THEATER: Die Grenzgängerin

Marion Poppenborg bewegt sich zwischen Regie und Schauspielerei hin und her, zwischen Stücken in deutscher und französischer Sprache. Erstmals steht sie mit der Gruppe Maskénada auf der Bühne.

Ein gern gesehener Gast in Luxemburg: Zurzeit spielt Marion Poppenborg mehrere Rollen in Frédéric Frenays
Inszenierung von „The Elephant Man“ in der Escher Kulturfabrik.

Mrs. Kendal weiß, dass sie Illusionen verkauft. Als Schauspielerin hat sie ein Gespür dafür, dass vieles im Leben nur Maskerade ist. In dem „Elefantenmenschen“ John Merrick entdeckt sie einen verletzlichen, sensiblen Menschen. In den Augen der anderen ist er dagegen ein Monster – oder das Objekt wissenschaftlicher Studien.

Mrs. Kendal ist nur eine der Rollen, in die Marion Poppenborg in Frédéric Frenays Inszenierung von „The Elephant Man“ in der Escher Kulturfabrik schlüpft. Darüber hinaus ist sie in dem Stück von Bernard Pomerance, das vor allem durch David Lynchs Verfilmung berühmt wurde, auch als Krankenschwester Mrs. Sandwich zu sehen. „The Elephant Man“ ist ihre erste Arbeit mit Maskénada.

Dabei ist Marion Poppenborg längst ein häufiger Gast in der Luxemburger Theaterszene. Vor allem am Kapuzinertheater hat sie gearbeitet: Dort führte sie zuletzt in der Saison 2002/03 Regie bei Schillers „Maria Stuart“ mit Sascha Ley und Myriam Müller in den Hauptrollen. Im Escher Theater brachte sie vor kurzem Gabriel Baryllis „Butterbrot“ mit Frédéric Frenay, Daniel Plier und Thierry van Werveke auf die Bühne.

Vom Königinnendrama zum leichtfüßigen Dreipersonenstück über eine Männer-WG: Wie sie als Schauspielerin auf der Bühne in „The Elephant Man“ die Rollen wechselt, so wandert Marion Poppenborg auch als Regisseurin von einem Genre zum anderen, inszeniert schwere Klassiker ebenso wie leicht bekömmliche Boulevardstücke. Erstere bereitet sie publikumsgerecht und zeitgemäß zu, indem sie beispielsweise aus Schillers „Steinbruch“ (O-Ton Poppenborg) die Hälfte an Text herausmeißelte. Theaterpuristen mag die Regisseurin vielleicht zu weit gegangen sein, wenn statt der ursprünglich 23 Personen des Stücks nur noch sieben gebraucht werden und die titelgebende Hauptperson die meiste Zeit in einem Sandhaufen steckt. Eine erfrischende und originelle Inszenierung der „Maria Stuart“ war es allemal. Ähnlich peppig verstand es Marion Poppenborg kürzlich in Bremerhaven, aus Helene Hanffs autobiographischem Briefwechselroman „84 Charing Cross Road“ einen unterhaltsamen Theaterabend zu machen. In dem Stück über zwei passionierte Bücherfreunde stand sie selbst als Helene auf der Bühne.

Der spielerische Wechsel vom Dirigieren zum Agieren und wieder zurück gehört zu den unverkennbaren Stärken Marion Poppenborgs. „Als Regisseurin und als Schauspielerin hilft einem das Wechseln der Seiten. Im Moment genieße ich es zu spielen und beim Regisseur manchmal die eigenen Verhaltensweisen und Gefühlszustände gespiegelt zu sehen“, erklärt sie und fügt hinzu: „Gleichzeitig erkennt man wieder die Unsicherheit und das Wundsein eines Schauspielers, sowie seinen Hunger nach Lob.“

Diese Art Grenzgängerei habe es bereits mehrmals in
ihrem Leben gegeben, sagt
Marion Poppenborg, nicht nur zwischen Schauspielerei und Regie, sondern auch zwischen dem deutschen und französischen Sprachraum. Schon als Schülerin sei sie zum Austausch nach Frankreich gekommen. Ihre Eltern hatten dies gefördert. Dass sie später einmal nach Luxemburg gekommen ist, also an eine Schnittstelle zwischen deutscher und französischer Kultur, ist daher vielleicht eine logische Konsequent.

