ITALIEN: Vor den Toren Roms

In Randvierteln Roms gehen rassistische „Bürgerausschüsse“ gegen Flüchtlinge vor. Die rechtsextreme Partei Lega Nord feiert derweil einen großen Erfolg bei den Regionalwahlen in Mittelitalien.

Randale ist sein Metier:
Mario Borghezio (Bildmitte), Europaabgeordneter der Lega Nord, tummelt sich beim rassistischen Mob der italienischen „Bürgerproteste“ ebenso wie bei Tumulten im europäischen Parlament, wenn es etwa, wie unser Bild von Anfang Februar zeigt, gegen den Euro geht. (Foto: Flickr)

„Hier können sie nicht bleiben! Wir wollen keine Flüchtlinge aus Tor Sapienza!“ Eine Woche, nachdem sie in ihrer Unterkunft angegriffen wurden und unter Polizeischutz verlegt werden mussten, geht in Rom die Hetzjagd auf 25 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge weiter. In Infernetto, einem zur Kleinstadt angewachsenen Stadtteil im Südwesten Roms, wo die Jugendlichen kurzfristig in einer Notunterkunft untergebracht wurden, ruft ein sogenannter Bürgerausschuss zum Protest auf.

Auf der Demonstration am Samstag waren keine Parteifahnen zugelassen, doch der Schriftzug auf dem Eröffnungsbanner und die propagierten Slogans ließen keinen Zweifel an der politischen Provenienz der Veranstalter: „Wir wollen kein Aufnahmeheim!“ und „Italiener zuerst!“ Unter der Trikolore vereinten sich ein paar Dutzend Anwohnerinnen und Anwohner mit Anhängern des neofaschistischen Zentrums „Casa Pound“ zu einer wütenden Hundertschaft.

Eine ähnliche Koalition aus rechtsextremen Gruppen und einer aufgebrachten Bürgerschaft hatte sich Mitte November in Tor Sapienza, einem Stadtteil in der südöstlichen Peripherie Roms, zu einem gewalttätigen Mob zusammengerottet. Mit Eisenstangen, Papierbomben und Feuerwerkskörpern bewaffnet, belagerte die Menge das Flüchtlingsheim, in dem sich neben den Jugendlichen weitere 40 Asylsuchende, vornehmlich aus Nordafrika mit dem Betreuerteam der Einrichtung zu verbarrikadieren suchten. Ausgelöst wurde die Hatz auf die Asylsuchenden durch das falsche Gerücht einer versuchten Vergewaltigung. Der eindeutig rassistisch motivierte Angriff wurde jedoch nicht nur in den Mainstreammedien umgehend zu einem „Krieg zwischen Armen“ uminterpretiert, zu einem verzweifelten Aufschrei gegen den „Zerfall“ der römischen Vorstädte.

Seit den Nachkriegsjahren verläuft jenseits der antiken Stadtmauer, die das touristische Zentrum Roms umschließt, eine zweite, entlang der mittelalterlichen Befestigungsanlagen gebaute Stadtgrenze, der Autobahnring Grande Raccordo Anulare (GRA). Die Stadtteile, die an den GRA angrenzen, tragen die Namen der alten Wachtürme: Tor Sapienza, Tor Pignattara, Tor Bella Monaca. Infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise und der kommunalen Sparpolitik sind diese historischen Vororte in den vergangenen Jahren verarmt. Öffentliche Verkehrsmittel verkehren vor allem in den Abendstunden nur noch selten oder gar nicht mehr, in vielen Straßenzügen fehlt jegliche Beleuchtung, die wenigen vorhandenen Grünanlagen verwahrlosen, auf den Ausfahrtstraßen hat sich der Straßenstrich etabliert.

