FILMEMACHER: Avantgarde im Spagat

Der Filmmacher Hans Richter und sein logisches Kalkül – ein beständiger Spagat zwischen Abstraktion und Inhalt.

Hans Richter (dritter von rechts unten), im Kreis Gleichgesinnter, beim Kongress der Konstruktivisten und Dadaisten, Weimar, 1922.

Hüte fliegen, ein Feuerwehrschlauch rollt sich ab und von alleine wieder auf. Auf einem Wasserstrahl tanzt ein Hut, Wasser fließt rückwärts. Ein Mann steigt unermüdlich eine Leiter rauf und setzt mit einem Ruck von vorn an. Hüte fliegen, Köpfe und Zöpfe machen sich selbständig und schließlich landen die losgelassenen Hüte punktgenau vier Männern auf dem Kopf. „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut./In allen Lüften hallt es wie Geschrei./Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei./Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.“ Die Assoziationen zwischen Hans Richters Film „Vormittagsspuk“ von 1928 und Jacob van Hoddis‘ Gedicht „Weltende“ von 1911 sind trotz zwanzig Jahren zeitlicher Distanz recht auffällig. Geht es dort um die expressionistische Beschreibung einer Endzeitstimmung, so hier um den dadaistischen Aufstand gegen Routinen.

Crossover-Effekte und mediale Grenzüberschreitungen zwischen Film und Kunst, die heute viel beschworen werden, sind buchstäblich ein alter Hut. Hans Richters Kunst, die der expressionistische Filmtheoretiker Rudolf Kurtz einmal mit dem Begriff des „logischen Kalküls“ charakterisiert hat, kommt einem beständigen Spagat zwischen Abstraktion und Inhalt, zwischen Malerei und Film und zwischen Literatur und Kunst gleich. Bei kaum einem andren Filmkünstler ist die lebendige Inspiration zwischen Film und Malerei, zwischen Film und Literatur so konsequent verlaufen. Sein Leben lang hat sich Richter für den Film – auch publizistisch in Büchern wie „Filmgegner von heute – Filmfreunde von morgen“ und „Der Kampf um den Film“ – engagiert und ist doch zeitlebens Maler geblieben. „Dynamische Probleme“ der Malerei führten Richter zum Film. „Wenn es den Film nicht gegeben hätte, so wäre ich zweifellos damit zufrieden gewesen, die Möglichkeiten der Rollenbilder zu erweitern, die wiederum die Erweiterung des Einzelbildes sind. Oder vielleicht hätte ich den Film erfunden – wer weiß?“ Das jedenfalls hat Hans Richter einmal auf die Frage geantwortet, wie er von der Malerei zum Film gekommen sei. Neben den abstrakten Filmkünstlern Walter Ruttmann und Viking Eggeling gilt Hans Richter (1888 – 1976) als der „konsequenteste Vertreter“ des abstrakten Films.

Mit seinen Interpretationen von Expressionismus, Futurismus und Kubismus fand der Maler Zugang zur Avantgarde. Nach dem Studium an der Kunstakademie in Weimar bot ihm Dada die „absolute Freiheit“ und 1917 die erste Ausstellung in Zürich und bereits zehn Jahre später, im Juni 1929, zeichnete Richter für das Filmprogramm der „FiFo“, der großen Film und Foto Ausstellung des Werkbundes in Stuttgart, verantwortlich. Neben seinem Film „Vormittagsspuk“ zeigte er expressionistische, surrealistische, realistisch-neusachliche Filme von Man Ray, Fernand Léger, Viking Eggeling und Carl Theodor Dreyer. Vom aberwitzigen „Vormittagspuk“ war die zeitgenössische Kritik hingerissen. „Das Motiv von den Hüten, die in der Luft schweben und sich so wenig einfangen lassen, wie ein gewitzter Falter“, schrieb beispielsweise Alfred Einstein im Berliner Tageblatt zur Premiere der Lichttonfassung 1929, „ist ein Einfall ersten Ranges“. Leider ging die für die Tonfilmversion ursprünglich von Paul Hindemith verfasste Musik für mechanisches Klavier verloren. Hans Richter, der darauf bestand, dass Musik das Rhythmische seiner Filme betont, ersetzte sie später durch bayerisch anmutende Volks- und Marschmusik.

