J.C. CHANDOR: Albtraum Abstieg

„A Most Violent Year“ kreist um eine Gewaltwelle in den 1980er Jahren, die New York erschütterte, und ist eine etwas zu amerikanische Parabel auf den Traum vom sozialen Aufstieg.

Wer ist hier der Chef? Reich und schön dank harter Arbeit …

Die einen schaffen es, die anderen nicht. Der Traum vom Aufstieg bestimmt für manche in die USA eingewanderte Süd- und Mittelamerikaner noch immer das Leben. So auch das von Abel Morales (Oscar Isaac) und seiner Frau Anna (Jessica Chastain). Das Paar hat es zu Wohlstand gebracht, doch die Ereignisse des Winters 1981 bringen ihr Unternehmen und ihren hart erarbeiteten Reichtum in Gefahr. „Wir befinden uns im Krieg“, stellt Abel fest, nachdem zahlreiche Transporter seines Unternehmens auf offener Straße überfallen und ihre Fahrer brutal zusammengeschlagen wurden. Kriminelle Machenschaften und Korruption erschüttern die Stadt, und Abel ist sich sicher, dass die Mafia hinter den Anschlägen auf seine Firma steckt. So wird er eines Abends in eine dubiose Versammlung einflussreicher New Yorker Clans hineinplatzen, und mit der Forderung „Hört auf!“ bestimmt mit der Faust auf den Tisch schlagen.

Ein wenig hat somit Abels Rolle, für die ursprünglich Javier Bardem vorgesehen war, etwas von der eines jungen Paten. Man erinnert sich an die souveränen Auftritte Robert de Niros und Al Pacinos in der „The Godfather“-Trilogie. In Chandors Film aber wartet man geschlagene zwei Stunden hindurch auf einen vergleichbar starken Auftritt des Kosmopoliten Oscar Isaac, der bereits in einer Soderbergh-Verfilmung „Che Guevara“ spielen durfte und dem mit seiner tragischen Hauptrolle in „Inside Llewyn Davis“ (2013) der Durchbruch gelang. Jessica Chastain hingegen glänzt in der Rolle der Ehefrau Anna. Ob sie nun einen angefahrenen Hirsch kurzerhand kaltblütig abknallt oder die Ehre ihres Ehemanns bei einer Hausdurchsuchung verteidigt. An der Seite von Abel ist sie die souveräne und starke Frau und perfekte Hollywoodschönheit mit tiefen Dekolleté, die ihren Macho-Ehemann bisweilen durch ihre Kaltschnäuzigkeit vor den Kopf stößt und damit an Uma Thurman in den Tarantino-Filmen erinnert. Aber auch David Oyelowo als afro-amerikanischer Police-Officer, den ebenfalls seine Karrieregier treibt, ist eine exzellente Besetzung. Und so besticht „A Most Violent Year“ vor allem durch seine Charaktere und das Tempo des Films.

Denn ähnlich wie „Margin Call“, in dem J.C. Chandor die toxische Kraft der Finanz-und Börsenspekulationen im Herbst 2008 beleuchtete und der als „ticking-time-bomb-movie“ bezeichnet wurde, ist „A Most Violent Year“ ein rasanter, jedoch etwas weniger bedeutungsschwerer Streifen als das Wall-Street-Drama. Und gerade weil die Parabel um den American Dream einem unmissverständlich vermittelt wird, ist der Film durch und durch amerikanisch. Am Ende trifft der vom Scheitern bedrohte aufgestiegene Abel dann noch einmal auf einen, der es nicht geschafft hat und der an den Verhältnissen zugrunde geht – seinen Fahrer Julian, ebenfalls Latino. Er habe immer so sein wollen wie er, Abel, vertraut er ihm an. Nachdem ihn die Angst vor erneuten Überfällen in die Kriminalität getrieben hat, bittet er seinen Chef nur noch pathetisch darum, sich um seine Familie zu kümmern. Einst hatte Abel ihm mit seinem Credo Mut zugesprochen: „Wenn du Angst hast zu springen, dann springst du, sonst kommst du niemals weiter im Leben!“. Und so wird der Film, der in den USA ein recht euphorisches Presse-Echo hatte, im verkopften Europa wohl weit weniger Anklang finden. Nicht zuletzt, weil der unterhaltsame Hollywood-Action-Thriller den American Dream als unantastabaren Wert und Maßstab zu Grunde legt und am Ende natürlich die knallharten Kerle siegen.

Im Utopolis Kirchberg.


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