KOLLEKTIVE: Holzbank und Ledersessel

Dieses Jahr feiern gleich zwei luxemburgische Künstlerkollektive ihr zehnjähriges Bestehen: Maskénada und Independent Little Lies (ILL). Zwei Mitglieder kommentieren die Perspektiven freischaffender Künstler in Luxemburg.

Schwierige Balanceakte: ehe die Proben beginnen können, müssen viele Klinken geputzt werden. Hier „Animal“: Choreographie, zu sehen in der Kufa dieses Wochenende. (Probenfoto)

Einfach ist es nicht, an ihn ranzukommen. Marc Baum sitzt erschöpft aber zufrieden auf einer Holzbank im großen Café der Escher Kulturfabrik. Die Bedienung weiß schon was er trinken will und bringt ein Glas Rotwein. Der Grund für seine ständige Präsenz in dem alten Schlachthaus: Dieses Wochenende wird der ganze „Kufa“-Komplex seiner Truppe gehören. Denn die ILL organisiert ein Festival um die letzten zehn Jahre zu feiern. Mit Theaterproduktionen, Filmen, Konzerten und Happenings.

Natürlich ist das megaloman. Natürlich klappt nicht alles, wie es soll. „Aber das gehört zu ILL dazu. Wir übernehmen uns ständig mit unseren Projekten, die wir jedes Mal nur teilweise realisieren können. Das liegt an unserer Arbeitsweise, aber auch an den Mitteln die wir haben“, erzählt das Gründungsmitglied des im Kulturjahr 1995 aus einer Jugendtheatergruppe hervorgegangenen Künstlerkollektivs. Denn die Probleme häufen sich auf allen Ebenen. Da die ILL keine Konvention mit dem Kulturministerium hat, die ihnen ein festes Jahresbudget garantieren würde, muss sie die Gelder für jedes Projekt einzeln anfragen. Das ist nicht nur zeitraubend: Die gesamte Arbeitssituation wird prekär, wenn Projekte ohne Gewissheit über ihre Finanzierung angefangen werden müssen. Dabei hatte das Kollektiv anfangs gute Aussichten konventioniert zu werden: „Beim ersten Versuch lobte das Ministerium unser Dossier, aber leider konnte man so kurz vor den Wahlen keine neuen Konventionen mehr unterschreiben. Und nach den Wahlen sagte man uns, der neue Kulturminister wolle keine neuen Konventionen mehr unterschreiben.“

Stagnation – trotz Konvention

Aber auch mit Konvention ist das Schaffen in der luxemburgischen Kulturlandschaft schwierig. Von Stagnation in der Kulturpolitik redet Serge Tonnar, seinerseits Gründungsmitglied von Maskénada. Sein Kollektiv hat zwar ein garantiertes Jahresbudget, aber das allein löst nicht die Probleme. „Es läuft einerseits zuviel gleichzeitig, andererseits wird nicht genug auf Qualität geachtet. Es reicht einfach nicht aus, wenn die Regierung ein paar fast leere Prunkbauten hinstellt und hofft, dass die Sache mit der Kultur sich dann von selbst erledigt“, sagt er und versinkt dabei fast im Ledersessel seines Salons. Das Hauptproblem ist auch für Maskénada die Finanzierung. Nachdem die Truppe ein Jahr lang erfolglos versucht hatte mit dem Kulturministerium in Kontakt zu treten, gelang es ihnen vor kurzer Zeit – nachdem die EU-Präsidentschaft geschafft war – die Funkstille zu durchbrechen und ein Treffen mit den Hauptverantwortlichen zu erhalten. Fazit: Die Konvention bleibt, wird aber nicht ausgeweitet „Wir werden unsere Aktivitäten nicht expandieren können, denn unser Budget hindert uns daran größere Projekte durchzuziehen“, so Tonnar. Maskénada habe zwar ein gewisses Niveau erreicht, aber die zunehmende Perspektivlosigkeit führe auch intern zu Ermüdungserscheinungen.

