AUSSTELLUNG ZUM ERSTEN WELTKRIEG: Dabeisein war scheußlich

Statt der großen Ausstellung in der Hauptstadt gibt es nun eine kleine in Diekirch zu sehen. Man erfährt einiges über den Ersten Weltkrieg aus Sicht der Soldaten – und dass unter diesen auch Luxemburger waren.

Verwüstete Landstriche, ein Spinnen­netz von Schützen­gräben, mörderische Schnellfeuerwaffen, furchter­regende Tank-Ungeheuer. Der Schrecken des Ersten Weltkriegs in kondensierter Form.

Elegantes Käppi, glänzende Messingknöpfe an der blauen Jacke, leuchtend rote Hosen, schwarzledernes Patronentäschchen … Die Uniform des französischen Infanteristen von 1914 macht Lust auf Krieg. Sie steht in der Vitrine am Eingang des Schützengrabens, den das Nationale militärhistorische Museum (MNHM) in einem der Freizeiträume des Diekircher Internats nachgebaut hat.

„Wir betreiben keine Kriegsverherrlichung“, unterstreicht Frank Rockenbrod, der mich durch die fast fertige Ausstellung über den Ersten Weltkrieg führt. Der Präsident des MNHM verweist auf das Mannequin, das am Ausgang des Schützengrabens zu sehen ist: schwerer Helm, schwerer Mantel, alles in mattem Grün. In die Hose sind lederne Knieschoner eingearbeitet, und unter beiden Armen hängen Kartoffelsäcke, mit Handgranaten gefüllt. Der Grabenkrieg veränderte Uniformen und Menschen, vergessen waren die Paraden vom Kriegsbeginn!

Plakate für den Krieg

Offiziell heißt die Ausstellung „Dans toutes les tranchées, les Luxembourgeois dans la Grande Guerre“. Das soll daran erinnern, dass Luxemburger nicht nur auf der Seite der Entente kämpften. Rockenbrod erzählt von zwei Männern, die aus der gleichen Straße in Rümelingen stammten. „Der eine arbeitete als Hausdiener in Paris und meldete sich als Freiwilliger, der andere wurde als in Luxemburg lebender deutscher Staatsbürger eingezogen. Die beiden standen sich an der Marne gegenüber.“ Nach dem Krieg seien sie wieder Freunde gewesen – symptomatisch für das, was Rockenbrod als „Bruderkrieg“ bezeichnet.

Allerdings wurden die Grabenkämpfer nach dem Krieg nicht alle gleich behandelt. Für die Sieger auf Entente-Seite gab es ein Monument, die Gëlle Fra, für die Verlierer nichts. Rockenbrod erwähnt Schwierigkeiten, was die Sozialversicherung angeht. Besonders krass sei die Situation in Elsass-Lothringen gewesen, das zu Kriegsbeginn deutsch war. Nach dem Krieg wollten weder der französische noch der deutsche Staat für die Renten der Veteranen aufkommen, die in der Armee des Kaisers gekämpft hatten.

Gezeigt wird auch eine Sammlung von sehr interessanten Plakaten, die das MNHM vom Centre mondial de la paix in Verdun ausleihen konnte. Sie zeigen, wie der Krieg der Bevölkerung nahegebracht wurde: einerseits moralischer Druck, sich zum Wehrdienst zu melden oder für den Krieg zu spenden, andererseits Aufbau eines Feindbildes. Frank Rockenbrod unterstreicht, wie sehr sich die Propaganda auf beiden Seiten ähnelte. Und zitiert den Satz eines Soldaten, der das Feinbild in Frage stellt: „Wenn ich ihm Aug` in Auge gegenüberstehe, sehe ich keinen Feind mehr.“

Während wir den nachgebauten Schützengraben betreten, erinnert Rockenbrod daran, wie schlecht die Soldaten im Sommer 1914 auf den wirklichen Krieg vorbereitet waren. „Doch dann wurden ganz schnell alle die tückischen Waffen entwickelt, um den Grabenkrieg auf kürzeste Distanz zu führen.“ An der Wand hängen Handgranaten, ja, sogar selbstgebaute Sprengsätze, die in den Graben gegenüber geschleudert wurden. Wir durchqueren einen dunlen, mit Holzplanken ausgekleideten Gang, gehen um die Ecke. Im nach oben hin offenen Teil erkennt man an den Seiten, hinter Brettern und Blechstücken, auch Lehm. Ich steige über ein paar Sandsäcke bis an den oberen Grabenrand. „Im ersten Weltkrieg hat die technische Entwicklung die Kriegsführung verändert“, erläutert Rockenbrod. „Ein einziger Soldat mit einem Maschinengewehr konnte binnen kürzester Zeit Tausende von Feinden dezimieren.“ Oben blickt man durch Stacheldrahtsperren hindurch auf eine trostlose Landschaft. Einer der Helfer des MNHM, der gerade mit dem Aufbauen beschäftigt ist, schaltet die Licht- und Toneffekte ein. Artilleriefeuer setzt ein, am rötlichen Horizont zucken Blitze auf, ohrenbetäubende Einschläge scheinen sich zu nähern, irgendwo bellt ein Hund sich heiser. Krieg zum Abgewöhnen.

