WOHNUNGSMARKT: Eigentum verpflichtet

Kaum ins Leben gerufen, war er schon wieder verschwunden: Der Leerstandsmelder. Dabei gibt die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Luxemburg den Betreibern eigentlich Recht.

„Wenn Häuser bis zu zehn Jahre lang leer stehen, muss man sogar an Enteignung denken können.“ – Demo gegen hohe Mieten in Berlin.

„Ich glaube, der Leerstandsmelder hat deshalb für so großes Aufsehen gesorgt, weil er den Finger in die Wunde gelegt hat“ sagt Dr. Jochen Zenthöfer, Vizepräsident von „Sauvegarde du patrimoine asbl“ und Urheber des besagten Leerstandsmelders. Die Homepage www.leerstandsmelder.lu, auf der Interessierte leerstehende Häuser und Wohnungen melden konnten, war Anfang vergangener Woche in Betrieb gegangen, einige Tage später aber wieder vom Netz genommen worden. „Es gibt unterschiedliche Gründe für Leerstand. Zum einen gibt es Leerstand, weil Eigentümer spekulieren wollen und weil sich ein leerstehendes Haus besser verkauft als ein vermietetes. Zum anderen haben aber auch Hauseigentümer uns kontaktiert, die teilweise gute Erklärungen für eine leerstehende Immobilie hatten.“ Zenthöfer erklärt: „Es gibt Menschen, die auf gerichtliche Entscheidungen warten und ein Haus aus rechtlichen Gründen nicht vermieten können. Andere warten auf die Genehmigung für Umbauarbeiten.“ Weil man teilweise nicht darüber urteilen könne, ob der Leerstand in einem gegebenen Fall gerechtfertigt ist oder nicht, habe man es vorgezogen, die Seite zu schließen. Außerdem hätten einige Leute mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. „Wir haben als asbl weder die finanziellen noch die zeitlichen Mittel, es auf ein Gerichtsverfahren ankommen zu lassen“ bittet Jochen Zenthöfer um Verständnis.

„Es gibt kein Menschenrecht auf Van-Gogh-Gemälde. Ein Menschenrecht auf Wohnen aber sehr wohl.“

„Der größte Lump im ganzen Land, ist und bleibt der Denunziant“ hatte ein Internetnutzer die Nachricht von der Inbetriebnahmen des Leerstandsmelders kommentiert. „Was ich mit meinem Eigentum mache, geht niemanden etwas an“ ein anderer. „In Luxemburg wird Eigentum, besonders Grundeigentum, als Recht angesehen“ meint Jochen Zenthöfer. „Ich habe ja kein Problem damit, wenn Leute Diamanten oder Van-Gogh-Bilder in ihrem Keller horten, es gibt kein Menschenrecht auf Van-Gogh-Gemälde. Ein Menschenrecht auf Wohnen gibt es jedoch sehr wohl. Das kann aber nicht gewährleistet werden, wenn Eigentümer Leerstand horten.“

Es gebe in Luxemburg ein generelles Problem bei der Eigentumsverteilung, so Zenthöfer. Es folgt der mittlerweile fast schon obligatorische Verweis auf den französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, dessen Schmöker „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ seit Monaten diskutiert wird: „Piketty sagt ja, dass wir uns gewissermaßen ins 18. Jahrhundert zurückentwickeln, dass man Wohlstand heute nur noch ererben, nicht aber erarbeiten kann. Ich glaube, in Luxemburg können wir diese Entwicklung sehr konkret beobachten.“ Wer hier in Luxemburg aufwachse und keine Häuser, Grundstücke oder Bauland erbe und niemanden heirate, der ein potenzieller Erbe ist, der habe „Pech gehabt“. „Wer das Glück hat, beim Staat zu arbeiten, kann natürlich einen Kredit bekommen, verschuldet sich aber auch über einen längeren Zeitraum.“ Ansonsten bleibe für junge Leute nur die Möglichkeit, ins nahe Ausland oder ins Ösling zu ziehen. „Dieses Problem betrifft inzwischen auch die Mittelschicht, die Original-Luxemburger sozusagen. Und es wird sich weiter verschärfen.“

Dass sich die Wohnungsproblematik in den nächsten Jahren massiv verschärfen wird, davon ist Jochen Zenthöfer überzeugt. „In Frankreich wurde ja unter François Hollande der Spitzensteuersatz auf Vermögen erhöht. Das führt dazu, dass immer mehr reiche Franzosen, vor allem aus Paris und Île-de-France, vor dem Fiskus nach Luxemburg fliehen.“ Aber nicht, um wie bisher ihr Geld hier anzulegen, ansonsten aber in Frankreich zu wohnen: „Die reichen Franzosen ziehen hierher. Ihr Geld legen sie wert-
erhaltend in Immobilien an, die dann sehr oft leer bleiben.“ Für Zenthöfer ist das einer der Gründe, weshalb sich das Wohnungs- und Leerstandsproblem noch verschlimmern wird.

„Jede Gemeinde weiß, wo es Baulücken gibt, und warum. Jede Gemeinde weiß auch genau, wo Leerstand besteht.“

Ungefähr 68 Prozent der in Luxemburg Lebenden sind Eigentümer. Wer hier ein Haus kaufen will, musste im Jahr 2011 durchschnittlich 3.328 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche ausgeben. Höher sind die Wohnungspreise: 4.043 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche kostete 2011 eine Wohnung im Durchschnitt. Spitzenreiterin bei den Immobilienpreisen ist die Stadt Luxemburg. Durchschnittlich 4.164 Euro pro Quadratmeter musste man für ein Haus in Luxemburg-Stadt bezahlen, sogar 5.156 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung. Laut einer Analyse von Julien Licheron in der Zeitschrift „forum“ (forum 311) sind die Wohnungspreise im Land zwischen 2005 und 2010 um 20 Prozent gestiegen, die Preise für ein Haus um 15 Prozent. Eine durchschnittliche Miete betrug 2011, quer durchs Land, 1.131 Euro im Monat. In Luxemburg-Stadt waren es sogar 1.246 Euro. Der Preis für einen Quadratmeter Wohnfläche liegt auf nationaler Ebene bei 15,43 Euro, in der Hauptstadt bei 17,73 Euro.

