PERU: Mehr als Schrott

In Peru werden immer mehr alte Elektrogeräte recycelt. Dafür kooperiert das Umweltministerium mit Umweltorganisationen und Recyclingunternehmen.

Müllsammler in Peru:
Was die Armen schon lange lernen mussten, fällt nun auch den Unternehmern auf – auch Abfall kann noch ökonomisch verwertbar sein. Nicht schwer zu erraten, wer in Konsequenz erneut das Nachsehen haben wird.

„Peru ist ein Land, das reich an ungenutzten Abfällen ist. Recycling steckt in unserem Land noch in den Kinderschuhen“, erklärt Pedro Gamio. „Weil wir sträflich leichtsinnig mit giftigen Rückständen, mit Elektroschrott und anderen Abfällen umgehen, haben wir heute deutlich höhere Gesundheitsausgaben als nötig“, kritisiert der ehemalige stellvertretende peruanische Minister für Energie auf einer Wirtschaftstagung im Zentrum Limas kurz vor dem Auftakt zur UN-Klimakonferenz. Gamio engagiert sich seit einigen Jahren für den Einsatz regenerativer Energien, ist Mitglied des Umweltobservatoriums Perus und gehört zu den wenigen gut vernetzten Mahnern für mehr Vernunft im Umgang mit den natürlichen Ressourcen des Landes.

Auf die wird in Peru traditionell wenig Rücksicht genommen. Natur gibt es im Überfluss, das scheint immer noch die Devise vieler Unternehmer zu sein. Doch langsam spricht sich herum, dass Recycling auch ökonomisch sinnvoll ist. „Müll ist Wertstoff“ heißt einer der Slogans, mit denen das Umweltministerium Öffentlichkeitsarbeit macht. Es ist dabei nicht allein. Die Umweltschützerin Albina Ruiz hat mit ihrer Organisation „Ciudad Saludable“ (Gesunde Stadt) auch international Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen. Sie stellte fest, dass die unzureichende Abfallentsorgung in Peru viele Erkrankungen zur Folge hat. Außerdem hat die Ingenieurin ein integratives Entsorgungskonzept entwickelt, das dort eingesetzt wird, wo die Kapazitäten der Kommunen enden.

Im Cono Norte im Norden Limas leben 1,6 Millionen Menschen, die täglich rund 600 Tonnen Müll hinterlassen. Dort begann Ruiz, ihre Idee 2002 in die Tat umzusetzen. Die städtische Müllabfuhr konnte dort nur die Hälfte des Mülls abtransportieren, wodurch wilde Müllkippen auf Freiflächen und am Straßenrand entstanden, die hygienische Risiken erzeugten.

Hier setzte Ruiz mit ihrer „Ciudad Saludable“ an. Die Organisation begann, Menschen aus dem Viertel, die meist keine Arbeit hatten, davon zu überzeugen, Müll zu sortieren und zu verwerten. Dafür erhebt „Ciudad Saludable“ eine Gebühr von umgerechnet etwas mehr als einem Euro, um neue, kleine Entsorgungsbetriebe aufzubauen, die Perspektiven schaffen, wo es keine gibt – in den marginalisierten Stadtvierteln. Dort schulen Ruiz und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diejenigen, die händeringend nach Perspektiven suchen.

In diesem Jahr war Ruiz mit ihrer Organisation in 20 Städten in allen Teilen Perus tätig und sorgte für alternative Strukturen in der Müllentsorgung des Landes. Mehr als drei Millionen Menschen in Peru profitierten von der Dienstleistung und die Regierung hat Ruiz‘ Organisation aufgefordert, einen nationalen Plan zu erarbeiten. Zudem soll ein neues Gesetz die Aktivitäten der kleinen, privaten Müll-Recycler regulieren.

Sie genießen seit einigen Jahren in Peru deutlich mehr Anerkennung. Früher naserümpfend registriert, wenn sie auf ihren Karren Altpapier, Blech, Glas und Plastik stapelten und durch die besseren Viertel von Lima zogen, werden sie nun meist respektiert und sind obendrein uniformiert und motorisiert unterwegs. Ein Beleg für den Wandel in der Wahrnehmung ist auch der Día Nacional del Reciclador, der „nationale Tag des Verwerters“, und in besonders fortschrittlichen Gemeinden werden erfolgreiche Müllverwerter ausgezeichnet.

In vielen Wohnbezirken kommen die Mülltrennung und das Recycling voran, auch wenn Experten wie Gamio monieren, dass erst zwölf der insgesamt 43 Gemeinden Limas ein echtes Entsorgungskonzept haben. Das bestreitet auch Raúl Roca vom Umweltministerium nicht. Doch er verweist auf die Fortschritte, die es überall gibt, und darauf, dass das Thema längst die öffentliche Debatte erreicht habe. „Heute wird über den Umgang mit den Plastiktüten diskutiert, die überall ausgegeben werden, und ob das so sein muss“, sagt Roca. Die Supermarktkette Wong ist die erste, die selbstzersetzende Tüten verwendet. Das sind Indizien für den langsamen Wandel.

Dieser ist auch in einem Segment zu beobachten, in dem noch vor ein paar Jahren gar nicht recycelt wurde – beim Elektroschrott. „Alte Drucker, Monitore, Kühlschränke und ähnliches landeten auf den großen Müllkippen der Stadt und gingen dort früher oder später in Flammen auf, um Kupferdrähte und anderes Metall danach aus den geschmolzenen Haufen zu puhlen“, sagt Herr Li. Der 56-Jährige kennt sich aus mit Recycling, hat früher Papier und Plastik an Großhändler verkauft. Die Wertstoffe haben Recicladores damals bei ihm abgeliefert – bis ihm und seinem Neffen Antonio die Idee kam, umzusatteln. Sie eröffneten 2006 eines der ersten professionellen Recycling-Unternehmen Limas für Elektroschrott.

