SATIRE IN KUNST UND RELIGION: Spiegelbild des Wertesystems

In der Debatte um „Charlie“ scheint alles gesagt und doch lohnt ein Blick auf den Stellenwert von Satire, das revolutionäre Potenzial von Kunst als Protestform und nicht zuletzt ein Blick auf die eigentlichen Ziele der Täter.

„Maul halten und weiter dienen!“
Diese Karrikatur George Grosz’s sollte den größten Blasphemie-Protest der Weimarer Republik einläuten.

Rund einen Monat nach den Anschlägen von Paris scheint sich die Diskussion totgelaufen zu haben, die Argumente sind durchgekaut und noch immer beanspruchen alle Seiten für sich, Charlie zu sein. Die Massen-Solidarität zum Nulltarif erinnert an die linken Kundgebungen der Sechzigerjahre, auf denen das Feindbild USA noch von allen geteilt wurde und wenig Raum blieb für differenzierte Diskussionen. Was bleibt ist ein dumpfes Gefühl der Beklemmung, das sich – nach dem Anfangsschock – angesichts der öffentlichen Reaktionen einstellt.

Dabei gibt es durchaus aufklärerische Momente, die aufgegriffen werden könnten. Die Blasphemie-Debatte, so öde sie manchen erscheinen mag, kann immerhin dazu dienen, die Unterschiede in der Rezeption von Satire in den Religionen wahrzunehmen. Wenn man etwa sieht, dass Satire im Judentum keine Gotteslästerung ist, Mord hingegen schon. Mehr noch: Satire ist integraler Bestandteil jüdischer Kultur. Juden können mit Satire sehr gut leben, nur nicht damit, dass zum Mord an ihnen aufgerufen wird.

Das Christentum stellt die Verhöhnung von Gott hingegen mitunter unter Strafe – etwa in Deutschland; zumindest dann, wenn sie den „öffentlichen Frieden“ stört. Wer diesen durch das Verbreiten von Schriften stört, deren Inhalt das religiöse Bekenntnis anderer verletzt, dem droht noch heute eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Judenfeindliche Reliefs und Motive in vielen Kirchen wie das Motiv der „Judensau“ erdulden Juden seit Jahrhunderten stoisch. Die Darstellung des Propheten Mohammed führt in der islamischen Welt hingegen zu Bücher- und Karikaturenverbrennungen wie im Falle von Salman Rushdies „Satanischen Versen“ oder wie im Zuge der Jyllands-Posten-Karikaturen. Ist die Rezeption von Satire also nicht doch Spiegelbild des Wertesystems, zu dem sich die jeweilige Person oder gesellschaftliche Gruppe bekennt? Gibt es Grenzen in der Kunst oder besteht ihr Vorteil vielmehr gerade darin, dass sie sich über Grenzen hinwegsetzt und damit ihr aufklärerisches Potenzial zeigt?

Einer meiner Lieblings-Künstler, der Antimilitarist und im Nationalsozialismus als Kulturbolschewist diffamierte George Grosz, der die Deutschen im Ersten Weltkrieg mit vollgefressenen Bierbäuchen als Großkapitalisten und Spießer voller Kriegsfantasien im Kopf malte und Heines „Wintermärchen“ damit auf die Leinwand brachte, handelte sich schon Ende der 1920er-Jahre eine Klage wegen Blasphemie ein. Dass er die „Stützen der Gesellschaft“ frontal attackierte und Jesus am Kreuz mit einer Gasmaske und Soldatenstiefeln gezeichnet hatte – in seiner linken Hand ein Kreuz, als wolle er jemanden segnen, darunter die Zeile: „Maul halten und weiter dienen“ – war Kirche und Staat sogar in den Goldenen Zwanzigern zu viel und so wurde ihm 1928 der Prozess wegen Gotteslästerung gemacht.

Grosz‘ Jesus mit Gasmaske am Kreuz mag heute abgeschmackt sein, zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung war die Zeichnung aber vor allem ein politisches Statement gegen die Kriegstreiberei und die patriotische Vaterlandspropaganda der Kirche. Und mag der Vergleich auch hinken, so war seine Jesus-Karikatur ähnlich „geschmacklos“ und gleichermaßen wirksam wie die Karikaturen von „Charlie Hebdo“, deren Zeichner es auf Provokation anlegten und mit ihren Mohammed-Karikaturen wussten, was sie riskierten, indem sie den Propheten malten und durch den Kakao zogen. Sie sind wahre Verfechter der Meinungsfreiheit.