„Wenn man ein Wohnungsproblem hat, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man baut neue Wohnungen, oder verwendet die alten, leerstehenden“ sagt Jochen Zenthöfer. Die erste Lösung habe hier in Luxemburg anscheinend Priorität, habe aber in den vergangenen Jahren nicht funktioniert. „Die Regierung sagt jetzt, die Sache mit dem ‚Pacte logement‘ habe nicht geklappt. Es gibt eben auch natürliche Grenzen des Bauens! Die Bauunternehmen sind völlig ausgelastet, Luxemburg produziert pro Kopf am meisten Bauschutt in Europa, und auch verkehrstechnisch stößt man irgendwann an Grenzen.“ Die Idee hinter dem Leerstandsmelder sei gewesen, den bestehenden Wohnraum zu verwerten. „Es gibt in Luxemburg zwischen 10.000 und 20.000 leerstehende Wohnungen und Häuser. Die Politik muss sich darum kümmern, dass die benutzt werden!“

Ende vergangener Woche stellte Wohnungsbauministerin Maggy Nagel ein sogenanntes „Baulückenprogramm“ vor. Ihr Ministerium soll in Zusammenarbeit mit den Gemeinden eine Aufstellung sämtlicher brachliegenden Parzellen und ihrer Verfügbarkeit erarbeiten. Die Baulücken, die sich in Gemeindehand befinden, in einer bebaubaren Zone liegen und verfügbar sind, sollen nutzbar gemacht und bebaut werden. Nagel erklärte auch, der von der vorherigen Regierung ins Leben gerufene „Pacte logement“, laut dem die Gemeinden innerhalb von zehn Jahren und mit massiver finanzieller Unterstützung des Staates 52.000 neue Wohnungen schaffen sollten, sei gescheitert. Die Regierung habe dafür 55 Millionen Euro an Staatsausgaben vorgesehen, doch am Ende könnte der „Pacte logement“ das Budget mit 500 Millionen Euro belasten. Bereits im Januar diesen Jahres hatte die Ministerin verkündet, es seien in sieben Jahren über 200 Millionen Euro aufgewendet worden. Das magere Resultat: 7.300 neue Wohnungen.

„Jede Gemeinde weiß, wo es Baulücken gibt, und warum. Dafür muss man nicht, wie angekündigt, mit dem Hubschrauber über Land fliegen und die Lücken fotografieren.“ Doktor Jochen Zenthöfer, Initiator des Leerstandsmelders, ist sich sicher: „Jede Gemeinde weiß auch genau, wo Leerstand besteht, der genutzt werden könnte. Wo ein Haus steht, aber kein Wasser verbraucht wird und kein Müll entsorgt werden muss, da ist Leerstand. Das ist keine Hexerei!“

„Die Leute, die in Luxemburg Leerstand besitzen, gehören oft zu den alteingesessenen Familien.“

Ginge es nach Zenthöfer, würde eine Steuer auf Leerstand im ganzen Land erhoben. „Es heißt oft, diese Steuer widerspreche dem Verfassungsgrundsatz des Eigentumsrechts. Die Verfassung wird aber gerade überarbeitet, dieser Punkt könnte dementsprechend auch überarbeitet werden.“ Im deutschen Grundgesetz gebe es beispielsweise den Zusatz: „Eigentum verpflichtet.“ Auch ein „Wohnraumschutzgesetz“ nach dem Muster des im Bundesland Hamburg geltenden, das vorschreibt, dass auch leerstehende Häuser zu erhalten seien, kann Zenthöfer sich vorstellen. „Wenn Häuser bis zu zehn Jahre lang leer stehen, muss man sogar an Enteignung denken können“, sagt er, denn „ein Eigentümer muss Leerstand rechtfertigen können.“ Er fände es im Fall von Enteignungen auch in Ordnung, wenn Entschädigungszahlungen getätigt würden.

Die CSV-LSAP Regierung hatte Anfang 2013 entschieden, Gemeinden die Möglichkeit zu geben, eine Steuer auf leerstehenden Wohnraum zu erheben. Ein „règlement-type“ war ausgearbeitet worden, das die Gemeinden auf freiwilliger Basis übernehmen konnten. Anfang Mai teilte Maggy Nagel in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mit, dass bisher lediglich die Gemeinden Beckerich, Diekirch, Redange/Attert und Esch/Alzette das „règlement“ übernommen hätten.

„Warum die Stadt Luxemburg diese Steuer nicht einführt? Weil die Wähler, die in Luxemburg-Stadt wichtig sind, die sind, die dort wohnen. Die, die gezwungenerweise ins Ösling oder nach Frankreich und Deutschland ziehen, wählen ja nicht mehr hier, sind also de facto uninteressant für Frau Polfer.“ Jochen Zenthöfer geht noch weiter: „Die Leute, die hier in Luxemburg Leerstand besitzen, gehören oft zu den alteingesessenen Luxemburger Familien. 90 Prozent des Grundeigentums verteilt sich auf ungefähr 100.000 Personen. Das sind die Familien, die hier in Luxemburg immer noch den Ton angeben.“


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