Aufgewachsen ist Marion Poppenborg in Gütersloh, in der westfälischen Provinz. „Noch heute sind mir die Provinzstädte lieber“, sagt sie. „In die Metropolen gehe ich nur, um mir vielleicht eine Inszenierung anzuschauen. Aber in den kleineren Städten fühle ich mich wohler. Hier ist alles übersichtlich. Man hat seine Kneipen, seinen Freundeskreis. Und man hat mehr Natur.“ Letztere braucht sie nicht zuletzt, um mit ihrem Hund, den sie auch zu den Proben mitnimmt, spazieren zu gehen.

Die Tochter aus bürgerlichem Haus brauchte einigen Mut, Schauspielerin zu werden. „Meine Eltern haben sich meinen Plänen heftig widersetzt“, erzählt sie. Zwar hatte sie schon als 16-Jährige bei einer alten Schauspielerin an der Volkshochschule Schauspielunterricht genommen. Die
ersten kleineren Rollen am Theater in Münster, wo sie Germanistik und Sport studierte, spielte sie ohne Wissen der Eltern. „Die ganze Sache flog auf, als ich von meinen Eltern zum Essen eingeladen wurde, gleichzeitig aber eine Vorstellung hatte.“

Die Autodidaktin, die nie eine Schauspielschule besuchte, fand ihr erstes Engagement in Baden-Baden. „Eine schöne Zeit“, erinnert sie sich. In der Kurstadt verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt als Fernsehansagerin beim Südwestfunk. Ihre nächste Station war das Theater in Bamberg, wo sie in der Saison 1980/81 ihre erste Regie führte: Brechts „Furcht und Elend im Dritten Reich“. Für die damals 27-jährige Schauspielerin nicht einfach, herrschten doch vorwiegend patriarchalische Verhältnisse an den deutschen Stadttheatern. Bis heute hat sich daran nur wenig geändert, weiß sie. Zwar gibt es mehr Frauen im Regiefach als vor 20 Jahren, die leitenden Positionen werden jedoch nach wie vor von Männern besetzt. „Am liebsten würde ich eine
Vereinigung von Theaterfrauen gründen“, meint Marion
Poppenborg. Auf der Bühne interessieren sie „eher die Täterinnen als die leidenden Opfer“.

Ihre zweite Inszenierung bekam Marion Poppenborg in Trier von einem jener alten Theaterpatriarchen: Patrick Süßkinds „Kontrabass“. „Nach dem Ein-Personen-Stück vertraute mir der damalige Intendant Rudolf Stromberg ein Stück für zwei Personen an, und das ausgerechnet mit zwei Schauspielern, die einander hassten“, erzählt sie. „In der dritten Inszenierung spielten dann vier Personen mit.“

Während ihr Hauptberuf die Schauspielerei blieb, inszenierte Marion Poppenborg ab Ende der 80er Jahre in Regensburg, Stuttgart und erstmals auch in Luxemburg (Peter Shaffers „Laura und Lotte“). Ein weiterer Schritt nach oben auf der Karriereleiter bedeutete das Engagement als Schauspielerin am Saarländischen Staatstheater. Danach arbeitete sie vorwiegend als freie Regisseurin unter anderem in Saarbrücken, Baden-Baden, Esslingen, am Badischen Staatstheater in Karlsruhe und an der Württembergischen Landesbühne. Sechs Jahre lang war sie Oberspielleiterin – „nie mehr“ lautet ihr Fazit und: „Man fühlt sich wie ein Punching Ball zwischen Intendanz und Ensemble.“

Ihre Engagements in Luxemburg haben Marion Poppenborg, die bisher drei Stücke auf Französisch inszeniert hat, erneut zur Grenzgängerin werden lassen. Dieses Mal im wahrsten Sinne des Wortes: Die Künstlerin lebt in Saarbrücken und fährt zu den Proben und Vorstellungen ins Großherzogtum. Am deutschen Theater schätzt sie den Tiefgang und die Authentizität, am französischen die Brillanz und Leichtigkeit, in Luxemburg findet sie beides vor. Und mit Maskénada hat sie eine Gruppe gefunden, die sie nach eigenen Worten neugierig macht auf neue Sichtweisen. Zu ihrer Rolle der Mrs. Kendal meint sie: „Irgendwann kommt immer der Moment der großen Stille, der Offenlegung für einen Charakter, das ist eigentlich das Schönste … und dann gibt es ja auch als Schauspielerin immer den Moment der Grenzgängerei, wo man entweder hinter der Rolle ganz viel von sich und seinen Sehnsüchten verrät oder gerade das am wenigsten Gelebte als Wahrheit verkauft.“


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