel Geld haben, ist der Preis für eine Schachtel Pillen nichts, und für die, die nicht viel Geld haben, ist es sehr viel. Es ist also auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Glauben Sie, dass der „Erfolg“ der Gambia-Regierung von Dauer sein wird? In Spanien kann man ja eine Regression beobachten. Unter dem sozialistischen Ministerpräsident Zapatero war die Regelung erstmals liberalisiert worden. Der im Dezember 2013 verabschiedete Gesetzesentwurf sieht nun aber vor, dass künftig Abtreibungen nur noch im Falle einer Vergewaltigung oder bei akuter Gefahr der Gesundheit der Mutter straffrei möglich sind. Halten Sie eine ähnliche Entwicklung im katholisch geprägten Luxemburg für denkbar?

Ich würde sagen: nein, und zwar weil die CSV sich in diesem Dossier gar nicht so quergestellt hat wie die Konservativen in Spanien. Ich glaube, dass in der CSV inzwischen sehr viele Leute in gesellschaftspolitischer Hinsicht progressiver geworden sind und dass es nur noch vereinzelte Strömungen gibt, die sich extrem verhalten und so weit gehen würden, dass sie Schwangerschaftsabbrüche nur bei Vergewaltigungen tolerieren. Die Gefahr geht eher von der ADR und Gruppen aus, die der katholischen Kirche sehr nahe stehen, wie die Legionäre Christi, von denen man nicht viel hört, die aber im Untergrund agieren. Diese Leute sind schon irgendwie da, und es hängt meiner Meinung nach von der Gesellschaft ab, wie stark sie sich mobilisiert, wie schnell sie reagiert, wie die jungen Leute ihre Rechte verteidigen und wie schnell die Frauen aufstehen und sagen: „Das kommt nicht in Frage!“ Ich meine aber, wenn wir das ein bisschen im Auge behalten, können wir es kontrollieren.


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