1989 DAWN OF FREEDOM: Osteuropa-Poker

Vor 25 Jahren fiel die Berliner Mauer. Eine spielerische und doch ernste Erinnerungsreise zu den damaligen Ereignissen, vom polnischen Runden Tisch bis zur rumänischen Revolution.

1989 knutschende Bonzen verhöhnt, und jetzt? 2014 ist die Fidesz dabei, in Ungarn wieder ein verkalktes Einparteiensystem einzuführen.

Spät im Jahr 1989, nachdem wir schon zwei Stunden um die Zukunft Osteuropas gerungen haben, spielt mein Gegner die „The Wall must go!“-Karte. Er versucht, die Mauer zu Fall zu bringen; er würfelt eine Fünf, zählt die von ihm kontrollierten Felder in der DDR hinzu, das macht acht. Ich würfle, rechne, komme nur auf sechs. Die Mauer fällt! Der Demokrat erhält drei Siegpunkte, ich als Kommunist muss drei Kontrollpunkte aus Ostdeuschland abziehen. Verflixter November!

Das Spiel heißt „1989 Dawn of Freedom“ und simuliert auf einer Karte Osteuropas im A1-Format die Ereignisse von vor 25 Jahren. Abwechselnd werden Karten ausgespielt, die die Kräfteverhältnisse auf dem Spielbrett verändern. Kontrollpunkte werden durch quadratische Spielsteine aus Pappe dargestellt, die man in Konfliktsimulationen üblicherweise als „Counter“ bezeichnet. Die Spielkarten sind mit Abbildungen aus jener Zeit illustriert und beziehen sich auf wichtige Ereignisse, Personen oder Zitate. Im Fall der Mauerkarte handelt es sich um einen der Slogans der Protestbewegung im Herbst 1989: „Die Mauer muss weg!“

Studenten gegen Funktionäre

Doch zurück an den Anfang unserer Partie. Denn, das lernt man beim Spielen, die „Wende von 1989“ fand nicht erst im November statt. Und die Ereignisse in Berlin stellen zwar das wichtigste Symbol dar, sind aber nur der Kulminationspunkt von Entwicklungen, die in den Monaten zuvor in anderen Ländern stattgefunden hatten. Vorreiter in Sachen Demokratisierung waren nämlich Polen und Ungarn, und so konzentrieren sich Demokrat und Kommunist bei Spielbeginn auf diese beiden Staaten. Jeder versucht, durch klug platzierte Kontrollpunkte seine Machtposition auszubauen. Dabei kann man entweder die auf der ausgespielten Karte angegebene Anzahl von Punkten verteilen oder die mit dem Titel der Karte verbundene Sonderfunktion ausspielen. Die Karte „Fidesz“
zum Beispiel ist zwei Punkte wert, alternativ erlaubt sie, fünf Punkte auf das Feld „Eötvös Loránd University“ zu setzen.

Fidesz ist der Name der derzeit in Ungarn regierenden Partei, doch 1989 handelte es sich um eine im Jahr zuvor gegründete, prodemokratische Jugendorganisation. Den Grundstein für seine politische Karriere legte der damalige Fidesz-Kader und jetzige Ministerpräsident Viktor Orbán, als er im Juni 1989 bei Gelegenheit der Rehabilitierung der Revolutionäre des Aufstands von 1956 eine antisowjetische Rede hielt – auch für dieses Ereignis gibt es eine Karte. Für den Kommunisten ist es meist einfacher, Eliten und Bürokraten zu kontrollieren; des Demokraten beste Alliierte sind Studenten und Schriftsteller. Letzteres gilt vor allem, nachdem er die Karte der Helsinki-Schlussakte ausgespielt hat: Dann kostet nämlich jede Aktion gegen diese Gruppen den Kommunisten einen Siegespunkt. So bildet das Spiel die große Bedeutung dieses Abkommens ab, das ein allzu hartes Vorgehen gegen Dissidenten verhinderte, weil die kommunistische Führung einen internationalen Prestigeverlust befürchtete.