Insbesondere im Südosten der Stadt reicht die trostlose Peripherie inzwischen weit über den Autobahnring hinaus. Inmitten leerstehender Wohnanlagen, die als prestigeträchtige „neue urbane Zentren“ geplant waren, kampieren Sinti und Roma, illegalisierte Einwanderer, Migranten aus den östlichen EU-Ländern und wohnungslose italienische Familien in improvisierten Baracken.

Dezidiert antirassistische Initiativen werden immer häufiger selbst zum Angriffsziel militanter Rechter.

Seit Monaten entlädt sich in diesen Randbezirken die Wut der „Bürgerausschüsse“ im Hass auf die „Fremden“. Diese werden für die prekären Lebensumstände und den Abbau der öffentlichen Infrastruktur verantwortlich gemacht. Asylsuchende werden um die kargen sozialen Leistungen, die ihnen gewährt werden, beneidet. Obwohl sich viele Anwohnerinnen und Anwohner vor laufender Fernsehkamera zu ihrem Hass auf „Neger“ und „Zigeuner“ bekennen, wird der Rassismus in der Berichterstattung geleugnet oder zumindest verharmlost. Die Bevölkerung suche „nur“ nach Sündenböcken, man müsse die „Ängste“ nachvollziehen. Dass es die italienischen Mafiagruppen sind, die den beklagten Drogen- und Frauenhandel mit organisieren, wird selten thematisiert, obwohl kaum eine Woche vergeht ohne eine brutale, häufig tödliche Einschüchterungs- oder Vergeltungsmaßnahme.

Angeführt werden die nationalchauvinistischen Proteste offensichtlich von rechtsextremen Gruppen. Als vor zwei Wochen 60 „Bürgerausschüsse“ zum „Marsch der Peripherien“ aufriefen und mit einer großen Nationalflagge in die Innenstadt Roms zogen, um gegen die „Invasion“ von „kriminellen Ausländern“ zu protestieren, wurden zwar keine Parteisymbole getragen, aber zur Nationalhymne erhoben sich die Arme unübersehbar zum faschistischen Gruß. Und als der ehemalige neofaschistische Schläger Gianni Alemanno, der zwischen 2008 und 2013 als Oberbürgermeister Roms die rechte Szene hofierte, sich in den Demonstrationszug einreihte, wurde er von seinen alten Kameraden mit herzlichem Schulterklopfen empfangen.

Erschreckend hilflos muten dagegen die Versuche einiger antirassistischer Stadtteilgruppen an, die historische Vergangenheit zu beschwören und an die proletarische, antifaschistische Tradition der römischen Peripherie zu appellieren. Zwar hatten die außerparlamentarischen, linksradikalen Gruppen in den Siebzigerjahren im Süden der Hauptstadt eine solide Basis. Und noch in den Achtzigerjahren, als der politische Rollback begann, setzten die „centri sociali“ mit der Besetzung der alten Militäranlage Forte Prenestina und der ehemaligen Textilfabrik Snia Viscosa einen Gegenakzent.

Doch den gegenwärtigen sozialen Bewegungen, die vor allem in den zentrumsnahen Stadtvierteln für den Erhalt von Kultureinrichtungen und gegen den Ausverkauf brachliegender Industrieanlagen kämpfen, fehlt jede Verbindung zu den Marginalisierten der Peripherie, das antirassistische Bewusstsein ist kaum mehr als eine Floskel.

Anlässlich der landesweiten sozialen Proteste am 14. November freuten sich die römischen Postoperaisten darüber, dass die allgemeine Prekarisierung den sozialen Frieden aufbreche und sich eine neue Koalition aus Arbeitslosen, Prekären und Gewerkschaftern gegen die „multinationalen“ Profiteure der neoliberalen Umstrukturierung herauskristallisiere. In solchen Kommentaren werden nicht nur die rassistischen Ressentiments der Einheitsfront unterschätzt, sondern gleichzeitig die nationalistischen Reflexe bedient. Andererseits werden dezidiert antirassistische Initiativen immer häufiger selbst zum Angriffsziel militanter Rechter. So wurden nur wenige Tage nach den Ausschreitungen in Tor Sapienza die Amateure eines interkulturellen Fußballclubs im Stadtteil San Paolo von einem neofaschistischen Schlägertrupp angegriffen.

