SPLEEN: Wo bitte geht’s hier ins Radio?

In Luxemburg tummeln sich eine ganze Menge Bands. Die wenigstens mögen das Etikett „Pop“. Anders Spleen – die Fünf wollen auf direktem Weg ins Ohr.

Im Uhrzeigersinn: Isabelle Jakobs, Christian Péckels,
Cédric Neiens, Fränk Drews und Steve Carmentran.

Gut gelaunt sitzen sie in ihrem geräumigen Proberaum in Esch-Alzette. „Wir haben wahrscheinlich den größten Proberaum Luxemburgs“, sagt Songschreiber Cédric Neiens zufrieden. Seine MitmusikerInnen nicken zustimmend. Spleen hat sich in einer leer stehenden Dachwohnung eingenistet, Einbauküche und gemütliche Sofaecke inklusive. In den unteren Stockwerken befinden sich Büroräume, weshalb es bei den Proben ein wenig zugeht wie in „Being John Malkovich“: Erst wenn der letzte Beamte die Tür hinter sich zugemacht hat, kann die Band loslegen. Feierabend-Band mal anders. Cédric steckt den Kopf in den Flur: „Keiner mehr da. Wir können anfangen.“

Dabei sind Spleen alles andere als Krachmacher. Sie bekennen sich offen zu Pop und Mainstream. Cédric, der kreative Kopf der Truppe, verehrt die Beatles. „Aber das gibt er nur ungern zu“, sagt Bassist Fränk Drews, „nicht, dass nachher noch jemand meint, er wolle sich mit ihnen messen.“ Spleen geben sich, wie so viele Luxemburger Bands, eher als bescheidene Tiefstapler. Musik ist für sie in erster Linie Hobby, nicht Berufung oder gar Lebensinhalt. Im Song „Bob Harrison“ von ihrem zweiten Album „Uncoated“ verspotten sie zaghaft den Heldenkult rund um Hendrix, Morrison und Co. „Kurt Cobain did never understand, only Alice lived in Wonderland.“

Von Metal zu Pop

Der Text stammt von Fränk, dem Spaßvogel der Band. Er kann nicht verstehen, warum so oft behauptet wird, nur traurige Lieder wären gute Lieder. Fränk ist ein eingefleischter Cake-Fan. Mit dem lakonischen, oft defätistischen Witz der Amerikaner kann er sich identifizieren. Wenn er in „Questions“ schreibt „Noboy fuck with da Spleen“, dann ist das eher Ironie als Kampfansage.

Die Truppe ist sich bewusst, dass sie es in Luxemburg mit der von ihnen eingeschlagenen Musikrichtung nicht ganz einfach haben. Auftritte zu ergattern, ist für Spleen nach wie vor eine schwierige Angelegenheit, obwohl sie bereits zwei Alben auf den Markt gebracht haben. Für den „Rock um Knuedler“ hatten sie sich in diesem Jahr beworben – leider ohne Erfolg. „Für die alternative Bühne nicht alternativ genug, und für die große Bühne sind wir nicht groß genug“, brummt Cédric.

Besonders ärgert Fränk, dass sich die Veranstalter oftmals nicht einmal die Mühe machen, auf Anfragen zu reagieren. „Lieber ein negatives Feedback als gar keines“, folgert er. Ihr Stil gehöre eigentlich nicht auf die großen Bühnen, gibt Gitarrist Christian Péckels zu bedenken. Kleine Cafés sind eher ihr Territorium. Allerdings bedeutet das, jedes Mal die eigene Anlage anzuschleppen. Cédric träumt laut von einem Auftritt, bei dem sie lediglich die Instrumente auszupacken brauchen und spielen, ohne sich Sorgen um den Sound zu machen. Im Luxemburger Mainstream gibt es kein Kollektiv wie Schalltot oder Winged Skull, das auch relativ jungen alternativen Bands den Weg in die Öffentlichkeit ebnet.

Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Vor einigen Jahren spielten Cédric, Fränk und Schlagzeuger Steve Carmentran zusammen in einer Heavy-Metal-Band namens Asopus. Übrig geblieben aus dieser Zeit ist Cédrics Gitarrengurt mit Leopardenmuster. Und ein paar abwegige musikalische Vorlieben der Bandmitglieder. Auf die Frage, bei welchen Bands sie denn gerne spielen würden, antwortet Cédric: „Guns N‘ Roses“. Allgemeines Gelächter. „Nein, ehrlich, Guns N‘ Roses.“ Fränk erinnert sich wehmütig an einen Asopus-Gig als Cédric mit nacktem Oberkörper und im Secondhand-Pelzmantel auf der Bühne stand. Sängerin und Texterin Isabelle Jakobs, die nach dem Ende von Asopus zu der Gruppe stieß, schüttelt den Kopf. „Die Leute werden denken, wir wären von gestern.“ Sie kramt dann doch noch ein paar zeitgenössische Vorbilder hervor: Norah Jones, Alanis Morissette oder Wir sind Helden.