Die Hölle, nachgebaut

Möglich wurde der Nachbau des Grabens, weil das befreundete Musée royal de l’Armée in Brüssel seine Ausstellung moderniserte. Die nicht mehr benötigte Komponenten aus einem ähnlichen Nachbau hat man dem MNHM geschenkt. „Wir haben die dann wieder zusammengebaut und dabei in Module eingeteilt“, sagt der Präsident. So könne man sie nach Abschluss der Ausstellung einlagern und irgendwann neu aufbauen. Für 2018 sei eine weitere große Ausstellung zum Ersten Weltkrieg geplant.

Der Graben ist größtenteils fertig, doch an den Vitrinen wird noch gearbeitet – in ein paar Stunden findet die Einweihung statt. Neben sechs fest Angestellten kann das MNHM auf ein Dutzend stark engagierter ehrenamtlicher Mitarbeiter zurückgreifen, die jetzt, mit Zangen und Schraubendrehern bewaffnet, zwischen den Exponaten hin und herlaufen. Dass die Ausstellung in den Räumlichkeiten des Internats stattfindet, findet Frank Rockenbrod gut. „Die Jugendlichen sind interessiert, etwas Konkretes über diese Zeit zu erfahren.“ Immerhin stelle der Erste Weltkrieg eine weltweite Katastrophe dar.

Im letzten Teil der Ausstellung sind recht widersprüchliche Aspekte dieser Katastrophe zusammengefasst. Man wird informiert über den Weihnachtsfrieden, als 1914 Soldaten beider Seiten die Waffen ruhen ließen und es spontan zu Verbrüderungen kam. Und über das Problem der Kriegsinvaliden, für die, als eine Art parallele Antwort auf die Entwicklung der Waffentechnik, neue Hightech-Prothesen entwickelt wurden. Das tage- und wochenlange Warten, Kämpfen und Sterben in den Schützengräben unter furchtbarsten Bedingungen bezeichnet Rockenbrod als Absage an die Menschenwürde. Und weist mich auf die Vitrinen mit den Spreng- und Gasgranaten hin. Die habe das Sprengkommando der Luxemburger Armee beigetragen – ein paar besonders seltene Stücke befänden sich darunter. Mir fallen vor allem die Plakate auf, die vor Gasangriffen warnen: ein Elefant, der Heu frisst, ein Strauß Geranien, eine Knoblauchzehe, jeweils für die geruchliche Charakteristik von Phosgen, Lewisit und Senfgas. Wie die Propagandaplakate zeugen auch diese Illustrationen von grafischem Können und Kreativität. Krieg, was für ein Wahnsinn!

In der Eingangshalle, wo besonders viele Jugendliche vorbeikommen, erzählen große Tafeln die Geschichten von vier Luxemburgern, die an der Front waren. Jean Reitz, der Direktor der Kulturagentur Alac, ist gerade dabei, ein paar Vitrinen zum Thema Gëlle Fra einzurichten. Es sei unklar, ob sich wirklich mehrere Tausend Luxemburger freiwillig zur französischen Armee gemeldet haben, wie das überliefert sei, sagt er mir. Man habe 541 Freiwillige für das erste Jahr dokumentieren können, er schätze, dass man für die gesamte Kriegsdauer auf etwa 800 Personen komme. „Es ist nicht immer klar, wen man als Luxemburger bezeichnen kann und wen nicht.“ Reitz verweist auf die Tafel zu Henri Dieschburg, der schon vor dem Krieg in Paris einen Einbürgerungsantrag gestellt hatte. Weil er fließend Deutsch sprach, ist er im Ersten und später im Zweiten Weltkrieg bei der militärischen Aufklärung eingesetzt worden.

Luxemburger auf beiden Seiten

Jean-Pierre Reinert, ein anderer exemplarischer Fall, sei dagegen wohl 1914 als Deutscher angesehen worden. Er sei „fasziniert von Kaiser Wilhelm“ gewesen, heißt es auf der Tafel, doch Reitz führt an, er habe zuvor in Deutschland seinen Militärdienst geleistet. Man sieht, das komplizierte Thema der Luxemburger, die 1914 auf der „falschen“ Seite kämpften, bedarf noch einer historischen Aufarbeitung.