Unzureichende Entsorgung von Abfall hat in Peru noch immer viele Erkrankungen zur Folge.

Das war damals ein Novum. „Wir konnten die Geräte auf den Müllkippen einsammeln, teilweise am Straßenrand“, erinnert sich Antonio und deutet auf seinen Onkel, der an einer Werkbank steht und mit Zange, Akkuschrauber und Messer verschiedene Metalle von einer Platine löst. 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat der Betrieb der Familie Li in San Juan de Lurigancho. Das Areal in einem Industriegebiet am Rande des Zentrums von Lima ist aber schon wieder zu klein.

Kühlschränke türmen sich unter einem Dachvorsprung, bündelweise stapeln sich Computerplatinen auf dem Gelände, während alte Bildschirme, Radios, Bügeleisen und weitere Geräte in stabilen Drahtkörben auf ihre Demontage warten. Dafür sind ein gutes Dutzend Männer in einer offenen Halle verantwortlich, andere bedienen Maschinen zum Schreddern von Plastik, demontieren Bildröhren von alten Fernsehern und sortieren alles, was am großen Tor angeliefert wird. Anders als früher wird „San Antonio Recycling“ heute nämlich von den Unternehmen beliefert, die sichergehen wollen, vernünftig zu recyceln.

Mit dem Wandel in Perus Recycling-Wirtschaft ist auch der Betrieb kontinuierlich gewachsen. „Begonnen haben wir 2006 in einer kleinen Bretterbude nicht weit vom jetzigen Standort“, sagt Geschäftsführer Antonio Li. Derzeit verhandelt der 32-Jährige, der mehrere Jahre als Übersetzer für Chinesisch und Spanisch gearbeitet hat, mit den Banken über Kredite zur Verlagerung und Vergrößerung des Unternehmens. Zwei Millionen US-Dollar wollen sie in ein Grundstück investieren, eine Million US-Dollar in den Bau und noch fehlende Spezialgeräte. Darunter ein Gerät, um die Kühlflüssigkeit aus Kühlschränken zu saugen, und eine Maschine, die Kabel vollautomatisch von ihrer Kunststoff-Ummantelung befreit.

Die Chancen, die Kredite für den Ausbau zu erhalten, stehen nicht schlecht. Dafür ist auch die peruanische Entsorgungsrichtlinie verantwortlich, die im Juni 2013 in Kraft getreten ist. Für Familie Li ist sie ein Glücksfall. „Sie sorgt dafür, dass der Elektroschrott zu uns kommt und wir ihn nicht mehr suchen und teilweise auch aufkaufen müssen“, erklären Onkel Li und Antonio.

„Mitverantwortlich für die neue Mentalität in Perus Müllentsorgung ist nicht nur der Aufbau des Umweltministeriums ab 2008, sondern auch internationale Kooperation“, sagt Roca, der im Ministerium für die neuen Entsorgungskonzepte beim Elektroschrott verantwortlich ist. Vor allem die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit habe wichtige Impulse geliefert, so Roca, der bei den Verhandlungen mit großen Elektrounternehmen zugegen war und froh ist, dass die Recyclingquote im Elektrobereich kontinuierlich steigt – zwischen 2009 und 2011 immerhin von acht auf 20 Prozent.

Einmal im Monat gibt es eine Informationsveranstaltung in Kooperation mit einer Stadt- oder Gemeindeverwaltung. Dabei sind hin und wieder auch die Lis zugegen, denn Aufklärung und die idealtypisch folgende Abgabe von ausrangierten Elektrogeräten bei den Sammelstellen von Stadt- und Gemeindeverwaltungen zahlen sich schließlich aus. Für das Ministerium ist die Teilnahme der drei, vier Recyclingunternehmen, die es in der Elektroschrott-Branche bisher gibt, ein Vorteil, denn sie können schließlich besser erklären, wie sie arbeiten. Auf mindestens 30 bis 40 Prozent taxieren die Lis den Anteil zurückgegebenen Elektroschrotts, was ihnen steigende Einnahmen bringt und den Angestellten eine leidlich faire Bezahlung. „Unsere Einstiegslöhne liegen etwa 50 Prozent über dem Mindestlohn, weil wir wissen, dass die Demontage von Elektroschrott harte Arbeit ist“, sagt Geschäftsführer Li.

Das Gros des recycelten Materials wird ins Ausland exportiert. Für jede Tonne vorsortierten Hartplastiks erhält „San Antonio Recycling“ in den USA 500 US-Dollar. Bei Computerplatinen, die meist nach Japan gehen, ist es deutlich mehr, bei Kupferkabeln, die bislang in China vom Kunststoff befreit werden, ebenfalls. In Peru selbst wird noch kaum etwas wiederverwertet. Auch das soll sich in Zukunft ändern, hoffen die Ingenieure im Umweltministerium. Doch dazu sind Investitionen nötig. Für die wirbt der ehemalige Minister Pedro Gamio beim UN-Klimagipfel in Lima, der am 1. Dezember begonnen hat. Recycling sei schließlich Umweltschutz und Rohstoffbeschaffung in einem.

Knut Henkel arbeitet als freier Journalist und ist für die woxx immer wieder in Lateinamerika unterwegs.


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