SPIELE: Einfach, aber genial

Eine Luxemburgerin macht spielerisch Karriere: Mit „Geistertreppe“ gewann Michelle Schanen als erste Frau den Preis für das Kinderspiel des Jahres 2004.

Am Anfang waren die Gespenster lediglich weiß bemalte Filmdosen. Jetzt stehen auf dem Brett liebevoll gestaltete Geister aus Holz mit verschmitztem Grinsen. Michelle Schanen packt ihren Prototyp wieder ein und stellt stattdessen die Figuren der fertigen Version spielbereit auf dem Tisch auf. „Erst wenn man sich auf das Spiel eingelassen hat, merkt man, wie knifflig es eigentlich ist“, sagt sie.

In der Tat wirkt „Geistertreppe“ auf den ersten Blick erstaunlich einfach. Vier Spieler bewegen sich würfelnd eine Treppe hinauf. Sobald das Gespenstersymbol auf dem Würfel fällt, muss der Spieler seiner Figur einen Holzgeist überstülpen. Sind alle Teilnehmer verdeckt, müssen beim Treffen des Geistersymbols zwei Spukgestalten ihre Plätze tauschen. Der Trick dabei ist, dass ganz schnell nicht mehr offensichtlich ist, welche Farbe sich unter welchem Gespenst versteckt. Erst beim Einlauf ins Ziel wird klar, welche Farbe denn nun gewonnen hat.

Das Prinzip ist so simpel, dass bereits 4-Jährige mitmachen können, ein paar Kniffe und Zusätze sorgen dafür, dass auch ältere Kinder oder sogar Erwachsene bei der Stange bleiben. „So mag ich es am Liebsten“, erklärt
Michelle Schanen, „unkompliziert und doch effektiv“. Das fand auch die Jury, die „Geistertreppe“ als „Familienspiel par excellence“ lobte.

„Geistertreppe“ ist ihr erstes selbst entworfenes Spiel. Und trotzdem ist die 39-jährige hauptberufliche Erzieherin so etwas wie eine Expertin in Sachen Knobeln und Würfeln. In ihrem Spielzeuggeschäft Diabolo sieht es ein wenig aus, wie in Nesthäkchens Kinderzimmer. Neben der Eingangstür steht ein Tante-Emma-Laden in Miniaturformat. Auf den Regalen liegen Kreisel, Aufziehfiguren aus Blech und die Großväter der Matchbox-Autos. Seit zehn Jahren ist das Testen und Verkaufen von Spielzeug ihr „Hobby“, wie Michelle Schanen es selbst ausdrückt. „Vielleicht habe ich einfach nur nie wirklich mit dem Spielen aufgehört“, sagt sie.

Die Holzmarionetten wirken ein wenig hilflos gegenüber der gerne allgemein beschworenen Invasion von Pixel-Helden und Cyber-Monstern. Michelle Schanen fürchtet keine Konkurrenz durch Fernsehen oder immer raffinierter werdende Computerspiele. „Computerspiele können sicher einiges bieten, aber den sozialen Austausch können sie nicht fördern“, sagt sie und ist sich sicher, dass dieses Bedürfnis nach sozialen Kontakten nicht plötzlich ersetzbar wird. „Jeder Mensch hat den Spieltrieb.“ In Korea verschwinden mittlerweile die Internetcafés zu Gunsten von Spielecafés, obwohl das Land keine Spieltradition hat wie Deutschland zum Beispiel. Vielleicht entstehe ja so ein neuer Trend, mutmaßt Michelle Schanen hoffnungsvoll.

In Horten oder Kindergärten wird nach wie vor zusammen gespielt wird. Berufstätigen Eltern fehlt aber oftmals die Zeit, sich mit ihren Kindern zum Brettspiel zu versammeln. Michelle Schanen weiß, dass es vor allem Stammkunden sind, die in ihren Laden kommen: „Die Eltern, die mit ihren Kindern zu mir kommen, sind ohnehin offen für alternative Spielformen“. Einen wirklichen Rückgang der Kundschaft hat sie jedoch in den letzten zehn Jahren nicht festgestellt.

Michelle Schanen freut sich still über die Auszeichnung, die „Geistertreppe“ im Juni in Berlin erhielt. Mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Bestimmtheit erklärt sie: „Mein Mann Jacques Zeimet hat bereits mehrere Spiele entworfen und ich habe so viele Konzepte getestet, dass ich dachte, jetzt sei ich mal an der Reihe etwas Eigenes zu entwerfen.“ Die Verleihung hatte einen Hauch von Oscar-Zeremonie, ein Umschlag wurde geöffnet und die PreisträgerInnen verkündet. Im Nachhinein erklären SiegerInnen meist, sie hätten gar nicht mit der Auszeichnung gerechnet, Michelle Schanen darf man ihre Überraschung jedoch zweifellos abnehmen. Bereits die Nominierung kam unerwartet. Zum ersten Mal wurde mit „Geistertreppe“ ein Spiel des alternativen Verlags „Drei Magier Spiele“ als Kinderspiel des Jahres auserkoren. „Außerdem bin ich die erste Frau, die den Preis erhält“, sagt sie nicht ohne Stolz.

Verändert hat sich für Michelle Schanen seither nicht viel. Hauptberufliche Spiele-Erfinder gibt es fast keine und das nächste Projekt ist auch noch nicht in Arbeit. Zuerst soll „Geistertreppe“ ausgebaut werden. Nach ihrem eigenen Lieblingsspiel gefragt, fällt ihr spontan keines ein. „Wichtig für mich sind vor allem eine Mischung aus Taktik und Zufall“. Schließlich empfiehlt sie doch „Rasender Roboter“, ein „anstrengendes Spiel“, fügt sie hinzu.

Kinder spielen anders als Erwachsene, das behauptet jedenfalls Michelle Schanen. „Sie haben keine Angst vor dem Risiko und anders als Erwachsene können sie auch mit der Niederlage umgehen.“ Beim Spielen sei es wichtig sich in die Augen zu sehen, durch die Auseinandersetzung mit dem Gegenüber mehr über ihn zu erfahren. „Aber manche Menschen lassen sich eben nicht gerne in die Karten schauen“, sagt sie lächelnd.


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