MALEREI UND FILM: Der Künstler als Heimkehrer

Der luxemburgische Künstler Nelson Neves besucht nach 23 Jahren zum ersten Mal wieder seine Familie auf den Kapverdischen Inseln. Der Dokumentarfilmer Henri Fischbach folgt ihm dabei mit der Kamera.

Kreative Freundschaft: der Dokumentarfilmer Henri Fischbach und der Maler Nelson Neves (rechts).
(Foto: Christian Mosar)

Die Idylle trügt. Zwischen all den Bananen, Papayas und Mangos muss Martim hart arbeiten. Bis der große Regen kommt, soll die Leitung fertig sein, damit er seinen Pflanzen Wasser zuführen kann. „Wenn das nicht funktioniert, haben wir nichts zu essen“, sagt Martim, der eine ganze Familie ernähren muss. Das Leben der Menschen auf der Insel Santo Ant°o ist voller Entbehrungen. Fast das ganze Jahr über kämpfen sie mit der Dürre. Wassermangel ist das größte Problem auf den Kapverdischen Inseln. Zehn Monate im Jahr regnet es nicht. Die Bodenerosion ist weit fortgeschritten, die Landschaft karg. Und während der Regenzeit im September und Oktober sind die Straßen und Felder schnell überflutet.

„Obwohl die Menschen hier arm sind, haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben“, sagt Nelson Neves. „Sie haben ihr Lächeln bewahrt.“ Mit diesen sentimentalen Worten endet Henri Fischbachs Dokumentarfilm über den „kapverdischen Künstler auf der Suche nach seinen Wurzeln“, so der Untertitel des Films. Der 1973 geborene Neves war im Alter von sieben Jahren seinen Eltern nach Luxemburg gefolgt. Im Großherzogtum ist er aufgewachsen. Hier arbeitet er als Dekorateur. Gemalt habe er schon als Kind, erzählt er und fügt lächelnd hinzu: „Die mochten das überhaupt nicht, wenn ich auch meine Schulbücher bemalte.“ Seine erste Ausstellung hatte er jedoch erst 2001 in Rodange. Weitere folgten
unter anderem in Diekirch
und Niederfeulen sowie in Frankreich.

Erst nach 23 Jahren ist Neves zurück nach Santo Ant°o. Im September vergangenen Jahres bereiste für drei Wochen die Insel im Nordwesten des Archipels – zusammen mit seiner Frau, seinem fünfjährigen Sohn und seinem Freund Henri Fischbach. Letzterer hat die Reise auf Fotos festgehalten und einen Dokumentarfilm gedreht. „Ein festes Konzept für den Film hatten wir nicht. Jedenfalls sollte es keine politische oder geografische Dokumentation werden“, sagt der Dokumentarfilmer, der hauptberuflich als Lehrbeauftragter im Lycée technique in Differdingen arbeitet. Fischbach engagiert sich nach eigenen Worten seit mehr als zehn Jahren für den kulturellen Austausch zwischen Luxemburg und den Kapverdischen Inseln. Neves lernte er vor knapp drei Jahren bei einer kapverdischen Kulturwoche in Luxemburg kennen. Damals hatte dieser gerade mit Acrylfarben zu malen begonnen. Die beiden wurden Freunde und beschlossen, einmal gemeinsam auf die Kapverdischen Inseln zu fahren – und darüber einen Film zu drehen.

Aus der Reise wurde für Neves ein Wiedersehen mit Orten seiner Kindheit – und aus dem Film ein Porträt der Bevölkerung aus dem persönlichen Blickwinkel des Heimkehrers Neves. Geschildert wird die Ankunft des Schiffes im Hafen ebenso wie die Fahrt ins gebirgige Innere der Insel – untermalt mit kapverdischer Musik. „Das Dorf und die Bananenplantagen hatte ich noch ungefähr in Erinnerung“, erklärt Neves. „Ich will nicht sagen, dass es mir fremd vorkam, aber anders.“ Der Luxemburger kapverdischen Ursprungs trifft seine Familie und seine alten Freunde wieder. Stellenweise wirkt der Film wie ein Urlaubs- oder Familienvideo. In seinen stärksten Momenten – vor allem, wenn die Menschen bei ihrer täglichen Arbeit gezeigt werden oder selbst zu Wort kommen – gewinnt er hingegen an dokumentarischer Authentizität.