Gleich in der ersten Runde hatte mein Gegner zuerst die Solidarnosc- und dann die Walesa-Karte gespielt. Damit konnte er vier Punkte setzen, Lodz kontrollieren und in Warschau Fuß fassen. Ich konterte mit Gorbatschow: Zwar nur zwei Punkte, dafür aber besonders günstig für Übernahme-Versuche: Ich holte mir Warschau und Danzig. Das Beste: Anders als die meisten Karten, die nach Benutzung aus dem Stapel verschwinden, wird „Gorbi“ zurückgelegt und kommt in den folgenden Runden immer wieder. Bis, ja, bis der Demokrat die Karte „Breakaway of Baltic Republics“ gespielt hat.

Kompromiss in Warschau

Dass Michail Gorbatschow Ende der 1980er Jahre an der Spitze der Sowjetunion stand, war ein entscheidender Faktor für den Niedergang des Kommunismus. Der Historiker Robin Okey (siehe Kasten) zitiert den Satz von Alexis de Tocqueville, dass es für eine schlechte Regierung nichts Gefährlicheres gebe als den Versuch einer Reform. Doch Gorbatschow sah keine Zukunft im Festhalten an den oppressiven Strukturen, sondern hoffte, eine Modernisierung und Demokratisierung erreichen zu können, ohne den Kommunismus aufzugeben. Dabei konzentrierte er sich auf die Sowjetunion, machte aber den Bruderparteien klar, dass Reformen fällig waren und es keine Militärinterventionen zwecks Machterhalt mehr geben werde. Am bekanntesten ist Gorbatschows Warnung an Erich Honecker im Oktober 1989, wer zu spät komme, den bestrafe das Leben. Im Spiel gibt es mehrere Karten, die sich auf Gorbatschow beziehen und die Position des Kommunisten stärken – schließlich nahmen seine Auftritte den schärfsten Antikommunisten den Wind aus den Segeln.

Doch im Spiel nützte mir das alles nichts. Gleich in der zweiten Runde ging Polen verloren. Geschickt hatte der Demokrat die Karte „Round-
table Talks“ gespielt, was ihm in der Kraftprobe um die Volksrepublik einen entscheidenden Vorteil verschaffte. Historisch betrachtet stellte der „Runde Tisch“ in Warschau einen Kompromiss zwischen den Gemäßigten auf beiden Seiten dar. Solidarnosc brauchte Konzessionen seitens des Regimes, um die Kontrolle über die eigene Basis zu behalten. Doch auch die KP-Führung trat aus Angst vor den Hardlinern in ihren Reihen die Flucht nach vorn an. Interessanterweise spielte der General Wojciech Jaruzelski, der 1981 das Kriegsrecht verhängte und die Macht übernahm, dabei eine entscheidende Rolle. Jaruzelski, unterstützt von Gorbatschow, sah in Verhandlungen den einzigen Ausweg aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise. Eine freie Teilwahl wurde für den 4. Juni vereinbart; ihr Ergebnis überraschte alle Beteiligten: Solidarnosc gewann 160 von 161 Sitzen im Sejm. Das kommunistische Machtmonopol war gebrochen.

In Ungarn waren die Reformer innerhalb der KP womöglich noch stärker. Bereits im Juni 1988 hatte Imre Pozsgay einen Plan zur Demokratisierung vorgelegt. Auf den ungarischen Patriotismus setzend, lancierte er Anfang 1989 eine Debatte über den Aufstand von 1956: „Pozsgay defends the Revolution“ heißt die entsprechende Karte im Spiel. Im Sommer griffen die Reformer das polnische Modell auf – am Ende des Runden Tisches stand eine einschneidende Verfassungsreform. Diese Neuausrichtung beeinfluste auch die Entwicklung in der DDR: Der Grenzzaun zwischen Ungarn und Österreich wurde abgerissen, und zahlreiche Ostdeutsche nutzten die Chance zur „Republikflucht“.

Nach dem Gulaschkommunismus

Solche Ereignisse werden im Spiel nur sehr abstrakt dargestellt, zum Beispiel als Bonus bei demokratischen Aktionen innerhalb der DDR. Dafür sind aber die meisten Spielfelder als geografische Orte charakterisiert: So stehen die Universitäten für Studenten, die Hauptstädte für Bürokraten, Erfurt stellt das agrarisch geprägte Thüringen dar, Székesfehérvár ist eines der Felder, die die ungarische Arbeiterklasse repräsentieren. Wie letzterer Name ausgesprochen wird, kann man in einem von einem Fan online gestellten „Hungarian Pronunciation Guide“ erfahren. So wird man „spielend“ nicht nur mit der Geschichte sondern auch der Geographie der oft wenig bekannten Osthälfte unseres Kontinents vertraut.

