ARGENTINIEN: Schuldendienst als Ehrensache

Um den drohenden Staatsbankrott zu verhindern, will die argentinische Regierung Schuldenzahlungen künftig nicht mehr über die USA, sondern vor Ort abwickeln. Argentinische Linke lehnen den Schuldendienst aber insgesamt ab und haben unterdessen einen Sechs-Punkte-Plan gegen die Forderungen der Hedgefonds vorgelegt.

Ist mit ihrem Vorhaben, Argentinien wieder den Zugang zu internationalen Krediten und ausländischen Investitionen zu öffnen, gescheitert: Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner.

Außer vereinzelten Plakaten gegen die vor Ort „Geier“ genannten Hedgefonds ist in Buenos Aires momentan wenig von dem seit Monaten drohenden Bankrott Argentiniens zu merken. Das Leben in der Metropole am Río de la Plata geht seinen gewohnten Gang. Dazu gehören auch die fast täglichen Straßenblockaden, die ebenso wie andere Proteste derzeit aber vor allem einen arbeits- oder stadtpolitischen Fokus haben. Drängende Probleme für die Bevölkerung sind die extrem hohe Inflation und zunehmende Rezession. Daher interessieren die neuesten Nachrichten zu Verhandlungen mit den Hedgefonds in New York oder der von Argentinien beim internationalen Gerichtshof in Den Haag eingereichten Klage gegen die USA die meisten Bewohnerinnen und Bewohner des Landes derzeit nur peripher.

Die Auseinandersetzung um den Staatsbankrott Argentiniens geht derweil in eine neue Runde, wobei der Ton zwischen den Streitparteien merklich schärfer wird. Die argentinische Regierung hat in der vergangenen Woche verkündet, dem New Yorker Bezirksrichter Thomas Griesa die Verfügungsgewalt über die Raten der Schuldenrückzahlungen an die Gläubiger zu entziehen. Die Tilgung der Auslandsschulden soll künftig nicht mehr über die New Yorker Bank Mellon, sondern über ein Treuhandkonto bei der argentinischen Nationalbank abgewickelt werden. Ein entsprechendes Gesetz wird der Kongress voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit verabschieden.

Mit dieser Maßnahme will die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner verhindern, dass erneut auf Betreiben der Hedgefonds NML Capital und Aurelius Tranchen der Schuldentilgung gepfändet werden. Denn würden die Gläubiger den gesamten Nennwert ihrer zu einem Bruchteil erworbenen Staatsanleihen erhalten, drohen Argentinien Nachforderungen von insgesamt etwa 120 Milliarden US-Dollar, was dem zweiten Zahlungsausfall innerhalb von zwölf Jahren gleichkäme. Die Finanzunternehmen können dabei so oder so nur gewinnen. Entweder sie bekommen das Geld mit dem angestrebten 17-fachen Gewinn, oder im Fall eines Staatsbankrotts würden Ausfallversicherungen greifen und es ließe sich am Río de la Plata günstig einkaufen. Griesa, der bis jetzt stets für die Hedgefonds Partei bezogen hat, beurteilte das Unterfangen Argentiniens als „illegal“ und bewertete das Regierungshandeln als „gesetzlos“. Die argentinische Regierung konterte, indem sie dem 83-Jährigen eine unzulässige Einmischung in die Geschäfte eines souveränen Staates unterstellte und ihm „eine falsche und mitunter imperiale Wortwahl“ attestierte.

Eine mögliche Schuldenfreiheit rückt in immer weitere Ferne und die Abhängigkeit vom Exportmodell steigt beständig.

Zur derzeitigen Pattsituation hat nicht zuletzt die unhinterfragte Akzeptanz der Legitimität der Schulden durch Cristina Fernández de Kirchner und ihren Amtsvorgänger und verstorbenen Ehemann Néstor Kirchner geführt. Die Kirchner-Regierungen haben sich seit 2003 stets als willige Rückzahler der vor allem während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) und der neoliberalen Phase in den Neunzigerjahren angehäuften Schulden geriert. Hinter den jüngsten Anbiederungen an den Internationalen Währungsfonds (IWF), den Pariser Club, das Schiedsgericht der Weltbank und Unternehmen wie den spanischen Ölkonzern Repsol, der eine hohe Abfindung für die Wiederverstaatlichung des argentinischen Erdgas- und Erdöl-Unternehmens YPF erhalten wird, steht mehr als nur die „Ehrung“ der Schulden, wie die Rückzahlung auf Spanisch heißt.

