JUNCKER-KOMMISSION: Europäische Groko hält zu ihrem Präsidenten

Luxleaks bescherte Jean-Claude Juncker einen fulminanten Fehlstart als EU-Kommissionspräsident, seine Glaubwürdigkeit nahm schweren Schaden. Auf der politischen Bühne hat der geschwächte Christdemokrat jedoch nur wenig zu befürchten. Denn in Brüssel formierte sich eine breite Große Koalition, wie sie Junckers Vorgänger José Manuel Barroso nicht im Rücken hatte.

Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte dank Luxleaks keine optimale Startbedingungen. Noch ist die Sache für ihn nicht überstanden. (Foto: EPP)

Seine beiden ersten Auftritte als Kommissionspräsident hätten unterschiedlicher nicht sein können. Als am Mittwoch, dem 5. November, Jean-Claude Juncker nach Abschluss der ersten Sitzung des Collège seiner 27 Kommissare vor der Presse erschien, schien er an öffentliche Auftritte früherer Zeiten anknüpfen zu können. Er habe kein Problem mit David Cameron, vielmehr habe dieser ein Problem mit den anderen Premierministern, ließ er etwa selbstbewusst verlauten und erzielte auch mit anderen saloppen Sprüchen so manchen Lacher bei den zahlreich erschienenen Brüsseler Korrespondenten.

Dass er höchstpersönlich in den Pressesaal im Untergeschoss des Berlaymont hinabgestiegen war, um dort ganz aktuell vom ersten Kabinettstreffen zu berichten, wurde ihm allgemein hoch angerechnet. Sein Vorgänger José Manuel Barroso hatte die Beschlüsse seiner Kommission meist durch seine Sprecher verbreiten lassen. „Wird das jetzt jede Woche so sein?“, fragte eine begeisterte Journalistin, als nach Junckers Auftritt noch eine kleine Runde ihrer Kollegen im Saal erste Eindrücke austauschte. Die Antwort einer Pressesprecherin der Kommission weckte die Erwartung, dass ab nun in diesem Gebäude bei der Kommunikationspolitik ein anderer Wind wehen wird. „Juncker ist das so gewohnt“, antwortete eine Pressesprecherin der Kommission. „Als Premierminister hat er in Luxemburg wöchentlich Pressebriefings nach den Kabinettsitzungen abgehalten.“ Dass Einladungen zu diesen Briefings in den letzten Jahren seiner Amtszeit immer seltener bei den Redaktionen eingingen, erwähnte sie nicht.

Ernüchterung am Tag danach

Am Tag nach diesem Auftritt des Kommissionspräsidenten herrschte jedoch eine ganz andere Stimmung im Pressesaal: Journalisten verschiedener Medien fragten nach Details der soeben publizierten Daten zu den Luxemburger Steuer-Rulings. Doch so viel sie auch bohrten und nachhakten, an diesem Tag bekamen sie keine Antworten. „Wir kommentieren die Politik der Luxemburger Regierung nicht“, wiederholte Kommissionssprecher Margaritis Schinas von nun an mehrmals täglich. Sein Chef hingegen tauchte ab und war seinen Ruf als Kommissionspräsident ohne Pressescheu erst einmal wieder los.

Es dauerte eine volle Woche, bis er sein Schweigen brach. Der Druck in den Medien war ständig gewachsen, was kaum verwundern kann – allzu eng ist Junckers Person als langjähriger Premier- und Finanzminister Luxemburgs mit der Luxleaks-Affaire verwoben. Das Krisenmanagement seiner Berater habe versagt, schrieb die Süddeutschen Zeitung. Wer den 60-Jährigen Christdemokraten kenne, wisse, dass Juncker „gerne klare Worte findet“ und auch bereit sei, „Fehler einzugestehen, wenn es sein muss“, so die Autorin, die vermutete, dass Juncker sich eher auf Anraten seines Teams denn aus eigenem Antrieb den Fragen der Medien entzogen habe. Wer jedoch noch das Verhalten des Luxemburger Premiers gegenüber der heimischen Presse vor Augen hat, dürfte eher vom Gegenteil überzeugt sein und sogar eine gewisse Kontinuität in Junckers Medienstrategie feststellen.

Es fiel dem mit der Brüsseler Presse nicht unerfahrenen Jean-Claude Juncker sichtlich schwer, mit dem schärferen Ton, der nun im Pressesaal herrschte, umzugehen. Deutlich kleinlauter stellte er sich den Fragen und überzeugte dabei längst nicht alle Anwesenden. Der Widerspruch in seinen Ausführungen war allzu offensichtlich: Einerseits erklärte sich der Ex-Premier „politisch verantwortlich für alles, was zu seiner Amtszeit in Luxemburg geschah“, andererseits betonte er, die Luxemburger Steuerbehörde handele autonom und nicht auf Anweisung der Regierung.

Es fiel wohl auch den Juncker-Fans unter den Journalisten schwer, zu akzeptieren, dass ausgerechnet derjenige, der 18 Jahre Premier- und 20 Jahre Finanzminister des Großherzogtums war, nicht als Architekt dieses Steuermodells fungiert habe.