Vom Heavy-Metal sind sie auf direktem Wege beim Folk-Pop gelandet. Cédric mag Musik, die nach einem festen Schema funktioniert. „Es ist interessant, wenn du beim Komponieren bereits einen fest vorgegebenen Rahmen hast, innerhalb dessen du dich bewegen kannst.“ Bei Spleen heißt die Herausforderung: radiotauglich zu sein. Mit Zeitgenossen, die ihre Songs gerne vertrackt und sperrig mögen, hat der 24-jährige Frontmann so seine Probleme: „Zu sagen, wir sind alternativ, wir schreiben Lieder ohne Struktur – das ist sich die Sache meiner Ansicht nach ziemlich leicht gemacht.“

Musik als Genugtuung

Über diese Einschätzung lässt sich zweifellos streiten – einige würden anführen, dass gerade Popsongs besonders leicht zu komponieren sind. Spleen fabrizieren zum Glück keine Einweg-Ohrwürmer, sondern klingen eingängig und trotzdem anspruchsvoll. Stellenweise fallen verblüffende Ähnlichkeiten mit den 10.000 Maniacs auf – obwohl die amerikanische Band bei Spleen eigentlich keinem ein Begriff ist. Die Arrangements der Luxemburger sind sparsam und effektvoll, Isabelles Stimme sorgt für den Wiedererkennungseffekt. Und auch die Produktion ist solide. Am Sound haben die Fünf besonders gefeilt. Aufgenommen wurden die neun Songs im Studio eines Freundes in Strassen, fürs Mastering ging’s dann aber nach Belgien. Dieser Vorgang ermöglicht es, die Höhen und Tiefen einer Aufnahme so auszubalancieren, dass der Song nachher wie aus einem Guss klingt. Viele luxemburgische Bands sparen sich diese Etappe, bemerkt Cédric, dabei sei gerade dieser letzte Schliff entscheidend, damit ein Lied im Radio zwischen den teuren internationalen Produktionen nicht zu sehr abfällt. Und wirklich: „Uncoated“ kommt dicht und dynamisch daher. Die Luxemburger Radiostationen haben bereits ihr Interesse angemeldet.

Und wenn Spleen plötzlich doch noch richtig erfolgreich würden? Eigentlich wäre ihnen das gar nicht so recht. Sie wollen Anerkennung, aber auf die große Musikerkarriere sind sie nicht aus. „Wenn uns jemand einen Vertrag unter die Nase halten würde, ich glaube, wir würden ihn nicht unterschreiben“, behauptet Cédric und blickt fragend in die Runde. Allgemeines Kopfnicken. Schließlich gibt’s Spannenderes als Rockstar zu sein. „Ich studiere Bio-Chemie“ erklärt der schlaksige Musiker und macht deutlich, dass er gar nicht daran denkt, die Studien aufzugeben. Isabelle, die Sängerin mit der markanten Folk-Stimme, plant bald zurück nach Großbritannien zu gehen, um dort ihr Englischstudium weiterzuführen. Schlagzeuger Steve arbeitet beim Gericht und bezeichnet die musikalischen Erfolge vor allem als „persönliche Genugtuung“. Fränk möchte gerne als Regisseur zum Film, notfalls tut es aber auch der Beruf als „Physiksprof“, schließlich hat er vorsichtshalber gleich beides studiert. Allein Christian bleibt der Musik treu – er studiert in Köln klassische Gitarre.

Da bleibt eigentlich kaum Zeit, sich um die Vermarktung des neuen Albums zu kümmern. VollblutmusikerInnen schütteln über so eine Einstellung nur den Kopf. Ebenso
Sascha Lang von Get-Up-Music, der sich vor einigen Jahren als Manager von Spleen versuchte. „Er verstand eben einfach nicht, dass wir lediglich in den Ferien oder an den Wochenenden verfügbar waren“, sagt Cédric achselzuckend.

Wo sie genau hinwollen, das wissen die fünf von Spleen vermutlich selbst nicht so genau. Erst einmal einfach weitermachen. Der Gitarrist schmeißt die Anlage an, das Interview ist beendet. Am 17. Juli haben sie nach längerer Zeit mal wieder einen Liveauftritt. Im Boos Kafé stellen sie ihr Album vor. Deshalb schnell noch ein bisschen Musik gemacht, bevor die Beamten wieder anrücken und der Alltag einkehrt.


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