Verbunden mit der vermeintlichen „Ehrensache Schuldenrückzahlung“ ist vielmehr die Absicht, wieder an die internationalen Finanzmärkte zurückzukehren, von denen das Land seit dem Bankrott Anfang 2002 weitgehend abgeschnitten ist. Die Prämisse, für ein wirtschaftliches Fortkommen sei der Zugang zu internationalen Krediten und ausländischen Investitionen wichtig, eint die Regierung mit weiten Teilen der Opposition. Die Politik der Kirchners war und ist maßgeblich auf dieses Ziel ausgerichtet. Sowohl die Devisenkontrolle zum Schutz der Dollarreserven der Nationalbank als auch der Rückkauf der YPF und die Ausweitung des Soja-Anbaus sind vor dem Hintergrund zu sehen. Durch den Gerichtsentscheid zugunsten der Hedgefonds im Juni dieses Jahres ist dieser Weg nun vorerst versperrt worden. Aber selbst wenn die Regierung noch zu einem akzeptablen Kompromiss mit den Hedgefonds gelangen sollte, wäre das Ende der Schuldenzahlungen nicht absehbar. In jedem Fall müssten innerhalb der kommenden fünf Jahre jährlich fast neun Milliarden US-Dollar, also insgesamt 150 Prozent der aktuellen Zentralbankreserven, bezahlt werden, neue Kredite sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Eine mögliche Schuldenfreiheit rückt so in immer weitere Ferne und die Abhängigkeit vom Exportmodell steigt beständig.

Nicht zuletzt deswegen lehnen radikale Linke dieses Vorgehen ab. Für traditionelle linke Parteien ebenso wie für undogmatische Organisationen ist klar, dass die Schulden nicht bezahlt werden dürfen und schon gar nicht von der Arbeiterklasse. Die Trotzkisten um das Parteienbündnis „Frente de la Izquierda“ halten sich insgesamt an eher klassische Formeln. Sie sprechen von imperialistischen Interventionen der USA und Europas und einer notwendigen Befreiung Argentiniens.

So richtig beide Aspekte – tatsächliche Abhängigkeit und die Notwendigkeit der Unabhängigkeit – in der Tendenz auch sind, so hilfreich ist ein differenzierteres Bild für das Verständnis der aktuellen Situation. Rolando Astarita, Mitglied des Kollektivs linker Wirtschaftswissenschaftler EDI, kritisiert die schematischen Gegenüberstellungen und weist darauf hin, dass die Schulden die Konsequenz der Akkumulationsformen des lokalen, abhängigen Kapitalismus sind. Für ihn ist die einfache Forderung nach einem Ende des Schuldendienstes zu kurz gegriffen. „Wenn wir das machen würden, ohne dass sich das Akkumulationsmodell verändert, wäre unausweichlich, dass das Schuldenthema bald wieder aktuell sein wird“, kommentiert der Ökonom die Interessen der herrschenden Klassen im Land. Diese haben natürlich keine originär nationalen Interessen und auch bei einem Blick auf die genaue Zusammensetzung der Schulden wird schnell deutlich, dass Forderungen nach nationaler Souveränität teilweise am Kern der Sache vorbei gehen: Durch Umschuldungen sind mittlerweile 66 Prozent der Verbindlichkeiten bei argentinischen Institutionen wie der Zentral- und Nationalbank sowie der Rentenkasse angesiedelt.

Die lokalen Banken, die sich zwischenzeitlich anboten, auch die Schuldtitel der Hedgefonds einzutauschen, drohen nach Ansicht des EDI zu „internen Geiern“ zu werden, da sie im Zweifelsfall auch Strukturanpassungen einfordern könnten. In einer vor kurzem unter dem Titel „Sechs Maßnahmen, um gegen die Geier zu siegen“ veröffentlichten Erklärung hat das Kollektiv eine wirtschaftspolitische Antwort zur Schuldenkrise von links entworfen. Darin schlagen sie, neben der Verweigerung der Zahlung an die Hedgefonds und einer allgemeinen Untersuchung zur Natur der Schulden, die Verschiebung der Jurisdiktion der Schuldscheine ebenso wie eine finanzielle Bestrafung derjenigen ökonomischen Gruppen vor, die von Kapitalflucht und Steuerhinterziehung in der Vergangenheit profitiert haben. Im Kampf gegen die internen Gläubiger verlangen sie ein staatliches Monopol über den Auslandshandel und die Verstaatlichung des Bankensektors.

„Der Kampf gegen die Geier muss letztlich durch eine Massenbewegung gestützt werden“, heißt es weiter in dem Papier. Davon ist allerdings momentan nicht viel zu merken. Daher kann die Regierung Cristina Kirchners mit dem Schuldendienst-Dogma auch weiterhin als Bindeglied für einen relativ reibungslosen Übergang zu einer wie auch immer gearteten, auf jeden Fall weiter rechts angesiedelten Nachfolgeregierung fungieren. Nicht ausgeschlossen ist, dass kapitalismuskritische Linke aus der Situation bei den kommenden Wahlen Kapital schlagen können. Sie sind parteipolitisch besser aufgestellt als zuvor und ihre Positionen dürften populärer werden, wenn sich das Schuldenthema, anders als von Kirchner beabsichtigt, schon vor den Wahlen 2015 innenpolitisch niederschlägt.

Christian Rollmann berichtet als freier Autor aus Argentinien; er ist zurzeit in Buenos Aires.


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