Doch während alle beinahe wahnhaft damit beschäftigt waren, sich gegenseitig zu bestätigen, auf der richtigen Seite zu stehen, ging in der Medienberichterstattung unter, auf wen diese Anschläge ebenfalls verübt wurden, wer auch die Zielscheiben war. Es waren dies die Besucher und Angestellten eines koscheren Supermarkts, wie oft nur beiläufig erwähnt wurde, als sei es Zufall. Doch Juden waren neben den (angeblichen) Prophetenverächtern das ausgewählte Ziel. Warum das so war, erklärt kein bloßer Verweis auf den „Neoliberalismus“, denn dann hätte etwa der Unternehmerverband das Ziel sein müssen. Auch der Hinweis auf französischen Kolonialismus oder die – ja nur auf manche der Täter zutreffende – Sozialisation in depravierten Einwandererfamilien oder Banlieues führt nicht weit. Es ist nicht unplausibel, wenn SoziologInnen meinen, dass „die Juden“ von Teilen der diskriminierten und armen, in den Vorstädten angesiedelten muslimisch geprägten Bevölkerungsschichten als Gegenbilder der eigenen Misere halluziniert werden. Möglich wurde dies aber nicht zuletzt, weil nicht unwesentliche Spektren der Öffentlichkeit antisemitische Erklärungsmuster propagieren und für legitim erachten.

Juden als Gegenbilder der eigenen Misere

Das bedeutet keineswegs, dass daher die tatsächliche Diskriminierung von Muslimen verharmlost oder gar gerechtfertigt werden kann. Es muss jedoch festgehalten werden: Das ideologische, antisemitische Wahrnehmungsmuster dieser Diskriminierung lässt sich nicht durch diese selbst erklären. Islamisten, die im Namen des Islam morden und eine fundamentalistische Auslegung des Koran zum Gesetz machen wollen, sind keine Opfer – ihren Hass auf „die Juden“ oder auf „den Westen“ haben sie schon selbst zu verantworten. Wer den Judenhass dabei nur als Begleiterscheinung, als fehlgeleitet, aber irgendwie auch erklärbar kennzeichnet, ignoriert ein wesentliches Motiv von radikalen Islamisten. An einigen französischen Schulen ertönten während der Schweigeminute zur Erinnerung an die Opfer der Attentate „Allahu Ahkbar“-Rufe. Die Anschläge auf jüdische Einrichtungen reißen nicht ab, so noch vor wenigen Tagen auf ein Gemeindezentrum in Südfrankreich.

Wenn man 70 Jahre nach Auschwitz überhaupt „Lehren“ aus dem Mord an Millionen von Jüdinnen und Juden ziehen kann, dann doch erstens die, antisemitische Motive ernst zu nehmen, anstatt sie zu verharmlosen und weg zu erklären. Zweitens die Ziele des antisemitischen Wahns, tatsächliche und vermeintliche Juden, zu schützen. Insbesondere die Reaktionen der „Linken“, die sich weniger den Motiven der Täter widmen als an Verteidigungstrategien feilen, deuten jedoch genau auf das Gegenteil hin. Die Absicht, Muslime in diesen Tagen vor Vorurteilen zu schützen und davor zu warnen, eine Glaubensgemeinschaft kollektiv an den Pranger zu stellen, mag verständlich sein. Diese missverstandene Toleranz führt aber auch dazu, dass diejenigen, die die eigentliche Zielscheibe der Anschläge sind und waren, weiter an den Rand gedrängt werden und damit antijüdischen Ressentiments Vorschub geleistet wird.

Emanzipativer Wert der Kunst

Zur Kunst gilt: Ihr emanzipativer Wert besteht ja gerade darin, sich nicht (mehr) Staat oder Kirche anzudienen. Sowohl Grosz wie auch die ermordeten Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ wussten um dieses emanzipatorische Potenzial und nutzten es. Der saudische Blogger Badawi beispielsweise hatte diese Möglichkeit nicht. Für das Anstoßen einer kritischen Debatte über das Verhältnis von Politik und Religion in Saudi Arabien wurde er zu zehn Jahren Haft, 1.000 Peitschenhieben und einer Geldstrafe von 200.000 Euro verurteilt. Und im Iran wurde vor wenigen Tagen ein nationaler Wettbewerb organisiert, der – als Replik zu den Charlie-Karikaturen – dazu aufruft, den Holocaust zu karikieren. Ein Wettbewerb, der also explizit zu antisemitischer Propaganda ermuntert. Fans und Versteher der Attentäter von Paris dürften angesichts der jüngsten Entwicklungen jubilieren.

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Charlie-Serie
Wie eine angemessene Antwort auf die Attentate auf Charlie Hebdo finden? Angesichts der Komplexität des Themas wie der Pluralität der Redaktionsmeinungen, war es das Einfachste für das woxx-Team, eine Serie ins Leben zu rufen. Jede Woche kommt darin ein Redaktionsmitglied zu Wort, das jeweils einen Aspekt aufgreift.


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