MIGRATION IM 21. JAHRHUNDERT: Suche nach dem Glück?

Menschen ziehen von jeher über ganze Kontinente und verlassen ihre Heimat auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Doch sind es nicht nur wirtschaftliche Zwänge, die sie zur Wanderung treiben. Hat Europa (k)eine Verantwortung?

Das Phänomen der Migration ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch warum verlassen Menschen ihre Heimat, wohin ziehen sie und unter welchen Bedingungen leben sie am Zielort? Den niederländischen Fotojournalisten Kadir van Lohuizen hat genau diese Frage umgetrieben. Obwohl die Finanzierung seines (Multimedia-)Projekts „Vía Panam“ bis zuletzt unklar war, reiste er nach Südamerika und legte während seines einjährigen Aufenthalts insgesamt 40.000 Kilometer zurück. Entlang der berühmten „Vía Panamericana“, von der Südspitze Chiles bis nach Alaska, begegnete er Menschen, die aus unterschiedlichsten Motiven ihre Heimat verlassen und den Kontinent durchqueren – in der Regel auf der Suche nach Arbeit.

Die wirtschaftliche Not der Entwicklungsländer, Folge jahrhundertelanger Ausbeutung ihrer Rohstoffe und willkürlicher Grenzziehungen durch Europäer treibt Menschen dazu, ihre Heimatländer zu verlassen und sich in den Nachbarländern zu verdingen. Van Lohuizen sprach mit Peruanerinnen, die nach Chile auswanderten, um dort in den Haushalten reicher Familien zu arbeiten und bis zu 70 Prozent ihres Einkommens in ihr Heimatland schicken. Schätzungen zufolge sind 2010 rund 440 Milliarden US-Dollar weltweit über Geldtransaktionen in die jeweiligen Heimatländer geflossen.

Gründe der Migration: Klimawandel, wirtschaftliche Not, Suche nach Sicherheit oder schlicht die Hoffnung nach einem „besseren Leben“.

Im Süden Chiles traf er auf Frauen, die aus Mittelamerika dorthin gereist sind, um auf Feuerland als Prostituierte Geld zu verdienen. In Kolumbien begegnete er Familien, die im Grenzgebiet ihres Landes Sicherheit suchten – auf der Flucht vor Banden und Schutzgelderpressung. Honduras, Guatemala und El Salvador gehören zu den Ländern mit der höchsten Kriminalitätsrate weltweit. Wenn die Einwohner dieser Länder fliehen, so in erster Linie aus Sicherheitsgründen, stellte van Lohuizen fest. Auf der Insel Sucunguadup in Panama dagegen werden die Bewohner in wenigen Jahren durch den ansteigenden Meeres-Wasserspiegel gezwungen sein, aufs Festland zu ziehen.

Die Gründe der Migration sind vielfältig: Klimawandel, wirtschaftliche Not, Suche nach Sicherheit oder schlicht die Hoffnung, woanders ein „besseres Leben“ zu finden Denen, die es sich leisten können, macht es dagegen die Globalisierung leichter denn je: wer Geld hat, wechselt den Wohnort von heute auf morgen, zieht in ein anderes Land, auf einen anderen Kontinent. Zugleich maßt sich Europa aber an, diese Entscheidung jenen zu verwehren, die ihr Leben aufs Spiel setzen und verzweifelt an den Küsten Italiens stranden – in der Hoffnung, im reichen Europa bessere Lebensbedingungen zu finden.

Die EU macht die Grenzen zunehmend dicht, sichert sich Privilegien und will den Menschen, die nach Europa kommen und einen Teil der Gerechtigkeit einfordern, die ihnen verweigert wurde, partout die Einreise verwehren, weil sie angeblich „unseren Wohlstand“ gefährden. Ein zweifelhafter zweckrationaler Diskurs hat sich unter Politikern durchgesetzt: Arbeitsmigration ist dann erwünscht, wenn die Arbeitskräfte eine entsprechende Qualifikation mitbringen, sind sie arm, so sollen sie draußen bleiben! Der Wille, Menschen in Europa zu beherbergen, wird damit an Leistung gebunden. Dabei haben selbst Konservative längst eingesehen, dass wenn man ethische Kriterien akzeptiert, rein gar nichts gegen Reisefreiheit und Freizügigkeit spricht.

Doch Europa schottet sich zunehmend ab, indem es seine Grenzen streng bewacht – ähnlich wie die Vereinigten Staaten ihre Grenze zu Mexiko. Van Lohuizen hat die Situation von Menschen, die auf den Dächern von Zügen durch Mexiko bis an die Grenze fahren und ihr letztes Geld Schleppern zahlen, um in die USA zu gelangen, ebenfalls miterlebt. Er beschreibt diese Etappe als eine der schwierigsten seiner Reise. Auf einigen seiner Bilder hat er Jugendliche abgelichtet, die beim Versuch der Ausreise von den Zügen heruntergefallen sind; 18-jährige Jungen, die jetzt an Krücken gehen oder im Rollstuhl sitzen. Ihr Wunsch war es, den Kontinent zu verlassen und in die USA auszuwandern, um dort ihre Familienangehörigen zu sehen und ein besseres Leben zu finden.

Ein zweifelhafter zweckrationaler Diskurs hat sich unter Politikern durchgesetzt.

Migration verläuft keineswegs vertikal gen USA, sondern verändert sich stetig, hat van Lohuizen festgestellt, und sie ist Ergebnis der sozioökonomischen Verhältnisse der Länder, aus denen die Menschen fliehen. Wie sich Migration im 21. Jahrhundert verändert hat und inwiefern Europa eine Verantwortung gegenüber Flüchtlingen hat, darum wird es am kommenden Donnerstag, dem 23. Oktober, um 19 Uhr 30 beim von der woxx und Radio 100,7 moderierten Werkstattgespräch „Migration im 21. Jahrhundert“ mit Kadir van Lohuizen im CNA gehen.


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