STËMM VUN DER STROOSS: Sozialer Anker

Seit ihrer Gründung ist die „Stëmm“ stetig gewachsen und seit langem fester Bezugspunkt für Menschen in sozialer Not. Ohne ihre Strukturen stünde das kleine, reiche Luxemburg arm da. Doch die Obdachlosigkeit bleibt. Wird die Stëmm ihrem Anspruch der sozialen Reintegration gerecht?

Breite Themenpalette – jeden Donnerstag trifft sich das Redaktionsteam der Stëmm, um über das Thema der neuen Ausgabe zu diskutieren. Im neuen Heft wird sich alles um Wohnungsnot in Luxemburg drehen.

Luxemburg mag vielen noch immer als Synonym für Wohlstand gelten, eine Wohlstands-Insel ist es nicht. Soziale Not und Obdachlosigkeit sind – wenngleich in der Oberstadt weniger sichtbar – doch im Alltag überall präsent. „Die Leute werden vielleicht durch das soziale Netz besser aufgefangen als in anderen Ländern, aber es gibt auch Menschen, die keinerlei Rechte haben, und die fallen durch das soziale Netz“, meint die Direktionsbeauftragte der Stëmm vun der Strooss, Alexandra Oxacelay. Es sind vor allem Flüchtlinge, Personen, die kein Aufenthaltsrecht oder keinen Anspruch auf RMG haben, weil sie keinen Wohnsitz nachweisen können und ergo auch nicht kranken- und sozialversichert sind.

Gerade für diese Menschen ist die „Stëmm“ oft die einzige Anlaufstelle, wo ihnen zumindest kurzfristig geholfen werden kann. Hier bekommen sie eine warme Mahlzeit, Kleidung, die Möglichkeit zu duschen und – falls nötig – eine ärztliche Behandlung, bevor sie, wie es nur zu oft geschieht, von einer Einrichtung zur nächsten weitergereicht werden. Offiziell fällt die Versorgung von Menschen ohne Aufenthaltsrecht nicht in die Zuständigkeit der Stëmm. So ist das Rote Kreuz noch immer die zentrale Anlaufstelle für „sans papiers“. Doch die Stëmm versteht sich als offene Struktur. Im Grunde stehen die Türen jedem offen, der mittags eine warme Mahlzeit braucht. Die Direktionsbeauftragte Oxacelay, die die Stëmm als offenes Haus sieht, wünscht sich, dass etwa auch AnwohnerInnen aus der Nachbarschaft einfach mal reinschauen, eine Tasse Kaffee trinken kommen, um Ängste abzubauen. „Wir sind offen für jeden“ betont sie. Man arbeite daher bewusst niederschwellig, versuche die Menschen aufzuklären und über vorhandene Strukturen, wie das als ‚Fixerstuff‘ bekannte „Obrigado“, zu informieren. Die Bahnhofsnähe des neuen Standortes in Hollerich sieht Oxacelay ganz klar als Vorteil. Der Konsum von Alkohol und sonstigen Drogen ist bei der Stëmm verboten.

Offene Struktur

„Soziale und professionelle Reintegration zu machen“, ist das erklärte Ziel der asbl, die es seit 1996 gibt und die über eine Konvention mit dem Gesundheitsministerium – vergleichsweise großzügig – finanziert wird. Dank dieser Subventionen konnte sie ihr Angebot sukzessive erweitern. Mit rund 2,8 Millionen Euro wird die Stëmm in diesem Jahr staatlich gefördert, um ihre fünf Standorte, zwei in Luxemburg-Stadt, zwei in Esch und einen in Schönfels, zu unterhalten. Angefangen hat es mit der Zeitung und der Ambulanz, dem „Dr. Stëmm“, einer kostenlosen medizinischen Beratung, dann kam das Restaurant hinzu, ein Treffpunkt, eine Kleiderstube und schließlich die zweite Struktur in Esch, wo in der Waschküche heute 30 Personen beschäftigt sind; 4.000 Uniformen werden dort wöchentlich gewaschen.