Eine der unangenehmsten Karten für den Kommunisten heißt „Consumerism“, Konsumdenken. Sie ermöglicht es dem Demokraten, Arbeiter-Spielfelder auf seine Seite zu ziehen und kehrt mehrmals wieder. Gegen Ende des Spiels wird sie noch stärker – was daran erinnert, dass die Demokratiebewegung immer weniger von politischem Liberalismus und immer stärker von materiellen Interessen dominiert wurde. Robin Okey weist zu Recht darauf hin, dass das ökonomische Scheitern des Kommunismus nicht nur zu steigender Unzufriedenheit führte, sondern auch den Glauben an die sozialistische Utopie, die doch das bessere System verhieß, zutiefst erschütterte.

In „Dawn of freedom“ steht nur ein Spieler für den Kommunismus und einer für die Demokratie. Das mag dem Weltbild mancher Protagonisten von damals und einer stark vereinfachenden Erinnerungskultur entsprechen. Doch wird es nicht den komplexen Interessenkonflikten innerhalb der kommunistischen Apparate und der demokratischen Opposition gerecht. So beschreibt Okey den polnischen Runden Tisch als Kompromiss zwischen der ökonomischen Nomenklatura und den Wendehälsen auf der einen, den liberalen Gewerkschaftern und gemäßigten Kirchenleuten auf der anderen Seite. Daneben bräuchte man aber mindestens noch einen dritten Spieler
für die konservativen unteren Ränge der Partei und einen vierten für die radikalen Gewerschafter und die katholische Rechte.

Kraftprobe in Prag

Das Paradox von 1989 ist, dass es nicht die revolutionären Kräfte waren, die den Kommunismus zu Fall brachten, sondern gerade diejenigen, die einen Kompromiss mit dem gemäßigten Teil der Nomenklatura suchten. Aus den Reformversuchen erwuchs, eigentlich unbeabsichtigt, eine friedliche Revolution. Wobei die Kraftprobe in der DDR und in der Tschechoslowakei leicht hätte blutig enden können – in Rumänien, wo im Dezember über 1.000 Menschen ums Leben kamen, war das der Fall.

Auch in unserer Partie war das Ringen um Prag eine haarscharfe Sache. Ich spielte die tschechoslowakische Scoring-Karte, was, wie in anderen Ländern zuvor, die „Power Struggle“ genannte Prozedur auslöste. Dabei erhält jeder Spieler spezielle Karten, die Demos, Streiks und Petitionen, aber auch politische Leader darstellen. Im Vorfeld hatte ich die Nomenklatura und einen Teil der Arbeiter auf meine Seite gebracht und verhindert, dass der Demokrat die Kirche kontrollierte. Das ist wichtig, weil man Leader nur einsetzen kann, wenn man ein entsprechendes Feld kontrolliert. Legt ein Spieler zum Beispiel eine Demo-Karte ab, so muss der andere mit einer passenden Demo-Karte antworten – oder eine Leader-Karte als Joker spielen. Mein Pech, dass der Demokrat zwei Arbeiter-Leader in der Hand hielt und die Arbeiterhochburg Ostrava kontrollierte. Meine Demos liefen ins Leere, sein Streik dagegen traf ins Schwarze. Die „Samtene Revolution“ hatte gesiegt.

Dieser gut funktionierende Spielmechanismus passt leider nicht ganz zur historischen Realität von 1989. Gewiss, in der Tschechoslowakei gab es tatsächlich eine Art Wettlauf zwischen Demonstrationen und Gegendemos. In den anderen Ländern Osteuropas aber hatten die Machthaber der Demokratiebewegung fast nur den Überwachungs- und Polizeiapparat entgegenzusetzen – die Kraftprobe war also eine durch und durch asymetrische Angelegenheit. Hier stößt die pädagogische Funktion des reinen Spielens an ihre Grenzen – wer sich aber daneben zusätzlich informiert, kann sich auf fruchtbare Weise mit den im Spiel eingebauten Modellen auseinandersetzen. Die Stasi, die bis zu Edward Snowdens Enthüllungen als Summum staatlicher Überwachung galt, ist übrigens im Spiel mit ein paar mächtigen Karten präsent.

