LUXEMBURG UND DER ERSTE WELTKRIEG: Bomben statt Brot

Der Erste Weltkrieg kam am 3. August 1914 völlig unerwartet in das neutrale Luxemburg. Doch wie manifestierte er sich im Großherzogtum, und wie fühlten
und dachten die Luxemburger?

Die Ausstellung des CNL in Mersch bietet bis zum 18. September die Möglichkeit Relikte und Dokumente aus dem ersten Weltkrtieg zu bestaunen.

Der Erste Weltkrieg ist für viele Menschen in Luxemburg ein recht unbekanntes Thema. Dieser Krieg, der in Luxemburg komplett im Schatten seines Nachfolgers steht, hat im Großherzogtum jedoch mehr Veränderungen mit sich gebracht, als man gemeinhin denkt. Da nun aber keine Zeitzeugen mehr leben, ist es noch schwerer, sich ein Bild von den Ereignissen zu machen.

Das „Centre national de littérature“ (CNL) in Mersch hat versucht, mit einer Ausstellung über den Ersten Weltkrieg und einem Katalog in Buchform den Impakt des Ersten Weltkriegs in Luxemburg aufzuarbeiten.

Der Krieg rollt an

Am 3. August 1914 berichtet das Luxemburger Wort über den Einmarsch deutscher Soldaten in mehreren Orten. In der Nacht fährt ein deutscher Militärzug mit gepanzerter Lokomotive in Wasserbillig ein. Der Versuch, ihn durch Hindernisse zu stoppen, bleibt erfolglos, wenig später kommt der Zug unbeschädigt in Luxemburg an. Auf die Frage, ob ihm bewusst sei, dass er sich in einem neutralen Land befinde, erklärt der Zugführer, dass er lediglich Befehle befolge.

Dieses Szenario löste einen Streit um die Legitimität der deutschen Präsenz in Luxemburg aus, denn zum Zeitpunkt der Okkupation ist das Großherzogtum eigentlich neutral. Staatsminister Paul Eyschen und Großherzogin Marie-Adelheid protestierten beim deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg gegen den Einmarsch der deutschen Armee, doch der hob die friedliche Art und Weise hervor, in der sich die Okkupation vollzogen habe. Er fügte die Zusicherung an, dass Freiheit und Besitz aller Luxemburger nicht angetastet würden. Am 9. September 1914 vermerkte er jedoch in einem Memorandum: „Luxemburg. Wird deutscher Bundesstaat und erhält einen Streifen aus der jetzt belgischen Provinz Luxemburg und eventuell die Ecke von Longwy.“

Die Luxemburger nahmen die Okkupation mit der Faust in der Tasche hin. Beschwerden seitens der Bevölkerung wurden von den Besatzungstruppen durch Festnahme-Drohungen erstickt. Bei der Beurteilung des Ganzen legte man in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg das Hauptaugenmerk zwar auf den Gewaltcharakter der Besetzung und die partielle Unterdrückung, doch war diese in Luxemburg nicht das einzige und wahrscheinlich nicht einmal das größte Problem. Obwohl der Krieg sich in Luxemburg ganz anders manifestierte als in direkt involvierten, nicht-neutralen Ländern, brachte er eine Reihe von Veränderungen mit sich, die im täglichen Leben der Luxemburger schmerzhaft spürbar waren.

Michel Welter als Sündenbock?

Bei der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung traten sehr bald Probleme auf. Am 1. August war von der Entente eine Seeblockade über Deutschland verhängt worden. Luxemburg musste wegen der Mitgliedschaft im Zollverein jedoch weiter Waren über die Ostgrenze ausliefern. Großbritannien warf dem Großherzogtum nun Kollaboration vor und verhängte ein Embargo gegen das Land. Andererseits wurden Lebensmittel aus Deutschland für die Truppen und die deutsche Bevölkerung benötigt, was zur Folge hatte, dass nur wenig, und später gar nichts mehr, nach Luxemburg gelangte.