Das Militärhistorische Museum sieht seine Aufgabe an erster Stelle in der Aufbewahrung und Dokumentation vergangener Kriege und militärischer Aktivitäten. „Waffen sind ein wichtiger Bestandteil dieser Geschichte.“ Der Erfindungsreichtum, mit dem immer neues Kriegsgerät entwickelt wurde, sei unbestreitbar, so Frank Rockenbrod, das Team des Museum bestehe aber nicht aus Waffenfanatikern.

Einerseits weist der Präsident jeden Verdacht auf Kriegsverherrlichung weit von sich, andererseits stammt die Hälfte der festen Mitarbeiter aus der Luxemburger Armee, die recht offensive Rekrutierungskampagnen durchführt. Wie geht das zusammen? Rockenbrod erklärt, die Luxemburger Armee sei naturgemäß Bestandteil der Militärgeschichte. Außerdem arbeite man vor allem mit dem Sprengkommando zusammen. Die Auslandseinsätze, die diese Gruppe durchführe – Suche nach und Entschärfung von Minen – stellten eine „quasi humanitäre Mission“ dar.

Tatsächlich vermittelt der Präsident des MNHM nicht den Eindruck, ein Kriegstreiber und Waffennarr zu sein. Die permanente Ausstellung des Museums, die vor allem der Ardennenoffensive gewidmet ist, gibt allerdings ein durchwachsenes Bild ab. Das Museum verfügt über eine umfassende Sammlung von Waffen und Kriegsfahrzeugen, und stellt diese etwas zusammenhanglos aus. Wobei die Technikfaszination, die von Waffen – und noch mehr von Fahrzeugen – ausgeht, nicht unbedingt etwas darüber aussagt, wie man über Krieg denkt. Im Museumsshop findet man Bücher zu Waffentechnik und Kriegserfahrungen sowie zahlreiche Souvenirs, vom Minipanzer bis zum Divisionsabzeichen. Und Reliquien wie Jerricans und Original-Westwall-Stacheldraht.

Frank Rockenbrod sieht die Aufgabe des Museums darin, die kollektive Erinnerung zu bewahren. Klar gebe es die Sammler und die an Waffentechnik interessierten Besucher. „Doch wir haben auch viele Schulen, für die wir dann Führungen veranstalten. Das ist wichtig, dadurch werden die gezeigten Objekte zu mehr als nur einer Art Denkmäler.“ Früher sei es einfach gewesen, weil die Generation der Zeitzeugen noch da war. „Jetzt, nach fast 70 Jahren Frieden, gibt es einen großen Erklärungsbedarf.“

Militärgeschichte heute

Die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg, betont Rockenbrod, sei von Anfang an komplementär zur von der Universität geplanten Ausstellung konzipiert worden. Noch bevor diese abgesagt wurde, habe man sich darauf verständigt, Überschneidungen zu vermeiden: „Wir haben uns auf die Geschichte der Luxemburger Freiwilligen und auf die Kriegserfahrung des einzelnen Soldaten konzentriert.“ Neben der finanziellen Unterstützung durch den Staat und die Diekircher Gemeinde habe man von Sachleistungen des Internats, des Kulturhistorischen Museums und ausländischer Institutionen profitiert. „Wir haben schon immer mit wenigen Mitteln auskommen müssen“, sagt der Präsident des MNHM.

Die geplante große Ausstellung ist dem Flächenbombardement der Haushaltspolitik zum Opfer gefallen, deshalb ist es begrüßenswert, dass wenigstens die – gut gemachte – Diekircher Ausstellung an den Ersten Weltkrieg erinnert. Es ist gewiss auch verfehlt, über Militärgeschichte an sich die Nase zu rümpfen, denn Armeen und Kriege entfalten eine Eigendynamik, die nicht in anderen historischen Kategorien aufgeht. Bücher wie die des Militärhistorikers John Keegan helfen, unter anderem beim Thema Erster Weltkrieg, diese Eigendynamik zu verstehen und einzuordnen. Noch interessanter sind die Arbeiten des Historikers Jeremy Black zu weiter zurückliegenden Konflikten, die den Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte herstellen. Idealerweise bleibt Militärgeschichte nicht bei einer halb faszinierten, halb angewiderten Beschreibung vergangener Kriege stehen, sondern analysiert mit nüchternem Blick die Kräfte, die damals und dort am Werk waren und die mit ihrem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umfeld interagierten. Die jetzt eröffnete Ausstellung des MNHM kann als ein Schritt weg vom reinen Aufbewahren von Erinnerungen, hin zu einer modernen militärhistorischen Herangehensweise gesehen werden.

Die Ausstellung „Dans toutes les tranchées“ wurde am vergangenen Freitag eingeweiht, und ist vom 8. bis zum 30. November täglich geöffnet (Details siehe Agenda). Die Erklärungstafeln sind auf Französisch, Führungen in verschiedenen Sprachen können angefordert werden.


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