GRIECHENLAND: Wer hat Angst vor dem Grexit?

Das linke Oppositionsbündnis Syriza stellt für viele Griechen die einzige realistische Hoffnung dar, dem Existenzen zerstörenden Spardiktat zu entfliehen. Und das ist entscheidender als die Frage nach dem Verbleib im Euro-Raum.

Wäre es überhaupt praktisch realisierbar, dass Griechenland die Euro-Zone verlässt? Nicht nur der ehemalige Europaabgeordnete von Syriza, Nikos Chountis (Bild), sondern auch namhafte Rechtswissenschaftler meinen, dass ein Austritt aus der Euro-Zone politisch, wirtschaftlich, aber auch juristisch nicht möglich sei.

Es ist Zeit für den Endspurt. Am 25. Januar finden in Griechenland vorgezogene Wahlen statt, nachdem das Parlament Ende Dezember daran gescheitert war, einen neuen Präsidenten zu wählen. Es handelt sich um einen der kürzesten Wahlkämpfe in der modernen Geschichte Griechenlands. In den Umfragen führt das linke Oppositionsbündnis Syriza. Dazu gibt es neue, linksliberale Parteien, die um die Gunst der Wähler werben. Von einem normalen Wahlkampf ist jedoch wenig zu spüren. Fast keine Wahlplakate, wenige große Kundgebungen. Die Parteien versuchen, mit Fernsehwerbespots die Wähler zu überzeugen. Die Debatte über einen „Grexit“, also einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, falls die neue Regierung nicht den Sparkurs fortsetzt, spielt eine dominierende Rolle. Doch im Gegensatz zu den Parlamentswahlen im Jahr 2012 scheinen die Wähler die Drohungen nicht ernst zu nehmen.

Der 31-jährige Dimitris ist froh, dass er bald über eine neue Regierung abstimmen kann. Er ist Angestellter und hat gerade Feierabend. Im Athener Zentrum geht er vorbei an geschlossenen Läden, Obdachlosen und leeren Geschäften. Der Schuldenberg des Landes hat sich mit der vielbeschworen Sparpolitik keinesfalls verkleinert, sondern ist höher als zu Beginn der Krise. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei fast 26 Prozent. Einer Studie des Haushaltsbüros des griechischen Parlaments zufolge leben 2,5 Millionen Griechen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, weitere 3,8 Millionen sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, zusammengenommen sind das knapp 60 Prozent der Bevölkerung.

Schlimmer als jetzt könne es in Griechenland gar nicht mehr werden, meint Dimitris. Die Tatsache, dass der Wahlkampf sehr kurz ist, stört ihn nicht. „Es ist besser so. Denn je mehr Wahlversprechungen man hört, desto desorientierter wird man“, meint er. „Die letzten fünf Jahre haben wir am eigenen Leib diese Politik erlebt, wir brauchen nichts mehr zu hören, wir wissen, was wir wählen werden.“ Die Drohungen aus dem Ausland über einen Rausschmiss des Landes aus der Euro-Zone lassen ihn kalt. „Die Entscheidung eines Volkes ist nie falsch. Egal, was wir hier wählen – die EU muss es akzeptieren. Es ist ein demokratischer Prozess. Ich sehe keinen Grund, warum Europa Griechenland bestrafen sollte, weil die Griechen etwas Bestimmtes gewählt haben“, sagt Dimitris. Die Mehrheit der Griechinnen und Griechen will aktuellen Erhebungen zufolge in der Euro-Zone bleiben.

Bei einer Umfrage des Instituts „Palmos“ meinten 63 Prozent der Befragten, dass ein Sieg von Syriza nicht zu einem Ausscheiden aus der Währungsunion führen werde. 47 Prozent meinen, dass es besser wäre, dem Linksbündnis Syriza eine erste Chance zu geben als der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (nur 31 Prozent sind dafür) eine zweite. Nach der gleichen Umfrage erwarten 31 Prozent der Befragten die bevorstehenden Wahlen mit Hoffnung für die Zukunft, 29 Prozent mit dem Gefühl von Wut und Empörung und 27 Prozent mit Furcht und Angst.

Syriza will eine Lösung nach dem Vorbild der Londoner Konferenz, als 1953 die Schulden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geregelt wurden.

Vaso, eine 24-jährige Arbeitslose, wünscht sich neue Gesichter in der Politik und ist bereit, eine neue Partei zu wählen. Sie ist prinzipiell offen für die Rückkehr zur alten nationalen Währung, obwohl sie die Folgen einer solchen Entwicklung fürchtet. „Ich habe Angst, dass wir keine Subventionen und andere Mittel bekommen, wenn wir nicht mehr Mitglied der Euro-Zone sind. Aber falls wir weiterhin Subventionen und Gelder bekommen, ohne dass wir den Euro haben müssen, wäre es auch okay. Die Drachme hat mir gefallen, auch wenn ich sie nur kurze Zeit erlebt habe.“

Der ehemalige Europaabgeordnete von Syriza, Nikos Chountis, meint, dass ein Austritt aus der Euro-Zone politisch, wirtschaftlich, aber auch juristisch nicht möglich sei. Seine Partei will auf der Basis des europäischen und internationalen Rechts verhandeln: nach dem Vorbild der Londoner Konferenz, als 1953 die Schulden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg geregelt wurden. „Bei den Verhandlungen möchten wir erklären, dass so große Schulden erfahrungsgemäß nicht bezahlbar sind. Das Begleichen der Schulden führt hier zu einer sozialen Katastrophe, was sicher niemandem in Europa gefällt. Es handelt sich um ein gesamteuropäisches Problem.“

Die Linken von Syriza wollen den strikten Sparkurs beenden und einen Schuldenerlass verlangen. Dazu planen sie, diejenigen, die das Land in das Memorandum geführt und umstrittene Entscheidungen getroffen haben, wie etwa die Schließung der öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT, zur Rechenschaft zu ziehen. Die Partei will auch den Mindestlohn und den Steuerfreibetrag für Geringverdiener erhöhen.