„Rhythmus 21 (Film ist Rhythmus)“ zeigt abstrakte Formelemente, die wachsen, verkümmern, verschwinden und sich wieder ausbreiten. Die Tonfilmfassung des Films wird seit den 50er Jahren mit Boogy-Woogy Rhythmen unterlegt. Der Experimentalfilmer Jonas Mekas war 1968 schon so hingerissen von dem Film, dass er „die abstrakten filmischen Elemente“ vollkommen ausgeschöpft sah. Richter selbst sah die Zukunft des Films weit optimistischer: „In dem Film von morgen werden alle Arten der Filmgestaltung enthalten sein.“ Seinen ersten Filmessay drehte Richter als Auftragsarbeit für die Ufa. Für den Spielfilm „Die Dame mit der Maske“ produzierte er eine kurze Filmsequenz, die in der Geschichte um den moralischen Abstieg einer verarmten Adeligen den Geldverfall illustrierte. Da wirbeln Scheine und Zahlen durcheinander und „die Raffgesichter der Provisionshyänen“ (Hans Feld, Film Kurier) zucken durchs Bild.

Bemerkenswert ist, dass Hans Richters Werk neben dem Abstrakten das Inhaltliche und Politische nie aus den Augen verlor. Absolutes Programm, auch bei seinen Auftragsarbeiten, ist bei Richter die Suche nach den letzten Gründen des Seins hinter den sinnlichen Wahrnehmungen. So auch in dem Werbefilm „Das neue Wohnen“, in dem er den alten Nippes durcheinander wirbelt und die gute Stube als „Quelle von Arbeit und Ärger“ enthüllt. In seinen Rollenbildern beispielsweise kommentiert Richter in einer „semi-abstrakten Formensprache“ europäische Politik und Kriegsereignisse wie „Stalingrad“, 1943/44, und „Die Befreiung von Paris“, 1944/45. „Flächen geben Informationen über unser Verhalten im Allgemeinen, über uns selbst, über das Zusammenleben mit anderen“, sagt Hans Richter. Zwischenräume, Zwischentöne, Farben und Umrisse sind dabei bedeutungsvoll. Spannungen zwischen Natur und Kunst „bestimmen uns, wie der Wind die Bäume.“

Liebe erstickt

„Dreams That Money Can Buy“, 1947 bei den Filmfestspielen Venedig zum „besten Originalbeitrag zum Fortschritt des Films“ gekürt, macht in sieben Episoden das „Misstrauen gegenüber unserer mechanisierten Zivilisation zum Thema“. „Der Film hat keine Handlung“, soll Hans Richter bei einer Vorführung seinem New Yorker Publikum mit auf den Weg gegeben haben, „sie müssen sich ihre eigene dazu machen“. Gleichwohl offenbart der Film, dass die zeitgenössische Kunst sich einer Welt widersetzt, die den Ausdruck von Liebe und schöpferischer Spontaneität erstickt. In den letzten Kriegsjahren mit Beiträgen von Max Ernst, Marcel Duchamp und Man Ray entstanden, jongliert Richter hier in heiterer Melancholie mit dem „Jahrhundert-Mobiliar“. Zur Krise des Films und zur aktuellen Wechselbeziehung zwischen Film und Kunst, zwischen Kino und Museum machte der hellsichtige John Mekas eine passende Bemerkung. Der hatte sich 1968 in einem Beitrag für die „Village Voice“ darüber gewundert, dass zu der Premiere von Richters letztem Film „Dadascope“ im New Yorker „Moma“ so wenig Filmemacher erschienen waren: „Während Richter und sein Werk jünger und jünger werden, wird der Underground-Filmemacher alt und senil und verliert das Interesse, dort zu sein, wo die Energie ist.“
Mehr zu Hans Richter:
„Hans Richter – Film ist Rhythmus“, Kinemathek, Nr. 95, 40. Jahrgang, Juli 2003


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