CSL ZUR FAMILIENPOLITIK: Selektiv destruktiv

Wer die wirklichen Opfer der Familienpolitik der neuen Regierung sind, hat die Chambre des salariés analysiert: Es trifft vor allem GeringverdienerInnnen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien.

Kann die neue Regierung rechnen? Wenn es um Zigarettenpreise und Lungenkrebs-Parasitismus geht, ja. Bei der Sozial- und Familienpolitik offensichtlich nicht. Am vergangenen Mittwoch musste sie sich von der Chambre des salariés (CSL) vorrechnen lassen, wie ungerecht die Auswirkungen der neuen Familienpolitik sind – allerdings auch aufgrund der Versäumnisse der vorherigen Regierung.

Der erste Teil der CSL-Analyse ist dem Kindergeld gewidmet. Die vorgelegten Zahlen zeigen, dass diese Sozialleistung seit der 2006 beschlossenen Desindexierung erheblich an Wert verloren hat. Betroffen sind vor allem kinderreiche Familien: Stellte die Zulage für vier Kinder 2005 noch 77% des gesetzlichen Mindestlohns dar, so liegt sie heute bei nur noch 61% – eine drastische Kürzung. Das wirkt sich vor allem auf die Haushalte aus, die am stärksten auf diese Unterstützung angewiesen sind: kinderreiche Familien und solche, die mit einem niedrigen Lohn, Arbeitslosengeld oder RMG auskommen müssen. Für Haushalte, in denen die Referenzperson arbeitslos war, stellte das Kindergeld 2010 18,1% des verfügbaren Einkommens dar, gegenüber 10,9% bei Berufstätigen. Die CSL erinnert daran, dass eines von vier Kindern in Luxemburg vom Armutsrisiko bedroht ist, und schreibt: „Die Desindexierung ist eine der Ursachen der Situation dieser Kinder und dürfte zur sozialen Vererbung der Armut beitragen. Dabei sollte das Kindergeld doch eigentlich der Eckstein einer Politik im Dienste der Chancengleichheit sein.“

Blind für die Schwachen

Die von der Regierung beschlossene Angleichung des Kindergeldes ab dem zweiten Kind auf das Niveau des ersten verschlimmert also eine bereits ungünstige Ausgangssituation. Nachdem man Familienministerin Corinne Cahen vergangene Woche auf solche Auswirkungen aufmerksam machte, stellte sie immerhin Sondermaßnahmen für einkommensschwache Familien mit mehreren Kindern in Aussicht. Wann und wie die realisert werden, ist allerdings unklar ? aber die Senkung des Kindergeldes und die Mehrbelastung durch die neue 0,5-Prozent-Abgabe für die „Zukunftskasse“ treten bereits 2015 in Kraft.

Die CSL sei nicht gegen eine Neuordnung des Kindergeldes, unterstrich Jean-Claude Reding. „Aber wir würden uns freuen, wenn darüber ein Dialog und ein Meinungsaustausch stattfinden würde, und die Sozialpartner nicht einfach nur über die getroffenen Entscheidungen informiert würden“, so der CSL-Präsident. Eigentlich müsste man jetzt eine Grundsatzdiskussion zu diesen Fragen führen, statt die Neuordnung „bis zum 31. Dezember durchzuboxen“.

Interessant ist auch, dass die Analyse der CSL das Vorurteil widerlegt, Arme hätten besonders viele Kinder. Bei den Haushalten mit Kindern hatten die aus dem Quartil mit dem niedrigsten verfügbaren Einkommen 2010 im Durchschnitt 1,52 Kinder, dieser Wert lag für die oberen drei Quartile zwischen 1,65 und 1,74. Auch bei Alleinerziehenden lag der Durchschnitt bei 1,52 Kindern, gegenüber 1,71 in Haushalten mit zwei Elternteilen. Allerdings sind für die Ein-Eltern-Familien Kindergeld und andere Familienzulagen besonderes wichtig: 2010 erhöhten sie das verfügbare Einkommen im Durchschnitt um 24,6%, also fast das Doppelte der 13,8-%-Erhöhung bei Zwei-Eltern-Familien. „Die Regierung behauptet, sie habe etwas für die Alleinerziehenden tun wollen, doch unter ihren Maßnahmen leidet diese Gruppe mehr als andere“, so der Kommentar der CSL.

