THEATER: Universeller Börsenrausch

Mit einer deutschsprachigen Bühnenadaptation von Emile Zolas „Das Geld“ eröffnet das Saarländische Staatstheater die Theatersaison. Der Roman-Stoff ist über 100 Jahre nach seiner Entstehung aktueller denn je: mit Finanzspekulationen treibt der von Gier getriebene Held den Kurs seiner Aktie in die Höhe und stürzt mit ihr zusammen ab.

Man denke sich eine Gesellschaft ohne Konkurrenz und Privatkapital … (Foto: Björn Hickmann)

„Ich. Ich. Ich“ hat sich das Staatstheater Saarbrücken als Motto seiner diesjährigen Spielzeit groß auf die Fahnen geschrieben. Zu diesem Motto könnte kaum etwas besser passen als der Stoff von Emile Zolas Roman „Das Geld“. Im Mittelpunkt des 1891 erschienen Werks steht der Unternehmer Saccard, ein spekulationswütiger Narzisst und von Allmachtsphantasien getriebener Hallodri im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit seiner „Banque Universelle“ gründet er ein Kredithaus, getrieben vom Ehrgeiz, sein Kapital zu verdoppeln, ja gar zu vervier- und verfünffachen. Hinter dem Prinzip, das Geld für sich arbeiten zu lassen, steht die Vision, den Mittleren Osten wirtschaftlich zu erschließen. Eine Bahnstrecke soll her, um die Silberminen des Karmel auszuräumen. Und tatsächlich wird es Saccard gelingen, mit seiner Bank eine nie dagewesene Hausse auszulösen. In seinem Rausch schart er ein Konsortium angehender Unternehmer und Banker um sich, und seine Aktie blüht. In einer Welle des Ruhms, verfallen ihm die Frauen, und ganz Paris giert irrational nach der Universelle-Aktie. Die Aussicht auf Reichtum versetzt kleine und große Anleger in einen Taumel, und selbst der verarmte Adel greift in seiner Not nach der Aktie – doch trägt genau diese unkritische Masse entscheidend zur anschwellenden Börsenblase bei. Dass der Crash kommt und die Blase platzt, ist nur eine Frage der Zeit.

Aufstieg und Fall Saccards bilden den Rahmen des Romans wie auch den der deutschsprachigen Bühnenfassung. Aus über 500 Seiten Romanstoff haben Intendantin Dagmar Schlingmann und Ursula Thinnes eine Fassung für elf Schauspieler ausgearbeitet, die 20 Figuren darstellen. Um die Handlung bühnentauglich zu machen, wurden einige Episoden gestrichen. Schlingmann legt das Hauptgewicht in ihrer Inszenierung auf Saccard (Georg Mitterstieler) als Archetypen des modernen, von Gier und Ruhm getriebenen Narzissten. Doch wird auch die Verflechtung von Presse, Politik und Finanzsystem kritisch angedeutet. Denn schon Zola wusste um die Macht der Presse. Auf einer schiefen Bühne, mit einer nach vorne geklappten Rückwand klettert Saccard in silbernem Anzug und Zylinder steil an einer Börsenkurve hinauf, strauchelt bisweilen, aber hangelt sich energisch immer weiter nach oben. Ein gelungenes Bühnenbild, das leider durch eine Leuchtleiste verhunzt wird, über die Börsenkurse angezeigt und pädagogisch Erklärungen zu Figuren und Stück eingeblendet werden.

Die Börse ist dem Aufsteiger Saccard der perfekte Spielplatz. Vom blinden Glauben an sie getrieben, schart er mit steigendem Kurs seiner Aktie Schmeichler und Damen in Rüschkostümen um sich, jauchzt verzückt „Banque Universelle!“ und überhöht ekstatisch das Finanzsystem: „Spiel und Spekulationen sind das Höchste – im Risiko liegt alles“ brüllt er begeistert. Auf dem Höhepunkt seines Rauschs regnet es goldenes Konfetti, Saccard schlürft dekadent Champagner und treibt das Volk unermüdlich zum Erwerb seiner Aktie an: „Kaufen Sie Universelle-Aktien, wenn sie geliebt werden wollen.“ Wie eine Puppe schwebt er im Geldrausch an Fäden von der Decke auf den roten Teppich, während der Wert seiner Aktie galoppierend wächst.

Doch sein Fall ist unvermeidlich. Gegen Ende redet er sich um Kopf und Kragen, und auch sein eigener Kredit bei den Gläubigern schwindet. Im Aufzug eines billigen Zuhälters – Leopardenfellmantel – wird er schließlich über die Bühne stolzieren und an einer Leine eine Frau hinter sich herziehen. Resistent gegen gute Ratschläge wird Saccard selbst dann, als ihm seine kluge Frau Karoline (Yevgenia Korolov) offenbart, ihre „Universelle-Aktien“ verkauft zu haben, den Absturz der Aktie und seinen eigenen nicht wahrhaben wollen: „Aber das Geld ist ja das Leben selbst!“. Die Parallele der Inszenierung zu Martin Scorseses „The Wolf of Wallstreet (2013) mit Leonardo di Caprio in der Hauptrolle des skrupellosen Bankers liegt auf der Hand. Überhaupt ist der Stoff nach der Finanzkrise reizvoller denn je. „Ich denke das Stück zeigt, dass Zola auch schon im 19. Jahrhundert das ganze Wesen dieses Börsenparketts und der Spekulation sehr, sehr klar dargestellt hat, und es ist eigentlich erstaunlich, wie wir uns immer noch von diesen Gespenstern treiben lassen – fast 200 Jahre später“ äußerte sich auch Sarah Wagenknecht am Rande der Inszenierung gegenüber der woxx.

Sicher liegen die Bezüge der Pariser Börse im ausgehenden 19. Jahrhundert, der Frühphase des Kapitalismus, zum Heute auf der Hand. Doch ist es allzu einfach, die ökonomischen Mechanismen auf die „unsichtbare Hand“ des Marktes und blanken Egoismus zu reduzieren. Dieser Versuchung ist leider auch Dagmar Schlingmann erlegen. Ihre glamouröse zweistündige Inszenierung hat eine streckenweise zähe Aufführung hervorgebracht, in dem sich alles um „die Geldmenschenseele“ Saccard als Personifikation des Bösen dreht und ökonomische Erkenntnisse ausbleiben. Zu einer Identifikation mit der Hauptfigur kann es bei ihrer gänzlichen Negativ-Besetzung gar nicht kommen. Die beeindruckende Schauspielleistung ihres Ensembles und einige sehr schön komponierte Bühnenbilder machen den Abend dann aber doch zu einem lohnenden Erlebnis.

An diesem Samstag, dem 27. September, dem 3., 12., 14., 24., 31. Oktober, 29. November sowie am 03., 09. und 10. Dezember im Saarländischen Staatstheater und am 14. November im Théâtre de Thionville (im Rahmen des Total Theater Treffens).


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