Der Bedarf an Hilfe ist in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot groß. Die Zahlen sprechen für sich. Die neuen, 760 Quadratmeter großen Räumlichkeiten in Hollerich, die am 25. Juni offiziell eingeweiht und bereits Mitte November bezogen wurden, sind bei weitem nicht zu groß. Mittags bildet sich an der Essensausgabe meistens eine lange Schlange. Täglich zwischen 12 und 14 Uhr bietet die Küche in Hollerich sozial Bedürftigen eine Mahlzeit an. Rund 20.000 Mahlzeiten wurden hier seit der Eröffnung ausgegeben, in Esch und Luxemburg waren es im letzten Jahr insgesamt rund 50.000. Und die Zahl der Menschen, die für ein warmes Essen zur Stëmm kommen, wächst stetig. Allein im vergangen Jahr hat die Stëmm rund 2.500 Personen in ihren verschiedenen Strukturen empfangen, darunter nicht nur Obdachlose, sondern Menschen in sozialer Notlage, RMG-Empfänger, ehemalige Strafgefangene, Alkohol-Abhängige. 80% der Hilfesuchenden sind männlich, der Altersdurchschnitt liegt bei 36 Jahren.

Die Erweiterung der Räumlichkeiten bringt aber nicht nur Vorteile mit sich. Die Anzahl der MitarbeiterInnen hat sich nicht vergrößert. Nach wie vor sind für die Einrichtung in Hollerich nur 4,5 feste Stellen vorgesehen. Freiwilligenarbeit bleibt damit noch immer Voraussetzung für das Funktionieren der Stëmm – ohne die vielen Ehrenamtlichen wäre der Verein nichts. „Freiwilligenarbeit ist für die Stëmm immens wichtig, aber es müssen Leute sein, die nicht nur das Helfersyndrom haben, sondern wirklich eine Hilfe sind und nicht selbst Hilfe brauchen.“ Gute ehrenamtliche MitarbeiterInnen zu finden, sei nicht einfach, berichtet Oxacelay.

Einige Projekte werden noch immer ausschließlich über Spenden finanziert, so zum Beispiel die „Immo Stëmm“, wo der soziale Verein 20 Wohnungen verwaltet, oder der Stëmm-Caddy in Bonneweg. Parallel zum Umzug nach Hollerich wurde beschlossen, die Struktur in Bonneweg zu erhalten und dort ein neues Atelier für insgesamt 140 Beschäftigte einzurichten. Die bereiten dort jeden Tag 300 Essenspäckchen vor, die in Luxemburg und Esch an Bedürftige verteilt werden.

Freiwilligenarbeit bleibt Voraussetzung

Von anderen sozialen Strukturen unterscheidet sich die Stëmm durch ihre offensive Öffentlichkeitsarbeit. „Die Idee, offensiv nach außen zu gehen, bewusst an die Schulen zu gehen, um für das Thema Armut und Obdachlosigkeit zu sensibilisieren und damit Prävention zu machen“. Dafür bringt sie die Zeitung heraus und lädt Schulklassen ein, die für einen Tag in der Küche helfen. Vor 15 Jahren habe sich Oxacelay immer gedacht, die Menschen in sozialer Not nach außen bringen, heißt, die Leute zu valorisieren.

Bewusst setzt die Stëmm damit auf das emanzipative Moment, will gerade nicht den Mitleidsblick auf die „armen mittellosen Obdachlosen“ lenken, sondern sie durch ihre Beschäftigung wertschätzen. Nicht immer kommt das jedoch draußen so an, wie es gedacht ist. Gerade in Luxemburg gibt es auch viele, die meinen, mit dem Geld vom Staat würden Leute unterstützt, die nichts machen und auch nichts machen wollen. „Wenn du einmal den Stempel hast, dann hast du ihn“ sagt ein Mann in dem von der Stëmm herausgegebenen eindrucksvollen Video-Spot „Follow Me Home“ (von Vituc und Marc Hammer). Überhaupt lohnt es, sich den etwa zwanzigminütigen Spot anzusehen, um ansatzweise zu begreifen, wie schnell Menschen auf der Straße landen können und dann nicht mehr aus der Abwärtsspirale herauskommen. Es ist viel schwieriger, Spenden für Menschen zu bekommen, die als „obdachlos“, „drogenabhängig“ oder „Ex-Knacki“ abgestempelt sind, als für Kinder oder Krebskranke. Denn die Vorurteile sitzen tief. Diese Ängste durch Öffentlichkeitsarbeit abzubauen, zu zeigen, dass es sich bei Obdachlosen eben nicht um Menschen handelt, die nicht arbeiten wollten, ist daher noch immer wichtig. Ob es dafür aber hilfreich ist, dass die MitarbeiterInnen mit T-Shirts herumlaufen, auf denen das Logo der Stëmm aufgedruckt ist? Die Struktur gibt sich jedenfalls selbstbewusst.

