NETFLIX FÜR ALLE: Der gläserne Fernsehkonsument

Zum Pauschaltarif beliebig viele Filme und Serien herunterladen, das hat Netflix populär gemacht. Doch der Streamingdienst entwickelt sich zum neuen Datenkraken. Alles im Dienste der Nutzer, versteht sich.

Wenn in New York oder Vancouver gegen Abend die Hauptfernsehzeit anbricht, geht das große Streamen los. Dann sorgt Netflix in Nordamerika für etwa 30 Prozent des gesamten Download-Aufkommens. Der Dienst bietet Zugriff auf Tausende von Filmen und Serien, die direkt im Internet konsumiert werden können. Streaming nennt sich die Technik. Der Nutzer lädt dabei nicht die gesamte Datenmenge auf den Rechner, sondern immer nur ein Teil des Videos, wobei die stückweise ankommenden Daten in einem Zwischenspeicher landen.

Auch in Europa könnte Netflix die Datenautobahnen bald verstopfen. Letzte Woche ist der Dienst unter anderem in Luxemburg online gegangen. Nutzer dürfen sich nun Filme und Serien anschauen, so viel sie wollen und wann sie wollen. Dafür wird nur eine Monatspauschale fällig.

Der US-Anbieter wird das Fernsehen verändern. Nicht etwa, weil Blockbuster vermehrt auf dem Tablet abgespielt werden. Sondern weil bei Netflix zwei Dinge zusammenfließen: Fernsehkonsum und Big Data. Die Streaming-Technik lässt es zu, Sehgewohnheiten bis ins Detail zu beobachten. Netflix nutzt diese Möglichkeit aus. Während es sendet, empfängt es auch: nämlich einen Haufen von Rohdaten, die nur noch analysiert werden müssen.

Und das funktioniert so: Startet der Nutzer einen Film, wird dieser Vorgang in der Zentrale im kalifornischen Los Gatos registriert. Dort sollen im Jahr 60 Milliarden einzelne Daten zusammenkommen. Netflix kann aus diesen ablesen, wer sich welchen Titel zu welchem Zeitpunkt ansieht. Auch die Zahl der vorzeitigen Beendigungen entgeht der Firma nicht. Auf deren Grundlage kann sie ihre Algorithmen verbessern und so immer passendere Empfehlungen abgeben: Diese Komödie würde Ihnen bestimmt auch gefallen! Ein Prinzip, das von Amazon her bekannt ist.

Die Algorithmen sollen möglichst exakt vorhersagen, für welchen Titel sich ein Nutzer als nächstes entscheiden wird – und ihm diesen anbieten. So gibt es keinen allgemeinen Netflix-Auftritt, stattdessen bekommt jeder seine persönliche Seite zu sehen, abgestimmt auf seine individuelle Vorlieben. Diese werden nicht etwa in grobe Raster eingeteilt. Wie in „The Atlantic“ zu lesen war, hat Netflix einen ganzen Genre-Kosmos geschaffen, fast 77.000 Filmkategorien. Zur Auswahl stehen unter anderem: emotionale Sportfilme, Mutter-Sohn-Konflikte, Horrorfilme mit bösen Kindern, romantische Krimis aus China, düstere Gangsterdramen. In winzig kleine Teile lässt sich die Filmwelt mit Hilfe von Algorithmen zerlegen.

Künstlicher Filmgeschmack

Der Nutzer wird bei Netflix zum gläsernen Film- und Serienkonsumenten. Aber der Firma geht es nicht nur um den Einzelnen. Es sucht auch nach dem Geschmack der Masse. Sobald Datensätze übereinstimmen, wird es richtig interessant. Kommt es zum Beispiel vor, dass auffällig viele Zuschauer an ein und derselben Stelle vorspulen, dann ergibt sich daraus ein Muster. Es muss am Film liegen, das die Leute die Geduld verlieren – dieser Dialog ist zu nervig, jene Handlung zu langsam. Aus dem Datenhaufen gefischte Zusammenhänge zeigen natürlich auch, welche Szenen besonders gut ankommen. Eine Verfolgungsjagd oder eine Bettszene, bei der Tausende zurückspulen, um sie ein zweites Mal zu sehen – sie bringen Netflix auf die Spur des Publikumsgeschmacks. Es kann sogar eigene Serien anfertigen, die den sicheren, von Daten gestützten Erfolg bringen.

„House of Cards“ basiert auf Big Data. Es geht darin um einen machtbesessenen Kongressabgeordneten und seine Intrigen. Die lose Grundidee zur Serie lieferte eine BBC-Produktion. Netflix entschloss sich zum Remake und verließ sich dabei auf Datenanalysen. Die hatten ergeben, dass Abonnenten, welche das britische Original gesehen hatten, auch Filme unter Beteiligung von Kevin Spacey und Regisseur David Fincher mochten. Also musste nur dieses Duo engagiert und der BBC-Stoff neu verarbeitet werden – dann würde sich die Produktion garantiert lohnen.

So kam es, dass Netflix 100 Millionen Dollar in die erste Staffel investierte. Der Erfolg bestätigte das Vertrauen, das der Dienst in die Daten gesetzt hatte. Drei Emmy-Auszeichungen gewann die Serie, als erste nur im Internet ausgestrahlte. Reed Hastings, der Netflix-Gründer, kommentierte die Datenschürferei einmal so: Das Geheimnis von Netflix sei die Anpassung an den individuellen Nutzergeschmack.


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