Spätestens mit der Wahl Alemannos zum Bürgermeister war in Rom der antifaschistische Konsens gebrochen. Dass seine Stadtverwaltung nach fünf Jahren wieder abgewählt wurde und die Hauptstadt seit den Kommunalwahlen im Frühjahr 2013 erneut von einer linksliberalen Mehrheit regiert wird, kann nicht über die rechte Hegemonie hinwegtäuschen. Einiges deutet darauf hin, dass sich die rassistischen Einstellungen nicht in den – schlechten – Wahlergebnissen der neofaschistischen Splitterparteien, sondern eher in der großen Anzahl von Nichtwählern spiegeln. Denn auch in den südöstlichen Randbezirken der Hauptstadt, die alle von Linkskoalitionen verwaltet werden, ging zuletzt bestenfalls die Hälfte der Stimmberechtigten zur Wahl.

Die Ablehnung der institutionellen Parteipolitik zeigte sich deutlich während der rassistischen Ausschreitungen in Tor Sapienza. Nicht nur Bürgermeister Ignazio Marino wurde bei seinem Eintreffen vor der geräumten, nach den Angriffen des Bürgermobs vorerst unbewohnbaren Flüchtlingsunterkunft beschimpft. Auch die römische Parlamentsabgeordnete von der bis vor wenigen Monaten gefeierten Fünf-Sterne-Bewegung, Paola Taverna, wurde ausgepfiffen und vertrieben.

Allein die politischen Vertreter der extremen Rechten wurden freundlich empfangen. Doch nicht Giorgia Meloni, um die sich die Postfaschisten der ehemaligen Alleanza Nazionale scharen und der wegen ihres römischen Slangs eigentlich ein Heimvorteil zugesprochen wurde, scheint aus der Situation politischen Profit ziehen zu können. Die Stimmung hat sich bereits noch weiter radikalisiert.

Ausgerechnet Mario Borghezio, der Europaabgeordnete der Lega Nord, der sich bereits anlässlich der europäischen Parlamentswahlen im Mai mit den Neofaschisten der Casa Pound verbündete, avanciert zum Stargast der zahllosen „Bürgerproteste“. Zwar wird ihm in Erinnerung an seine früheren Schimpftiraden gegen die Hauptstadt und seinen Kampf für die Unabhängigkeit der Region Padanien (Nord- und Teile Mittelitaliens) und bisweilen aus lokalpatriotischem Stolz das Megaphon verweigert, aber seine migrationsfeindliche Propaganda stößt durchweg auf Zustimmung.

Am Wochenende haben die Regionalwahlen in Kalabrien und der Emilia Romagna gezeigt, dass die Wahlbeteiligung auch dort weit unter 50 Prozent gesunken ist. Dennoch ist der Plan des Parteisekretärs der Lega Nord, Matteo Salvini, die einstige separatistische Regionalpartei nach dem Vorbild des französischen Front National in eine xenophobe, antieuropäische Lega Nazionale zu verwandeln, zumindest in Mittelitalien aufgegangen. Der von der Lega Nord für das Rechtsbündnis aufgestellte Kandidat errang fast 30 Prozent der Stimmen, nachdem Salvini für seine Partei einen aggressiv rassistischen Wahlkampf geführt hatte. Allerdings war es in Bologna, anders als in Rom, wo die Rechten ungehindert aufmarschieren können, einer antirassistischen Initiative gelungen, Salvinis geplanten Auftritt in einem Roma-Camp zu verhindern und somit wenigstens einmal eine antiziganistische Hetzrede zu unterbinden und ein antirassistisches Zeichen zu setzen.

Catrin Dingler ist freie Publizistin; sie pendelt zwischen Stuttgart und Rom.


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