TANZ: Die Schönheit des Einfachen

Anlässlich des Tanzfestivals „Cour des Capucins“ sprechen die beiden Choreographinnen Annick Pütz (32) aus Luxemburg und Anu Sistonen (41) aus Finnland über Ausgangspunkte und Zukunftsperspektiven.

Annick Pütz führt im Rahmen des Festivals ihr Solo-Programm „Foliabis“ auf.

Wie sind Sie beide zum Tanzen gekommen?

Anu Sistonen: Mit sechs brachte mich meine Mutter zum Ballett. Als ich 13 Jahre alt war, merkte ich, dass ich die Möglichkeit hatte, aus dem Tanz meinen Beruf zu machen. Deshalb zog ich allein nach Helsinki und lebte dort bei einer Freundin der Familie. Das war ein ziemlich großer Schritt. Ich weiß nicht, ob ich meine vier-jährige Tochter in ein paar Jahren schon loslassen könnte. Aber meine Mutter hat damals verstanden, dass sie mir diese Chance geben musste.

Annick Pütz: Ich habe recht spät, mit zehn, angefangen zu tanzen. Der Gedanke einer beruflichen Karriere als Tänzerin kam mir erst nach dem Abitur. Danach begann ich mich bei höheren Schulen zu bewerben. Im Gegensatz zu Anu bin ich keine klassisch ausgebildete Tänzerin.

Macht das für Sie einen großen Unterschied?

A. S.: Auf jeden Fall. Als ich jung war, tanzte ich als Mitglied einer Gruppe vor allem klassisches Ballett. Bereits damals interessierte ich mich jedoch für freiere Formen und neue Ideen. Es dauerte eine Zeit, bis ich mich entschloss, die Kompanie zu verlassen. Manche Tänzer fühlen sich aber ein Leben lang wohl in diesem enger gefassten Rahmen und versuchen nie ihre eigene Kreativität zu erforschen.

A. P.: Für mich wäre es auch spannend, die andere Seite kennen zu lernen und zu erfahren, was es heißt, Teil einer Struktur zu sein.

A. S.: Wenn man seinen Platz in dem System gefunden hat, dann fürchtet man sich davor auszubrechen. Als unabhängiger Künstler zu arbeiten, birgt immer ein großes Risiko.

Wie findet man den Weg aus dem klassischen Repertoire heraus, hin zur eigenen Kreativität?

A. P.: Bereits während meiner Ausbildung entschied ich mich bewusst für Improvisation. Wir wurden außerdem dazu ermutigt, eigene Choreographien zu konzipieren. Aber ich habe noch so viel zu lernen. Es ist ein weiter Weg, bevor du wirklich begreifst, was deine Anliegen sind. „Foliabis“, das ich beim Festival zeige, ist eigentlich schon etwas älter. Aber ich genieße es, einen Tanz mehr als einmal aufführen zu können, denn dann entwickelt er sich plötzlich weiter.

A. S.: Für mich war der erste wichtige Schritt mein Austritt aus der Tanzkompanie. Trotzdem habe ich danach sofort wieder mit einem Choreographen zusammengearbeitet. Seine Welt war auch meine Welt. Ich versuche noch heute, mich von den fremden Einflüssen zu befreien. Wirklich entscheidend war für mich jedoch zu merken, dass ich selbst etwas zu sagen habe, dass ich meine eigenen Geschichten erzählen möchte. Auch wenn ich in der Art und Weise noch von anderen geprägt bin.

Wie entsteht bei ihnen eine Choreographie?

A. S.: Ich arbeite sehr langsam. Aber sobald ich eine Form gefunden habe, für das, was ich zeigen möchte, beginnt mir der Prozess wirklich Spaß zu machen. Für „Intro“, das ich im Rahmen des Festivals zeige, arbeite ich zum ersten Mal mit Live-Musikern zusammen. Das wird für mich wieder eine neue Erfahrung.