Ceaucescu in China

Auch für die „Chinese Solution“, also die militärische Lösung, kommt in der Endphase eine Karte ins Spiel, deren Schlagkraft der Kommunist allerdings mit einem Verlust von Siegpunkten bezahlen muss. Ansonsten sind die Ereignisse des Frühlings 1989 in Peking durch den „Tiananmen Square Track“ repräsentiert. Dort können beide Spieler versuchen, die Dinge voranzutreiben, was ihnen gewisse Vorteile verschafft. Die acht Felder reichen von der Erinnerung an die Reformer oder ihrer Diskreditierung bis zum Pluralismus oder zum Massaker – der jeweilige Stand wird mit einem Miss-Liberty- und einem Mao-Counter angezeigt.

Der Vergleich zwischen Osteuropa und China wirft spannende Fragen auf. Warum waren die wirtschaftlichen Reformen in China erfolgreich? Wären politische Reformen heute dort möglich, ohne dass es zum Systemwechsel kommt? Warum ist die KP an der Macht geblieben – trotz oder wegen Tiananmen?

In Rumänien, wo im Dezember 1989 eine „chinesische Lösung“ versucht wurde, geht es erst gegen Ende der Partie zur Sache. Eine Karte repräsentiert den Aufstand der ungarischen Minderheit in Timisoara, der dann zu einer allgemeinen Revolte führte. Wenn „The Tyrant is gone“ gespielt wird, zeigt ein Counter mit einem Helikopter an, auf welches Feld das Ehepaar Ceaucescu geflüchtet ist. Dort kann sie der Demokrat festnehmen und dafür zwei Siegpunkte ernten. Damals wurden sie nach einem kurzen Prozess hingerichtet. Dass es soweit kam, konnte ich in meiner Partie gerade noch verhindern. Ein Grund, stolz zu sein?

Unklar bleibt am Ende, welche Kräfte der kommunistische Spieler eigentlich verkörpert. Und: Was muss man sich unter einem Sieg über die Demokratie vorstellen? Dass die alte Nomenklatura an der Macht bleibt? Zugeständnisse an die Demokratiebewegung ohne grundlegende politische Reformen? Ein neues System, irgendwo zwischen Kommunismus und Kapitalismus?

In meiner Partie habe ich viel zu schnell wichtige Positionen verloren, doch laut Spielregel kann der Kommunist gewinnen. Ob das eine historische Möglichkeit darstellt, daran gibt es starke Zweifel. Robin Okey glaubt, dass die Kräfte, die am Werk waren – Erneuerung der Oppositionsbewegung, Perspektivlosigkeit bei den Kommunisten – so oder so den Systemwechsel herbeigeführt hätten, auch wenn das damals niemand klar sehen konnte. Die Überlegungen zu der Möglichkeit eines „Dritten Wegs“ tut er als unausgegoren ab. Sie waren ideologisch in der Tat ? angesichts des bereits funktionierenden Systems der liberalen, globalisierten Marktwirtschaft ? ohne Chance. Seit 2008 befindet sich allerdings das damals plebiszitierte alternative System weltweit in einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise – die Partie ist noch nicht zu Ende.