Fragen zu Luxleaks stehen nicht auf dem Wunschzettel

Aus der Hilflosigkeit wurde zuweilen zorniger Trotz. Nach Junckers Amtsantritt häuften sich die Interview-Anfragen. Doch das neu zusammengesetzte Kommunikationsteam des Präsidenten hielt die Redaktionen erst einmal hin. Erst gut vier Wochen, nachdem seine Kommission die Arbeit aufgenommen hatte, lud der Kommissionspräsident Vertreter mehrere großer Zeitungen gleichzeitig zum Antritts-Interview.

Trotz intensiver Betreuung durch sein Team erlaubte sich der bereits angeschlagene Präsident einen faux-pas, den ihm Pressevertreter so bald nicht verzeihen dürften. Als einer in der Runde von Juncker hören wollte, wieso er gar nicht auf den Fragebogen der Luxleaks-Aufdecker reagiert habe, entgegnete der: „Ich antworte nicht auf widerliche Fragen“. Das Internationale Konsortium der Journalisten reagierte prompt, indem es den Fragenkatalog veröffentlichte und somit offen legte, dass es sich keineswegs um besonders niederträchtige oder aggressive, sondern um naheliegende und sachdienliche Fragen gehandelt hatte.

Solche kontraproduktiven Ausbrüche bieten guten Grund für das Beraterteam, den etwas impulsiven Präsidenten gegen den großen Medienansturm abzuschirmen. Sein Kabinettschef Martin Selmayr musste bereits während der Wahlkampagne feststellen, dass sich der Luxemburger mit der Präsenz von Spin-Doktoren eher schwer tut und sich nicht unbedingt an ihre Vorgaben hält.

Selmayr, von dem große Zeitungen – übereinstimmend mit Brüsseler Beobachtern – behaupteten, er sei der heimliche Chef der Kommission, ist ein äußerst erfahrener Kenner der Brüsseler EU-Maschinerie. Mit seiner früheren Chefin Viviane Reding dürfte er es leichter gehabt haben. Immerhin von einer Seite scheint Jean-Claude Juncker auf Unterstützung bauen zu können. Luxleaks zeigte: Nicht nur seine eigene Europäische Volkspartei, sondern auch Sozialdemokraten und vor allem auch Liberale stehen hinter dem Kommissionspräsidenten. Dank ihrer hat Juncker, trotz erheblicher Kritik zu Luxleaks aus dem Europaparlament, die vergangenen Wochen politisch ganz gut überstanden.

Untersuchungskommission verhindert

Daran änderten auch markige Worte im Plenum nichts. „Wir brauchen eine Untersuchungskommission, um gegen Steuerflucht vorzugehen“, hatte der Chef der Liberalen Fraktion im Europaparlament gefordert und bei den anderen Parteien um Unterstützung geworben. Als es dann jedoch konkret wurde, wollte seine Fraktion den Antrag der Grünen nicht mehr mittragen.

Der Chef der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, forderte die Abgeordneten seiner Fraktion in einer E-Mail auf, den Antrag nicht zu unterzeichnen. Er sei strikt gegen eine solche Kommission, weil sie zu wenig Handlungsspielraum habe, so Pittella, der sich zuvor wiederholt für mehr Steuergerechtigkeit stark gemacht hatte. Stattdessen einigten sich die drei Großen darauf, zwei Parlamentsberichte zu dem Thema zu verfassen. Dass die Berichterstatter hierfür weitaus weniger Befugnisse haben werden als die Mitglieder einer Spezialkommission, scheint das Ziel der Initiative zu sein.

Mit an Bord war auch jener Mann, der zunächst um Unterstützung für einen Spezial-Ausschuss gebeten hatte. Guy Verhofstadt bemühte sich, den gemeinsamen Beschluss der drei großen Parteien als Sieg zu verkaufen. Man habe nicht genug Unterschriften für einen solchen Ausschuss zusammenbekommen, schrieb er in einem Pressecommuniqué. Tatsache ist, dass von den 188 benötigten Unterschriften nur noch knapp 50 fehlten. Es hätten also die Liberalen mit ihren 67 Europa-Abgeordneten durchaus den Ausschlag geben können.

Juncker könnte richtig gelegen haben mit seinem Einwand gegenüber seinem früheren belgischen Kollegen, kommentierte der belgische Grüne Philip Lamberts Verhofstadts Sinneswandel. Jean-Claude Juncker hatte dem Liberalen im Europaparlament eine Drohung mit auf den Weg gegeben: Sähe man wirklich einmal genauer nach, könnte es auch für den früheren belgischen Premierminister unangenehm werden!

Doch nicht nur die eigene politische Verletzlichkeit, sondern vor allem auch die vermeintliche Gefahr von rechts schweißt derzeit die politischen Parteien der Mitte zusammen. Von einem Misstrauensvotum, das vom Front National oder Vertretern der britischen Euroskeptiker der Ukip-Partei getragen wird, wollte man sich politisch klar distanzieren. Dass es abseits des Lagerdenkens zuweilen schwer fällt, inhaltlich zu argumentieren, wurde nicht nur in diesem Fall deutlich.

Hauptsache vereint gegen Euro-
skeptiker und EU-Gegner, scheint die Devise der Großen Koalition zu sein. Wer den großen politischen Projekten nicht zustimmt, spielt den Rechten in die Hände, so die Befürchtung. Eine Haltung, von der der angeschlagene Kommissionspräsident derzeit profitiert. Doch eine Große Koalition made in Europe, die sich fortan jenseits inhaltlicher Debatten als pro-europäische Front positioniert, wird die Glaubwürdigkeit ihrer Vertreter wohl kaum erhöhen.


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