A. P.: Bei mir verläuft der Prozess eigentlich genau anders herum. Ich experimentiere gerne mit Bewegungen, das ist mein Ausgangspunkt. Für mich ist es eigentlich eher schwer, diese Experimente zu bündeln und auf einen Punkt zu bringen.

Sie arbeiten beide mit Kindern. Was ist der Unterschied zur Arbeit mit Erwachsenen?

A. P.: Das Wichtigste ist, dass man nicht kindisch sein darf, wenn man mit Kindern arbeitet. Die Bewegung muss immer ehrlich sein. Nur das Timing sollte man ein wenig anpassen.

A. S.: Ich war anfangs etwas verunsichert, als ich gebeten wurde, ein Spektakel für Kin-der zusammenzustellen. Die Stücke, die wir aufführen, sind eigentlich nicht auf Kinder zugeschnitten. Ich hoffe, dass es ihnen gefallen wird. Dadurch, dass sie mich und das Stück in den Workshops schon kennen gelernt haben, denke ich, dass sie einen besseren Zugang zum Tanz finden.

A. P.: Kleine Kinder sind von Bewegung besonders fasziniert.

Sichert man sich durch die Arbeit mit Kindern das Publikum von morgen?

A. S.: In unserer Performance liegt unsere einzige Chance. Entweder wir begeistern das Publikum durch den Auftritt und sie kommen wieder, oder eben nicht.

A. P.: Manche Menschen haben ein ganz bestimmtes Verständnis von Tanz. Sie fragen: Was für eine Geschichte erzählst du? Kinder dagegen brauchen keine Geschichten, ihnen reicht die Freude an der Bewegung.

A. S.: Das ist wahr. Ein Teil des Publikums hat ein großes Bedürfnis, die Dinge zu verstehen. Manches muss nicht verstanden werden. Es reicht, wenn man es erlebt.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung des modernen Tanzes?

A. S.: Was mir Sorgen macht, ist der wachsende Einfluss der Technik. Ich mag die Schönheit des Einfachen. Manchmal frage ich mich: Was wollt ihr noch alles auf die Bühne schleppen?

A. P.: Ich bin immer wieder überwältigt, wenn ich Tänzer sehe, die mit wenig Aufwand sehr viel ausdrücken. Manchmal, besonders bei älteren Künstlern, gibt es einen Moment, in dem man nur noch den Menschen sieht und nicht mehr die Performance.

Und wie verhält es sich in Luxemburg?

A. S.: Meiner Meinung nach gibt es in Luxemburg zwei Welten. Nach außen hin gibt es diese sehr materialistische Welt. Aber nach innen gibt es mehr, man muss es nur suchen und finden. Mein Mann war früher Tänzer und arbeitet nun hier bei einer Bank. Deshalb kenne ich beide Sphären. Was den Tanz angeht, steckt Luxemburg noch in der Entwicklung. Es gibt zum Beispiel bei den Jungs wenig Nachwuchs. Aber Luxemburg ist nun mal ein kleines Land.

A. P.: Es gibt hier vor allem keine Tanztradition. Es muss noch viel geleistet werden. Aber ich glaube, dass das luxemburgische Publikum heute viel offener für Tanz ist.

A. S.: Hinzu kommt, dass es hier keine professionnelle Tanzgruppe gibt, also keine Möglichkeit für junge Menschen, Tanz wirklich als Beruf zu begreifen.

Haben Sie eigentlich eine Botschaft, die Sie dem Publikum vermitteln möchten?

A. P.: Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie wundervoll der Körper funktioniert. Es ist schwer, dem Publikum diese Begeisterung zu vermitteln, aber ich hoffe es gelingt mir.

A. S.: Ich muss noch lernen, dass weniger mehr ist. Jeder Mensch empfindet die gleichen Gefühle: Liebe, Trauer, Angst. Mein Ehrgeiz ist es, die Gefühle zu berühren, die manchmal im alltäglichen Trott verloren gehen. Es muss einfach etwas passieren.


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