VIDEO-KUNST: Luftnummer

Mit „s’inventer autrement“ präsentiert das Mudam eine aufwendige Schau der französischen Installationskünstlerin Sylvie Blocher. In ihrem Werk hinterfragt Blocher rassistische Klischees und Genderkonstrukte. Eine sehenswerte Ausstellung, die nur einen Haken hat …

Perspektivenwechsel:
Ein Teilnehmer von
Dreams Have a Language (Foto: Rémi Villaggi)

Die Vernissage der Ausstellung „s’inventer autrement“ war ein Stelldichein der Luxemburger Polit-Prominenz. Selbst der Premier ließ sich blicken und zeigte sich entzückt. Zu Recht, denn die hier gezeigte Videokunst, in deren Mittelpunkt immer der Mensch steht, ist vielschichtig und emanzipativ, hinterfragt Blocher doch in ihren Arbeiten die Wahrnehmung vorherrschender Geschlechterkonstruktionen, rassistischer Klischees und nationaler Geschichtsnarrative. Vor allem ihre in zahlreichen Ländern entstandenen „Living Pictures“, Video-Serien, an denen Außenstehende mitwirkten, sind eindrucksvoll.

Im Mittelpunkt ihrer monographischen, eigens für das Mudam konzipierten Ausstellung steht ihr Projekt „Dreams Have a Language“, eine aufwendige Inszenierung in der Grand Hall des Museums. Den gesamten November über verwandelte Blocher die Halle in ein Filmstudio, das um eine zwölf Meter hohe Maschine herum errichtet wurde. Über Print und Onlinemedien rief die Künstlerin dazu auf, ins Museum zu kommen, um sich dort vom Boden zu lösen. Ihr Ziel war es, einen Moment des „Loslassens“ entstehen zu lassen, der die Fantasie des Einzelnen freisetzt. Mit der Bespielung des Raums mit ihrem Werk hinterfragte sie bewusst den monumentalen Charakter der großen Halle, und damit die Funktion des Museums selbst. Die Bilder der schwebenden Besucher wurden danach in Video-installationen übertragen. Außerdem ist das Projekt Ausgangspunkt eines Films von Blocher und Donato Rotunno, der die Begegnungen, Gespräche und Ereignisse der Projektarbeit dokumentieren und ab Frühjahr 2015 zu sehen sein wird. „Dreams Have a Language“, schreibt Blocher in einem Kommentar zur Ausstellung, ist „die Geschichte eines Museums in Luxemburg, dessen Besucher sich nicht nur brav die Kunstwerke ansehen, sondern sich plötzlich für ein paar Minuten von der Welt lösen“.

Seit Dezember ist die wagemutige Installation abgebaut, doch in der Haupthalle verweisen überdimensionale Figuren aus Spiegelglas noch immer auf das Leitmotiv der Ausstellung: „Sich neu erfinden“. Betritt man das Untergeschoss, wird man zunächst mit den Videofilmen der im Raum schwebenden Besucher konfrontiert. Zwei weitere Räume führen zu einer Reihe von Zeichnungen – überklebten und übermalten Ausschnitten von Titelseiten der Tageszeitung „Libération“.

Die 2013-2014 entstandene „Libération“-Serie spiegelt Blochers zwiespältiges Verhältnis zu der französischen Tageszeitung wider.

Die 2013-2014 entstandene „Libération“-Serie spiegelt Blochers zwiespältiges Verhältnis zu der französischen Tageszeitung wider – „eine Hassliebe“, wie Blocher es nennt. Die Tableaus, die aus Serien von kleinen Zeichnungen bestehen, sind das Ergebnis eines im Juni 2013 begonnenen Projekts, an dem die Künstlerin ein Jahr lang arbeitete. Täglich las sie die linke Tageszeitung und bedeckte anschließend die Titelseite mit einer pastelligen grünen Schultafelfarbe. Die einzelnen sichtbar gebliebenen Worte und Bild-Fragmente stehen symbolisch für die Überschneidung von Privatem, Kollektivem und Politischem.

Blocher, die als Studentin in Straßburg gemeinsam mit einem Freund im Nebenjob die Libération verkaufte, war zu jener Zeit eine passionierte Leserin, die sich gespannt auf bestimmte Kolumnen freute. Ab den 1990er Jahren, als sich der Tonfall der Zeitung zu ändern begann, nahm sie jedoch eine zunehmend kritische Haltung ein. „Alles was blieb, waren die Bilder“, schreibt sie retrospektiv. Als sie aber von den finanziellen Nöten der Zeitung erfuhr, beschloss sie, sich nicht von ihr abzuwenden.

Eine Videoinstallation ihrer „Living Pictures“ (2010) befindet sich ebenfalls im Untergeschoß. Die im Mudam gezeigte Installation „Les Témoins“ geht auf einen Auftrag der Stadtverwaltung von São Paulo zurück, den diese der Künstlerin 2010, während des Französischen Jahres in Brasilien und anlässlich der Eröffnung eines Kulturzentrums in dem am Stadtrand gelegenen Bezirk Cidade Tiradentes, gab. Blocher inszeniert Jugendliche aus den Favelas: Stolz posieren sie vor der Kamera und durchbrechen damit die von den Herrschenden erwartete Unterwürfigkeit.