Stigma Straße

Ein Herzstück der Stëmm – gerade in puncto Öffentlichkeitsarbeit – ist die Zeitung, die sich in den letzten Jahren von einer zehnseitigen Broschüre zur 30 Seiten umfassenden Zeitschrift gemausert hat. Sie erscheint in einer Auflage von 6.000 Stück und wird an soziale Träger verteilt, wo sie gratis ausliegt. Daneben können Privatpersonen ein Abo für 15,- Euro/Jahr erwerben; zurzeit zählt sie 600 Abonnenten. Es ist ein breites Themenfeld, über das sich das siebenköpfige Redaktionsteam in seinen Versammlungen den Kopf zerbricht. Soziale Fragen „die uns alle irgendwie betreffen und interessieren“, wie ein Redaktionsmitglied erläutert. Einmal pro Woche findet eine Redaktionsversammlung statt. Am frühen Nachmittag werden dann Themen sondiert und Einzelheiten der nächsten Ausgabe besprochen. Das Thema der letzten Ausgabe war Konsum. Neben den Sozial-Epicerien wurde über den Stëmm-Caddy berichtet, außerdem habe man über Möglichkeiten wie die „Cent Buttek“ informieren wollen. Die nächste Ausgabe der Stëmm-Zeitschrift wird die Wohnungsnot in Luxemburg thematisieren. 2005 habe man das Problem schon einmal behandelt – Themen könnten sich wiederholen -, aber die Wohnsituation habe sich in Luxemburg für viele nicht verbessert, sondern verschlimmert. „Heute ist es fast unmöglich, ein Zimmer unter 700 Euro zu finden“, sagt Redaktionsmitglied M, denn das Redaktionsteam der Stëmm greift nun einmal dringende soziale Probleme auf. Warum keiner gegen die Wohnungsmisere protestiert? „Das ist das Problem hier in Luxemburg, wir nehmen alles hin. Der Luxemburger geht nicht auf die Straße, wir haben keine Streitkultur, hier herrscht Konsens“, sind sich zwei der Redaktionsmitarbeiter einig, die es unverhältnismäßig finden, dass eine Handvoll Leute über fast 500.000 Leute entscheiden. Das Redaktionsteam der Stëmm denkt politisch und macht sich Gedanken über gesellschaftliche Fragen. „Je entwickelter Gesellschaften sind, desto höher der Konsum, und desto mehr wird auch weggeschmissen, berichtet J.H. aus der Redaktion: „Wir sind eine Wegwerfgesellschaft geworden, nicht nur im Lebensmittelbereich.“

Success-Story?

Natürlich hat auch die Stëmm in den 18 Jahren seit ihrer Gründung Höhen und Tiefen erlebt, ist ihre Geschichte keine reine Success-Story. So dauert es oft lange, Projekte in Gang zu bringen. Und es gibt persönliche Geschichten im Umgang mit kranken Leuten, der Respekt untereinander gehe mitunter verloren, die Arbeitsbedingungen seien nicht immer leicht. Dadurch, dass immer mehr Leute die Dienste der Stëmm frequentieren, habe sich auch die Arbeit geändert. Da man selten auf individuelle Wünsche eingehen könne, komme es mitunter zu Drohungen – aber das sei ganz normal im sozialen Bereich, meint Oxacelay.

Doch wird die Stëmm ihrem Anspruch, die soziale und professionelle Reintegration zu fördern, wirklich gerecht? Zwar gibt es die „Immo Stëmm“ in Esch, die Obdachlosen bei der Wohnungssuche behilflich ist und seit vergangenem Jahr auch mit dem Fonds de Logement kooperiert, aber das für Luxemburg charakteristische Problem, bezahlbaren Wohnraum zu finden, (be)trifft besonders Menschen in sozialen Notlagen. Das Post-Therapie-Zentrum in Schönfels ist so ein wichtiger Standort in puncto Reintegration. Doch bedarf es dringend weiterer Strukturen. Für psychisch Kranke gebe es mit dem „Réseau Psy“ eine Struktur mit über 100 Wohnungen, gibt ein ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats zu bedenken. Will die Stëmm mehr als reine Armutsverwaltung machen, wird sie sich in Zukunft verstärkt darum bemühen müssen, mehr bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Denn nur einige Wenige schaffen es tatsächlich weg von der Straße.


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