1989 Dawn of Freedom, Jason Matthews und Ted Torgerson, GMT Games 2012

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Das Ende, der Anfang

(lm) – Nein, die „Wende“ von 1989 war kein Blitz aus heiterem Himmel, sondern die Schlussphase des jahrzehntelangen Niedergangs des Kommunismus in Osteuropa. Dessen anfängliche Stärken, die Schwierigkeiten, an denen er scheiterte und die Herausforderungen der europäischen Integration in den vergangenen 25 Jahren müssen im Kontext der historischen Entwicklung dieser Region gesehen werden. Das sind die beiden herausragenden Thesen von The Demise of Communist East Europe: 1989 in Context des Historikers Robin Okey. Und diese Herangehensweise unterscheidet das 2004 erschienene Buch von den meisten anderen Veröffentlichungen zum Thema, die sich auf ein enges Zeitfenster um 1989 konzentrieren.
Es war ein Erbe von „lost causes“, verlorenen Sachen oder gescheiterten Projekten, das die Kommunisten nach 1945 antraten, wie Okey schreibt. Er meint das Erbe der nationalistischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, die zwar 1918 die Ketten der großen Imperien gesprengt, es dann aber nicht geschafft hatten, die Region aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rückständigkeit herauszuführen: „Mehr als alles andere legitimierte der Bankrott des unabhängigen Osteuropa in der Zwischenkriegszeit die Ära des Kommunismus in den Augen ihrer Anhänger.“ Doch diesen Kredit verspielten die neuen Regimes in der Folgezeit, in der Okey drei Etappen unterscheidet: „Der osteuropäische Kommunismus verlor zuerst seine moralische (1956), dann seine ideologische (1968) und schließlich seine ökonomische Legitimität (1980er Jahre) und endete als ein ‚Feigenbaum, der keine Blätter mehr austreiben konnte‘“.

Vor und nach 1989

Die erste Etappe, die des totalitären Kommunismus unter Stalin, steht für brutale Unterdrückung, wirtschaftspolitische Irrwege und – nicht unwesentlich – die Entfremdung der nationalen intellektuellen Eliten durch die russische kulturpolitische Arroganz. Sie kulminierte im ungarischen Volksaufstand, der die neue städtische Mittelschicht, die Studenten und die Intelligentsia in ihrer Ablehnung des Sowjetkommunismus zusammenbrachte. Im darauffolgenden Jahrzehnt geriet die moralische Rücksichtslosigkeit des Stalinismus, die sich laut Okey als „Erbsünde“ bis 1989 auswirkte, fast in Vergessenheit. Internationale Prestigeerfolge wie die Sputnikflüge und Reformversuche in den Volksrepubliken ließen die kommunistischen Ideen wieder attraktiver erscheinen. Die Niederschlagung des Prager Frühlings war die finale Absage an politische Reformen und leitete eine lange Eiszeit ein. Dennoch gab es in den 1970er und 1980er Jahren Versuche, mit wirtschaftlichen Reformen die Bevölkerungen zufrieden zu stellen – Stichwort „Gulaschkommunismus“ in Ungarn. Doch, anders als China nach 1978, hielt Osteuropa an der Planwirtschaft fest und schränkte Privatunternehmertum und Marktmechanismen stark ein. Ende der 1980er hinterließ die mit westlichen Krediten forcierte Modernisierung vor allem einen – in Devisen zurückzuzahlenden – Schuldenberg.
Okey interpretiert die Ereignisse von 1989 als die Kombination der Unzufriedenheit der Bevölkerung, wie sie sich in der Gründung von Solidarnosc ausdrückte, mit der endgültigen Ablehnung von Einparteiensystem und Autoritarismus durch alte und junge Intellektuelle. Nicht minder wichtig erscheinen ihm die innerhalb der kommunistischen Parteien aufkeimende Einsicht, dass gewaltsame Unterdrückung die Krise nicht lösen könne, und die  – durch Gorbatchow symbolisierte – Bereitschaft zu tiefgreifenden Reformen. Zum Teil, das wird im Buch belegt, kam es zu Allianzen der gemäßigten Elemente auf beiden Seiten – was für die Entwicklungen nach 1989 entscheidend war. Zwar entwickelte sich aus den Reformen eine Revolution, die die obere Schicht der kommunistischen Verantwortlichen hinwegschwemmte, doch das „mittlere Management“ in Politik und Wirtschaft wurde nur teilweise ausgetauscht.
Geblieben sind auch die historischen Herausforderungen für die Region. An erster Stelle ist dies die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung, die trotz der EU-Beitritte nur zum Teil realisiert wurde. Daneben spielt seit 1989 der rehabilitierte Nationalismus eine erhebliche Rolle im politischen Leben der alten und der neu entstandenen Staaten. Dennoch plädiert Robert Okey dafür, in dem Systemwechsel von 1989 an erster Stelle den Versuch einer Emanzipierung zu sehen, die sich an den Idealen von 1789 – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – orientierte. 


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