Der Ministerpräsident und Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia, Antonis Samaras, verspricht seinerseits, dass Renten sowie Gehälter nicht weiter gekürzt würden. Sollte er erneut an die Macht gewählt werden, werde es sogar zu Steuersenkungen kommen. „Wir sagen die Wahrheit, wir garantieren die Zukunft“, lautet der Slogan seiner Partei. Anlässlich des Attentats auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris kritisierte Samaras die von Syriza propagierte Immigrationspolitik und behauptete unter anderem, dass die Partei im Falle eines Wahlsiegs massenhaft Aufenthaltsgenehmigungen bewilligen werde.

Syriza hat mittlerweile wichtige Unterstützung aus dem Ausland bekommen. Mit einen Brief auf der Website www.with-the-greeks.eu rufen mehr als 300 Intellektuelle dazu auf, Syriza und die Griechen im Kampf gegen die falsche Wirtschaftspolitik der EU zu unterstützen. Unter ihnen befinden sich der Linguist Noam Chomsky, der Philosoph Slavoj Zizek und der Ökonom James K. Galbraith.

Eine Gruppe von Griechinnen und Griechen, die ins Ausland ausgewandert sind, sammelt bereits Spenden, um die Reisekosten zu bezahlen, damit sie in ihrer Heimat wählen können, da es für Auslandsgriechen keine Möglichkeit zur Briefwahl gibt. Ihre Initiative hat den Namen „A Flight for Democracy“. Sie hoffen mit ihrer Stimme die Politik zu beenden, die sie dazu gebracht hat, ihr Land zu verlassen. „Ich will, dass mein Land endlich aufhört, ein Versuchskaninchen für neoliberale Politik zu sein“, sagt ein Grieche, der in Paris wohnt und mit Hilfe der Spenden an den Wahlen teilnehmen will.

Bei diesen Wahlen können über 100.000 18-Jährige nicht wählen, weil sie nicht in den Wählerlisten der Gemeinden eingeschrieben sind. Normalerweise müssten sie zwischen dem 1. und dem 25. Februar 2015 eingeschrieben werden, da aber die Wahlen früher stattfinden, war das nicht möglich. Nach Medienberichten ist es ein Versäumnis des Innenministeriums, das bereits seit September dieses Problem kannte, aber nichts unternommen hat.

Trotz der Tendenz zu Syriza sind nicht alle begeistert von den Versprechungen der Partei. Der 60-jährige Beamte Giorgos meint, wegen der schwierigen Wirtschaftslage sei gerade kein guter Zeitpunkt für Neuwahlen. Er hat seit der Gründung der sozialdemokratischen Partei Pasok stets diese gewählt und war auch lange aktives Mitglied. Diesmal möchte er eine neue Partei wählen: Die linksliberale Potami, die erst vor den Europawahlen im Mai von dem bekannten Fernsehjournalisten Stavros Theodorakis gegründet wurde und in manchen Umfragen auf Platz drei landet. „Wir müssen die Situation ändern für unsere Kinder. Meine Generation ist erledigt. Wir haben ein Land zerstört. Die Klientelpolitik muss weg und das Land muss mit europäischen Standards regiert werden können“, sagt Giorgos.

Zweifel an der zukünftigen Politik der Syriza-Führung äußerte auch der bekannte Komponist Mikis Theodorakis – eine Symbolfigur der griechischen Linken -, der nach dem Ausbruch der Krise die Bürgerbewegung Spitha gegründet hatte. Vor ein paar Tagen sagte er, er würde Syriza nur dann unterstützen, wenn die Partei vor den Wahlen versichere, im Falle einer Regierungsübernahme ein Gesetz zu verabschieden, um das Spar-Memorandum loszuwerden. In einem Brief, der an einen seiner Freunde gerichtet war und der veröffentlich wurde, behauptet Theodorakis, dass sowohl er als auch der Syriza-Europaabgeordnete und bekannte Widerstandskämpfer Manolis Glezos von Syriza bei den großen Protestaktionen im Jahr 2012 benutzt worden seien, damit die Partei stärker wird und es ins Parlament schafft.

„Ich glaube nicht an die Versprechungen von Tsipras. Er ist kein Linker mehr, sondern jemand, der eine linke Rhetorik benutzt“, ärgert sich auch die 40-jährige Christina, die statt Syriza die linke antikapitalistische Partei Antarsia wählen will.

Ziel von Syriza ist es, bei den Wahlen eine möglichst deutliche Mehrheit zu gewinnen, um eine starke Stellung bei den Verhandlungen mit den Gläubigern zu haben. Trotz der Zweifel an den Versprechungen der Führung gab es in den vergangenen Tagen immer wieder Aufrufe, die für diese Option werben.

„Bei diesen Wahlen entscheiden wir, ob wir die Sicherheit des Elends oder die Gefahr des Umbruchs bevorzugen. Wenn Syriza nicht gewinnt, ist sicher, dass die gleiche Politik, die noch mehr Armut bringen wird, fortgesetzt wird. Aber wenn Syriza gewinnt, ist alles offen, und dies stellt eine Hoffnung dar“, so das alternative Webportal „The Press Projekt“.

Chrissi Wilkens berichtet für die woxx aus Athen.


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