ARCHITEKTUR: Alle mitdenken

Was bedeutet „gendergerechtes Bauen“, und welche Vorteile bringt es mit sich, alle Gruppen in die Planung von Gebäuden miteinzubeziehen? Die Zürcher Architektin Maya Karácsony über die Vorzüge einer Einbeziehung der weiblichen Expertise.

Maya Karácsony (Dipl. Architektin IAUG SIA) ist Partnerin im Züricher Architekturbüro KORY. Sie ist Gender-Expertin für Planung und Bau, war von 2009-13 Mitglied im Ausschuss des Lares-Projekts und gehört jetzt dem Vorstand des Vereins Lares an (www.lares.ch). Sie war Mitbegründerin und erste Präsidentin der Kommission „Frau und SIA“, in der sie gegenwärtig noch als Mitglied aktiv ist (SIA ist der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein). Karácsony hat diverse Aufsätze zu den Themen Architektur und Gender veröffentlicht. 

Nachhaltiges Bauen und Ressourcen- und Energiesparen sind seit längerem Thema, doch soziale und gesellschaftliche Aspekte bleiben beim Planen und Bauen oft noch im Hintergrund. In jüngster Zeit ändert sich das. Zunehmend wird auch in Westeuropa über diese Aspekte diskutiert, Initiativen für neue Wohnformen entstehen und werden aktiv. Die Gender-Dimension, das heißt unter anderem die Frage, ob Frauen und Männer aufgrund ihrer sozialen Rollen unterschiedliche Nutzungswünsche an Bauprojekte richten – und falls ja, welche das sind -, ist jedoch noch kaum zur Sprache gekommen. Dabei sind es gerade Gender-ExpertInnen, die dazu beitragen, dass auch die soziale Nachhaltigkeit in die Planung eingeht und damit in die Nutzung integriert wird. Die Zürcher Architektin Maya Karácsony engagiert sich bereits seit 2009 bei dem Projekt Lares – Gender- und alltagsgerechtes Planen und Bauen. Lares setzt dies seit 2006 in der Schweiz um. Die Lares-Fachfrauen beurteilten zahlreiche Bauprojekte aus der Gender-Perspektive.

„Der Alltag von Frauen ist komplex, denn in der Regel sind es immer noch Frauen, die – meist zusätzlich zur Berufstätigkeit – die gesellschaftlich wichtige Betreuungs- und Versorgungsarbeit leisten.“

Was aber bedeutet der Begriff der Gender-Perspektive und des „Gender-Mainstreaming“, bezogen auf Raum- und Gebäudeplanung? In ihrem Vortrag, zu dem die Stadt Luxemburg und Cid | Fraen an Gender einladen, wird Karácsony der Frage nachgehen, welche Instrumente und Rahmenbedingungen nötig sind, um Freiräume und Gebäude alltagsgerechter, den sozialen Bedürfnissen angemessen und nachhaltig zu gestalten. Welche AkteurInnen sollten bei der Planung überzeugt werden, welche Formen von Kooperation und Partizipation sind möglich und mit welchen Fallstricken ist zu rechnen? An den Vortrag wird sich eine kurze, moderierte Debatte mit der Referentin und Luxemburger AkteurInnen anschließen.

Welche Vorzüge bietet also „gendergerechtes Bauens“ konkret, welche Komponenten umfasst es? „Gender Mainstreaming ist ein prozessorientierter Ansatz zur Qualitätssicherung planerischer Aufgaben“, so Karácsony. Es umfasst die Integration von Gender- und Alltagsaspekten und müsste eigentlich selbstverständlicher Teil von Planungs- und Bauprojekten sein, stellt es doch die Bedürfnisse der NutzerInnen in den Mittelpunkt. Gender Mainstreaming sieht Karácsony damit als Querschnittsaufgabe, die auf strategischer Ebene mitgedacht werden müsse. NutzerInnen seien daher in ihrer ganzen Vielfalt zu berücksichtigen: Frauen und Männer, Pensionierte und Jugendliche, Berufstätige und Menschen, die sich um ihre Familie kümmern, Autofahrerinnen, Radfahrer, Kinder und Erwachsene. Wieso aber ist ein genderspezifischer Blick nötig? „Alltagsmuster und Ansprüche von Frauen sind oft von jenen der Männer sehr verschieden und natürlich in gleicher Weise zu berücksichtigen“ betont Karácsony. „Der Alltag von Frauen ist komplex, denn in der Regel sind es immer noch Frauen, die – meist zusätzlich zur Berufstätigkeit – die gesellschaftlich wichtige Betreuungs- und Versorgungsarbeit leisten.“ Hier könne mit entsprechend kluger, nutzerorientierter Planung sehr viel zur Unterstützung aller Beteiligten und zur Erleichterung ihres Alltags beigetragen werden. Arbeitsorte, verfügbare Zeit und Mobilitätsvoraussetzungen seien wichtige Komponenten und zugleich Unterscheidungsmerkmale der Lebensbedingungen der verschiedenen Gruppen. So wünschten sich zum Beispiel Frauen in Parkhäusern eher Parkplätze, die in der Nähe der Vertikalerschließung liegen und möglichst gut beleuchtet sind. Auch seien Frauen häufiger mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs als Männer. Beim Zugang zu Gebäuden müsse diesem Umstand in Bezug auf Orientierung, Attraktivität und Hindernisfreiheit daher unbedingt Rechnung getragen werden. Dies gelte auch in besonderem Maße für Alleinerziehende (Frauen wie Männer), für Ältere und auch für Menschen mit einer Behinderung.

Nachhaltigkeit und Gendergerechtigkeit hängen letztlich unmittelbar miteinander zusammen. So sei Design für alle ein enorm wichtiges Kriterium, denn „Design“ bedeute in erster Linie, wie gut etwas funktioniert und nicht bloß, wie etwas aussieht. „Nachhaltigkeit steht bekanntermaßen auf drei gleichberechtigten Beinen: Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft. In den Bereich Gesellschaft ist der soziale Aspekt eingebettet. Genau hier ist Gendergerechtigkeit, alltagssensibles Planen und Bauen verortet. Leider wurde bisher nur den ersten beiden Bereichen Aufmerksamkeit geschenkt und die gesellschaftlichen Dimensionen der Nachhaltigkeit vernachlässigt“, führt Karácsony aus. Mit dem Gender- und alltagsgerechten Planen und Bauen werde nun auch der Gender-Thematik das ihr zukommende Gewicht beigemessen. Mittel- und langfristig würden damit enorme – meist versteckte oder verlagerte – Folgekosten vermieden, so die Architektin.

Gute Beispiele seien somit diejenigen Fälle, bei denen alle Nutzenden paritätisch miteinbezogen werden und mitbestimmen. Und vor allem, bei denen auch Frauen in den Baukommissionen mitentscheiden. Eben gerade dort, wo die Sicht der Nutzer, namentlich der Nutzerinnen, berücksichtigt wird und der alltägliche Gebrauchswert von Gebäuden und Freiräumen erhöht ist, entstehe und bestehe ein Mehrwert, der zwar nicht auf Kommastellen genau in Zentimetern oder Euro gemessen werden könne, der sich aber auf alle Lebensbereiche positiv und nachhaltig auswirke.

Die Konferenz mit Maya Karácsony unter dem Titel „Die Faszination des Nützlichen“ findet am Dienstag, den 9. Dezember um 18:30 Uhr in der Bibliothek  vom  Cid / Fraen an Gender statt.


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