FOTOGRAFIE: Der Kindheit beraubt

Die eindrucksvolle Ausstellung „Infancia“ der spanischen Fotografin Isabel Muñoz – im Herzen des Bankenplatzes – löst mit der Darstellung von Kinderarmut Betroffenheit aus und erfüllt damit wohl ihren Zweck.

Straßenkinder auf den Klippen Manilas: Die Brüder Luis Pérez, Salvador, Armando Pasco und D.M. wurden Opfer von sexuellem Missbrauch. Zurzeit leben sie in einer Unterkunft von Unicef.

Die Vorweihnachtszeit ist auch die Jahreszeit, in der Hilfsorganisationen Konjunktur haben. Spendenorganisationen locken mit selbstgemalten Karten ihrer Unterstützungsadressaten und weisen zu Recht einmal im Jahr auf das Elend derer hin, die meist vergessen werden.

Zum 25-jährigen Jubiläum der UN-Kinderrechtskonvention, ihrer 54 Artikel und drei Fakultativ-Protokolle wartet die luxemburgische Sektion des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, Unicef, nun mit einer extravaganten Foto-Ausstellung auf, der Foto-Schau „Infancia“ der spanischen Fotografin Isabel Muñoz. Fünf JournalistInnen von „El Pais“ haben gemeinsam mit Muñoz 20 Länder in Afrika, Asien, Amerika und Europa bereist und dabei mehr als hundert Kinder und Jugendliche getroffen; ihre Portraits erschienen bereits im November 2009 in einer Sonderausgabe von „El Pais Semanal“. Einige Monate später wurden die Fotografien in Spanien im CaixaForum in Barcelona und Madrid, im IVAM in Valencia und anschließend im Museum „Patio Herreriano“ in Valladolid sowie im Guggenheim-Museum in Bilbao gezeigt.

Trotz zahlreicher Bemühungen im Kampf für Kinderrechte klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch immer weit auseinander. Weltweit sterben drei Millionen Neugeborene an vermeidbaren Ursachen, rund 168 Millionen Kinder werden zur Kinderarbeit gezwungen. Fast 58 Millionen Kinder im Schulalter haben keine Chance auf Schulunterricht. Die Foto-Serie, die vom spanischen Komitee der Unicef in Auftrag gegeben wurde, zeigt die oft bittere Realität der von Armut betroffenen Kinder auf vier Kontinenten – ein krasser Gegensatz zu den hehren Zielen der UN-Kinderrechtskonvention.

Isabel Muñoz, geboren 1951 in Madrid, zählt zu den renommiertesten Fotografinnen Spaniens. Sie nutzt das Medium der Fotografie und vor allem das der Portraits, um sich anderen Kulturen anzunähern und Unrecht aufzuzeigen. Bereits zweimal (2000 und 2005) wurde ihr der „World-Press-Photo-Preis“ verliehen.

Es sind meist großformatige Foto-Aufnahmen in den beiden Galerien der BGL – teils in Farbe, teils Schwarz-Weiß, auf denen Kinder im Mittelpunkt stehen; ihre eindringlichen Blicke wirken nach und hinterlassen Betroffenheit. Zum Beispiel die von Karina Mendez, eine zwölfjährige Mexikanerin und Tochter „politisch Militanter“, wie es in der Bildbeschreibung heißt. Die farbige Fotografie zeigt sie auf einem Floß sitzend, neben sich ihre Stofftiere. Geradeaus blickt sie in die Kamera. Oder die der 16-jährigen Hellen aus Uganda. Vor fünf Jahren wurde sie von der Armee entführt und zu einer militärischen Ausbildung gezwungen. Im Alter von elf Jahren wurde sie so Kindersoldatin. Auf der Fotografie erscheint sie in grellen Farben: das Türkis ihrer Hose sticht ebenso ins Auge wie das Rosa ihres Hemdes, das über einem Stuhl hängt – blauschwarz sind im Kontrast die Wolken, die sich über ihr bedrohlich zusammenziehen.

Die Aufnahme des 17-jährigen Paul aus Uganda zeigt dagegen allein seine Hände voller Schwielen und Brandwunden, die er sich vors Gesicht hält; sein Zustand ist das Ergebnis von zehn Jahren Dienst in der Guerilla der Armee „Résistance du Seigneur“. Seit 2009 ist Paul wieder zurück bei seiner Familie, aber seine Hände kann er wegen der jahrelangen Folter kaum mehr bewegen.

Der 13-jährige Luiz Pérez, ein Straßenkind von den Philippinen, wurde sexuell mißbraucht und von einer Hilfsorganisation aufgelesen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt ihn im Wasser stehend, wie er sich senkrecht einen Fisch vor sein Gesicht hält. Exotisch-kitschig mutet dagegen das Bild „Mères Kongourous“ im Senegal an. Zu sehen sind auf ihm vier Mütter im Krankenhaus „Roi Baudoin“ in Dakar in traditionellen bunten Gewändern, wie sie ihre Neugeborenen an die Brust halten.

Hoffnungslosigkeit strahlen die Aufnahmen von Kindern aus, die mit dem HIV-Virus infiziert sind. So wie das eines siebenjährigen Jungen aus Lesotho, dessen Eltern an Aids gestorben sind. Seine Großmutter postiert ihn vor der Kamera. Um sie herum stapeln sich Reisetaschen, eine große Uhr am Boden gibt an, wann der Junge seine Medikamente einnehmen muss. Oder die des zehnjährigen Mphori, der seit dem Tod seiner Eltern bei seiner Tante lebt. Muñoz hat ihn bei einem Steinhaus vor einem kleinen Feuer, eingewickelt in eine Decke, abgelichtet. Die Aufnahmen stehen für eine Region, in der fast 25 Prozent der Bevölkerung HIV-infiziert sind.

Die Portraits der spanischen Fotografin entfalten in den aseptischen Räumlichkeiten der BGL hervorragend ihre Wirkung – vielleicht gerade dadurch, dass sie die Kehrseite des Kapitalismus zeigen: Ästhetisierte Kinderarmut wird hier im Herzen des Finanzplatzes in der Galerie einer Bank gezeigt. Dass die Ausstellung gerade in der Vorweihnachtszeit angesetzt worden ist, kann man durchaus als Pragmatismus deuten. Spendefreudige, betuchte LuxemburgerInnen dürften die Aufnahmen jedenfalls kaum kalt lassen.

Bis zum 19. Dezember in der BGL BNP Paribas, Espace Royal Monterey und im Centre Bancaire Kirchberg/Rotonde.


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