Auf einem großen Platz wird ein Fußballfeld angelegt. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir früher in ein Nachbardorf zum Fußballspielen gegangen sind“, erzählt ein ehemaliger Spielkamerad. Anlässlich von Nelsons Rückkehr haben sie ein Fußballmatch organisiert. Und zum Abschied wird ausgiebig gefeiert. „Eine der markantesten Eigenschaften der Menschen auf den Kapverdischen Inseln ist ihre Gastfreundschaft“, erklärt Nelson. „Auch wenn sie arm sind, würden sie dir zu essen oder ihr letztes Hemd geben.“

Zu Nelsons GesprächspartnerInnen gehört Epifanio, der für seine Familie ein kleines Haus gebaut hat und nun ein paar Bungalows für Touristen plant. Um überleben zu können, stellt er Grog her, den für die Inseln typischen Zuckerrohrschnaps. Auch er klagt über die Dürre. Obwohl in den Gesprächen und Interviews immer wieder die Härte des Alltags zur Sprache kommt, sollte die Armut nicht im Vordergrund stehen, sagt Henri Fischbach. Sein Film prangert nicht an. Zwar gibt eine Stimme aus dem Off Informationen, aber im Zentrum stehen die Interviewten selbst. Sie erzählen von ihrem Leben und von ihren Erinnerungen. Dann wiederum sieht man minutenlang die Menschen: Frauen beim Wäschewaschen im Fluss, Männer beim Bau einer Straße, beim Fischfang oder beim Brotbacken, oder Kinder beim Spielen.

An anderer Stelle sieht man Nelsons Tante in ihrem Lebensmittelgeschäft, dann die Familie beim Abschiedsessen im Freien – idyllische Bilder, die oft im Kontrast stehen zu den Aussagen einzelner Menschen, so zum Beispiel Madame Conceiç°o: „Das Leben ist nicht einfach“, sagt sie. „Meine Familie hängt vom Meer ab. Wir haben kein Geld. Manchmal gibt es Arbeit, manchmal nicht. Das ist alles. Ciao.“

„Der Film soll auch ein pädagogisches Ziel haben“, erklärt Henri Fischbach. Und Nelson Neves meint: „Die jungen Kapverdier, die in der dritten Generation hier in Luxemburg leben, sollen erfahren, wo sie herkommen. Oft sind sie Luxemburger, aber sie haben eine andere Hautfarbe. Und deshalb sollen sie ihre Vergangenheit besser verstehen.“ Die Integration der Kapverdier sei in Luxemburg immerhin zu 90 Prozent gelungen, sagt Neves, ihre Erfahrungen zumeist positiv. Und doch gebe es einen subtilen Alltagsrassismus: „Viele gehen automatisch davon aus, dass ein Kapverdier nicht fertig wird mit der Schule oder eine Kapverdierin sowieso putzen geht.“

Diese Rollenklischees wollen Neves und Fischbach widerlegen: Neves mit seinen farbenfrohen Bildern, in denen er das Leben der Menschen auf den Kapverdischen Inseln schildert und die Eindrücke seiner dreiwöchigen Reise wiedergibt, und Fischbach, indem er den Künstler mit seinen eigenen künstlerischen Mitteln, als Fotograf und Kameramann begleitete. Während Neves ein Porträt seiner Heimat zeichnet, filmt Fischbach ein Porträt des Künstlers in seiner Umgebung. Damit schließt sich der Kreis.

Die Ausstellung der Bilder, die noch bis 28. Mai in den Räumen des Clae zu sehen ist, und der Verkauf des Films auf DVD und Video soll dazu genutzt werden, um Kindern auf den Kapverden Schulmaterial zu kaufen. Außerdem soll die Dokumentation, die mit Unterstützung des Clae und des Comité Spencer entstand, im nächsten Jahr auf Santo Ant°o gezeigt werden.


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