Im Oktober 1914 unternahm Staatsminister Paul Eyschen eine diplomatische Reise nach Den Haag, während der ehemalige Staatsminister Henri Vannérus in die Schweiz fuhr, um für Luxemburg Lebensmittelhilfen zu erwirken. Beide kehrten jedoch, nach vielversprechenden ersten Gesprächen, mit leeren Händen zurück. Die Regierungen der Nachbarländer hatten Angst, gelieferte Versorgungsgüter könnten in deutsche Hände gelangen.

Um die Lebensmittelkrise zu lösen, übernahm der sozialistische Politiker Michel Welter im Frühjahr 1916 das Ministerium für Ackerbau, Handel und Industrie. Damit stand er an der Spitze der staatlichen Einkaufs- und Verteilungszentrale, die er zuvor als inkompetent und intransparent kritisiert hatte. Seine Reisen in diverse Länder, wie zum Beispiel die Schweiz oder die Niederlande, blieben erfolglos. Er geriet nun in die Schusslinie der Medien und wurde im Volk unter anderem als „Geessemich“ beschimpft, da ein angekündigter Ziegentransport aus der Schweiz nie in Luxemburg ankam.

Ein Misstrauensvotum wegen Inkompetenz und Korruption brachte Michel Welter am 22. Dezember 1916 schließlich zu Fall. Er blieb bis nach dem Krieg eine umstrittene Figur.

Es sind die Bauern! – Nein, die Müller! – Die Bauern!

In der Bevölkerung entstand Zwist: Die Bauern wurden wegen ihrer Preisforderungen kritisiert und als habgierige Halsabschneider hingestellt. Sie selber wiederum erklärten den von der Regierung festgelegten Höchstpreis, zu dem sie ihr Brot verkauften, zum absoluten Mindestpreis zur Deckung ihrer Kosten. Sie gaben ihrerseits den Müllern die Schuld, die, so der Vorwurf, schamlos das beste Mehl für sich behielten, wodurch die Qualität des Brotes drastisch gesunken sei. Ein Schwarzmarkt bildete sich heraus. Vielen war bewusst, dass dies die Rationierung verfälschte und dem Teil der Bevölkerung, der sich aus finanziellen Gründen nicht auf dem Schwarzmarkt eindecken konnte, die Versorgung zusätzlich erschwerte. Eine weitere Konsequenz war die Verstärkung des Antisemitismus. Denn der Kettenhandel, so wurde behauptet, werde hauptsächlich von Juden betrieben.

Der Tod kommt von oben

Der Krieg spaltete die Gesellschaft auch politisch; es gab, natürlich, die Parteinahme für die Entente, aber auch eine Aufgeschlossenheit gegenüber den deutschen Ideen und Absichten. Mehrere Tausend Personen kämpften auf der Seite der Entente, die meisten in der französischen Fremdenlegion. Die Propaganda verfälschte die Zahlen sowohl während des Krieges als auch danach. Zuerst wurde das Phänomen kleingeredet, weil man die deutsche Kritik fürchtete, danach wurden die Zahlen geschönt, um ein gutes Bild bei der Entente abzugeben. Norbert Jacques, dessen Werdegang im Katalog des CNL detailliert dargelegt wird, war einer der Luxemburger, die Deutschland freundlich gesinnt waren. Er verließ das Land mit dem Ziel, als Pressekorrespondent für die Frankfurter Allgemeinzeitung zu arbeiten.

Im Ersten Weltkrieg fanden erstmals Flugzeuge Verwendung als Kampfgerät. Im April 1916 wurde Luxemburg Ziel regelmäßiger Bombardierungen. Ziele waren die wichtigen Verkehrsknotenpunkte, also z. B. die Bahnhöfe von Luxemburg, Bettemburg und Petingen. Die Abwürfe waren noch sehr ungenau, weshalb der Flugterror nicht nur an Dienstgebäuden und Infrastrukturen seine Wirkung zeigte.