In ihrer aus fünf Videos bestehenden Reihe „Speeches“ (2009-2012) wurden Personen in Szene gesetzt, die prägende historische Texte vortragen. Sie reichen vom „Kommunistischen Manifest“ über die kämpferische Ansprache, die Angela Davis bei der Occupy-Wall-Street-Bewegung 2011 hielt, die Flüchtlingskonvention des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, die „Poetik der Beziehung“ von Edouard Glissant bis hin zur Rede Barack Obamas „A More Perfect Union“, die er am 18. März 2008 in Philadelphia hielt.

Vor einem stilisierten, farbigen Hintergrund mit plakativer Symbolik singen die fünf Interpreten abwechselnd in Richtung Kamera. Mal feierlich, mal energisch, mitunter anklagend geben sie den Texten eine ganz neue Dimension und lassen Spielraum für Interpretationen. Während etwa der Sänger David Bichindaritz, ein Freund Blochers, Barack Obamas Rede liest, rattert eine Frau mit nacktem Oberkörper in agitierendem Russisch Teile des Kommunistischen Manifests herunter. Vor der plakativen Kulisse einer Tapete mit rotem Stern, Hammer und Sichel betet sie sowjetische Kampfparolen herunter und beschwört den Niedergang der Bourgeoisie. Eine schwangere Frau singt die Flüchtlingskonvention wie eine Operette, ein Farbiger mit John-Lennon-Sonnenbrille singt im Gospel-Stil: „We say no to Wallstreet, growing capitalism, homophobia, transphobia … no to war!“ So wirken ihre „Speeches“ effektheischend, plakative Symbolik dominiert, und obwohl die Anordnung der vertikalen Stellwände es erlaubt, wie durch ein Labyrinth zu laufen, hinterlässt der intendierte Verfremdungseffekt doch eher Reizüberflutung.

Die Videoinstallationen „Alamo“ und „Change the Scenario“ regen hingegen zum Nachdenken an, wenngleich die Message einem auch hier etwas zu sehr mit dem Hammer vermittelt wird. Mit „Alamo“ (2014) wirft Blocher einen kritischen Blick auf einen der Gründungsmythen des Staates Texas und der USA. Indem sie die Version des Museumsführers einer Latino-Fassung, einer schwarzen und einer indianischen Sichtweise gegenüberstellt, überlässt sie es dem Zuschauer, sich die Geschichte selbst zusammenzureimen und so zu einer differenzierteren Sicht zu gelangen.

Eine vielschichtige, doch in Teilen etwas laute Schau und ein Rummel, auf dem Kunst am eigenen Körper erfahren werden kann.

Mit „Change the Scenario“, 2013 hinterfragt Blocher Gender-Konstruktionen und rassistische Vorurteile in einem. Mit dem Video bezieht die Installationskünstlerin sich auf das Prinzip des US-amerikanischen Künstlers Bruce Naumann, das er in der Frühphase seiner Karriere (1967-1968) umgesetzt hatte, indem er seinen Oberkörper mit Schminke unterschiedlicher Farben bedeckte. Blocher inszeniert das junge afro-amerikanische Albino-Model Shaun Ross bewusst so, dass seine Andersartigkeit hervortritt. Sein Körper ist in dem Film zunächst mit weißer, dann mit schwarzer Farbe bedeckt. Mit dem Ziel, unsere stereotypen Vorstellungen in Frage zu stellen, soll „Change the Scenario“ eine weitere Interpretation der Handlung von Bruce Naumans Debut bieten und so ein Zwiegespräch mit diesem einleiten, bei dem die subjektive Dimension einer rassischen Identität herausgestellt wird. „Seine Hautfarbe unterläuft die traditionellen Lesarten und Reflexe hinsichtlich Gender und Rasse“ protokolliert Blocher.

So erweist sich „s’inventer autrement“ als vielschichtige, intelligente, doch in Teilen etwas laute Schau und wirkt durch „Dreams have a Language“ wie ein Rummel, auf dem Kunst am eigenen Körper erfahren werden kann.

Zudem scheint mit einer Bank als großzügigen Mäzen ein weiteres Tabu durchbrochen. In Zeiten, in denen der Erhalt des Mudam auf der Kippe steht, ist die Partnerschaft mit einer Bank ein Hinweis darauf, dass sich auch Moderne Kunst, selbst wenn sie sich als politisch links und emanzipativ versteht, nicht mehr vom Kommerz abzugrenzen vermag. Der Kommentar der BGL BNP Paribas in der begleitenden Broschüre zur Ausstellung liest sich denn auch wie ein Bekenntnis: „Diese Partnerschaft ist ein schöner Beleg für die Entwicklung unserer Sponsoringpolitik. Als Bank für eine Welt im Wandel unterstützen wir die Kunst, die sich mit ihrer jeweiligen Zeit verändert.“ Der von Blocher bezweckte Perspektivenwechsel läutet damit auch einen Paradigmenwechsel in der Museumspolitik des Mudam ein. Denn das Mudam wird sich in Zeiten zwanghaften Sparens und unter der Ägide einer Kulturministerin, die keinerlei Verständnis für Moderne Kunst aufbringt, wohl ebenfalls neu erfinden müssen. Verschmelzen hier künftig Kunst und Kommerz?

Bis zum 25.05.2015 im Mudam.


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