Unglücklicherweise leidet die Aussagekraft der CSL-Zahlen darunter, dass sie beispielsweise zum Teil den 2006 eingeführten Kinderbonus nicht einrechnet, obwohl er sich wie eine Kindergelderhöhung ausgewirkt hat. Außerdem wird das Argument der vorherigen und der jetzigen Regierung ausgeblendet, die Verbesserung der Sachleistungen durch die Chèques-service kompensiere die Verluste bei den Geldleistungen. Darauf angesprochen, meinte Jean-Claude Reding, die Realität dieser Kompensation müsse man sehr differenziert sehen: „Der Kinderbonus ist schließlich auch nicht indexiert. Und die Sachleistungen fallen für Kindern unter 13 Jahren ins Gewicht, nicht aber für die anderen.“ Und was Neuerungen wie die Chèques-services für Grenzgänger und die Gratis-Kinderbetreuung mit Sprachförderung bringen werde, sei noch völlig unklar.

Elternurlaub oder nichts!

Befragt nach alternativen Modellen, erteilte Reding der Finanzierung über einen Arbeitgeber-Sozialbeitrag eine Absage: „Am besten wäre es, Familienleistungen weiterhin über das normale Steueraufkommen zu finanzieren.“ Eine soziale Staffelung des Kindergeldes dagegen lehnt der CSL-Präsident nicht grundsätzlich ab. Diese könne zum Beispiel über eine Besteuerung der Geldleistung erfolgen. Und: „Das Kindergeld sozial degressiv zu gestalten, geht nicht ohne eine vorhergehende Aufwertung des Grundbetrags.“

Auch der dem Elternurlaub gewidmeten zweite Teil der CSL-Analyse befasst sich mit dem relativen Wertverlust dieser Sozialleistung. Lag der Lohnersatz während des Urlaubs bei der Einführung im Jahr 2000 noch bei 127% des gesetzlichen Mindestlohns, so ist er bis 2013 um über ein Viertel gefallen. Auch gegenüber dem Durchschnittslohn macht der Rückgang etwa ein Fünftel aus: von 52% auf 42%. Besonders stark war dieser Wertverlust nach 2006, als der Lohnersatz desindexiert wurde. Zwar stellt die CSL fest, dass die Inanspruchnahme des Elternurlaubs nicht zurückgegangen ist sondern sich bei knapp über einem Prozent aller Berufstätigen eingependelt hat. Doch scheinen bestimmte Berufsgruppen die Leistung kaum in Anspruch zu nehmen, ebensowenig wie Alleinerziehende und Arbeitnehmer mit Zeitverträgen. Die Männer machen nur ein Viertel der Elternurlaube aus, davon zwei Drittel in Form von Teilzeiturlaub, wohingegen weit über die Hälfte der Frauen die Vollzeit-Variante des Urlaubs wählen.

Zwar verkneift es sich die CSL, die Abschaffung des Erziehungsgeldes, jener umstrittenen Alternative zum Elternurlaub, zu kritisieren. Dafür forderte Jean-Claude Reding eine Verbesserung der letzteren Leistung: „Es reicht nicht, zu fragen, wie man die Männer dazu bekommt, den Urlaub häufiger in Anspruch zu nehmen.“ Eine zeitliche Flexibilisierung der Geldleistung sei sinnvoll, doch löse sie nicht das Problem des Wertverlusts der ausbezahlten Entschädigung. In einem Punkt kritisierte Reding den Versuch der Regierung, Frauen in den Elternurlaub zu drängen: „Bisher konnten Niedrigverdiener weiterarbeiten und trotzdem das Erziehungsgeld beziehen. Viele haben sich für diese Option entschieden, weil der Elternurlaub finanziell unattraktiv ist. Nun nimmt man diesen Familien das einfach weg.“ Der CSL-Präsident fordert einen nachträglichen Inflationsausgleich, der eine Erhöhung um 20 Prozent bedeuten würde. Richtig daran glauben tut er aber nicht: „Für die Regierung steht nicht eine Verbesserung der Sozialleistungen, sondern die Kostensenkung bis 2018 im Vordergrund.“

Die Details der CSL-Analyse sowie der dem Problem der Krankschreibungen gewidmete dritte Teil sind einsehbar unter:
www.csl.lu/prises-de-position


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