Bombardierungen und Flugzeuge waren natürlich neu für viele Menschen. Dem CNL-Katalog ist zu entnehmen, dass die Luxemburger Zeitung damals über eine „regelrechte Völkerwanderung“ von Luxemburgern berichtete, die dem Voyeurismus verfallen seien und zu den Zielgebieten pilgerten, um sich die zerbombten Gebäude anzusehen. Am 28. März 1918 wurde Bonneweg Opfer einer misslungenen Bombardierung des Bahnhofs. Dieser fatale Fehler kostete zehn Menschen auf einen Schlag das Leben und gilt als der tödlichste Bombenabwurf in Luxemburg während des Ersten Weltkriegs.

Trier is watching you

Zensur war ein wichtiges Thema im Ersten Weltkrieg in Luxemburg. Viele Journalisten, aber auch Schriftsteller, hatten unter den Kontrollen durch die Besatzungstruppen zu leiden. Die Luxemburger Zensurstelle befand sich in Trier. Hier wurde alles Schriftliche ausgewertet und gegebenenfalls umgeändert, oder die Veröffentlichung wurde sogar ganz verboten. Der Besitz von französischen oder belgischen Zeitungen stand unter Strafe. Mit der Zeit kam es immer häufiger zu Beschwerden, dass die Zensur sich nicht, wie vorgesehen, auf das Militärische beschränke.

Das Ausmaß dieser Zensur war gewaltig. Das Escher Tageblatt musste seine Aktivitäten am 13. August 1914 ebenfalls für mehrere Monate einstellen, da Frantz Clément und Paul Schroell verhaftet worden waren. Sie hatten – wahrheitsgemäß – geschrieben, der Widerstand in Lüttich halte noch und die Schlacht um die Stadt habe das Leben vieler deutscher Soldaten gekostet. Fünf Wochen lang saßen die beiden Journalisten darauf in Koblenz in sogenannter „Schutzhaft“. Einer der prominentesten Luxemburger, Marcel Nopenney, wurde wegen seiner Präsidentschaft im „Comité central des oeuvres de secours aux victimes de la guerre“ gefährlicher deutschfeindlicher Machenschaften bezichtigt. Er wurde verhaftet und wegen Spionage und Kriegsverrats dreifach zum Tode verurteilt. Bei dem Urteil könnte Nopenneys Rolle als Leiter der Rubrik Politik in der frankophilen Zeitung L’Indépendance luxembourgeoise und seine ostentative Frankophilie mitgespielt haben. Die Großherzogin setzte sich für ihn ein, und so erhielt er „nur“ eine lebenslange Zuchthausstrafe.

In der Nachkriegszeit riet der seinerzeit ebenfalls inhaftierte Frantz Clément dem Luxemburger Volk, den Besatzern zu verzeihen, damit man in Frieden leben könne. Marcel Nopenney jedoch betrieb eine regelrechte Hatz auf alles Deutsche in Luxemburg und geriet schließlich bei vielen in Verruf, nachdem er nach der Befreiung Luxemburgs aus den deutschen Gefängnissen zunächst als Held gefeiert worden war.

Am 11. November 1918 wurde der Waffenstillstand verkündet. „Dunkle, grauenhafte Nacht weicht endlich dem sieghaften strahlenden Lichte“, schrieb so Jean-Pierre Flohr in 1921 über diesen Tag. Dass der schlimmere Krieg noch kommen würde, konnte damals ja auch niemand ahnen.

Die Ausstellung in Mersch bietet zwar einige nette Exponate zum Ersten Weltkrieg in Luxemburg, doch liefert sie leider recht wenig Hintergrundinformation. Viel interessanter ist der dazugehörige Katalog, der durch eine aufschlussreiche Kontextualisierung ein gutes Bild der Geschehnisse liefert.

Katalog zur Ausstellung: „Luxemburg und der Erste Weltkrieg – Literaturgeschichte(n)“, Hrsg.: Daniela Lieb, Pierre Marson, Josiane Weber.
Ausstellung noch bis zum 18. September im Nationalen Literaturzentrum in Mersch.


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