Schließlich ist es schwierig, die ganze administrative Arbeit neben der künstlerischen und der hauptberuflichen unterzukriegen. Zumal, wenn kein Hauptquartier vorhanden ist. „Wir haben nicht mal ein festes Büro von dem aus wir unsere Aktivitäten koordinieren könnten. Dabei gibt es doch genug leer stehende Räume in und um Luxemburg, in denen wir arbeiten könnten.“, erzählt er. Als Beispiel gilt das CPCA-Gebäude in Bonneweg: Das „Centre de Production et de Création Artistique“, seit 1993 für diverse Aufführungen benutzt und seit 2003 verwaist, wäre ein idealer Ort zum Proben und zum Erledigen von Bürokram. Leider ist es nur ein Beispiel dafür wie in Luxemburgs Kulturlandschaft Freiräume gedacht werden: Primär geht es ums Prestige, den Rest erledigt man später. Dies geht auf Kosten der kleineren Initiativen die sich längerfristig nicht durchsetzen können und auch keinen Platz in den grösseren Institutionen finden, da sie meistens zu klein sind und deshalb unrentabel. Man denke nur an die „Schapp“-Initiative (woxx Nr. 821), an das LX5- Kollektiv, an Schalltot oder Backline, die alle schon seit langem auf Räume warten.

Die ILL leidet unter dem selben Standortproblem – auch wenn sie fast alle ihre Produktionen in der Kulturfabrik gemacht hat. Sie musste sich ihren Platz Jahr für Jahr erkämpfen. Aber das ist von Marc Baums Holzbank aus betrachtet nicht das Hauptproblem. Die Existenz der Kulturszene an sich sei bedroht, weil die Politik des Kulturministeriums die Menschen eher auseinander treibt als jungen Talenten, die abseits der großen Häuser ihr Glück versuchen wollen, eine Möglichkeit zu geben sich auszudrücken.

Problem: Freiraum

Da es in Luxemburg keine prinzipiellen Kontrakte gibt, die mit Theaterensembles geschlossen werden – wie es in Deutschland beispielsweise der Fall ist – gibt es auch kein richtiges kollektives Bewusstsein in der Kulturszene selbst. „Jeder versucht sein Projekt durchzukriegen, das geht auf die Kosten der Solidarität unter den Künstlern“, so Baum. Der Versuch eine Künstlergesellschaft zu gründen lief schon vor Jahren ins Leere als eine entsprechende Initiative vom OGBL geschluckt wurde.

Die Idee die eine Zeit lang durch die Szene geisterte, der Kulturminister wolle keine neue Konventionen mehr unterschreiben, um stattdessen nur noch Netzwerke regelmäßig zu subventionieren, zeigt wie realitätsfern das Ministerium teilweise ist. Denn solche Netzwerke existieren bereits. Die meisten Vereine und Kollektive der freischaffenden Kulturzene verstehen sich als Netzwerke und Plattformen. Nur werden sie selten wahrgenommen, wenn sie nicht fest im Kulturbetrieb integriert sind.

Deshalb steht auch das ILL-Festival im Zeichen der Koproduktion und der Zusammenarbeit der einzelnen Vereinigungen. „Das ist ja auch der Sinn der ILL: Eine Plattform bieten, auf der Kontakte geknüpft werden und auf denen auch junge und unerfahrene Künstler erste Schritte ausprobieren können. Wir versuchen einen Spagat hinzulegen zwischen dem harten Kern, der sich in den letzten Jahren herausgebildet hat und den Trabanten die wir inzwischen anziehen.“ Serge Tonnar hat eine andere Vision von Netzwerken: „Für Maskénada steht fest: Wenn wir jemanden unterstützen, dann hat das Kollektiv auch ein Mitspracherecht. Einfache Koproduktion machen wir nicht.“

Wo bleibt die Debatte?

Worin sich die beiden einig sind, ist, dass es so nicht mehr weitergehen kann. „Die jetzige Kulturpolitik produziert ein einziges Wasteland. Es mangelt an Verständnis und Interesse für unsere Produktionen. Eine nachhaltige Kulturpolitk mit administrativer Koordination und Orientierung für Vereine wie wir es sind, ist einfach nicht vorhanden“, hallt es von der Holzbank. „Es gibt nicht genug Leute im Kulturministerium, die sich intensiv genug mit diesen Projekten befassen. Es geht einfach nicht voran“, so das Echo aus dem Ledersessel. Tonnar setzt noch einen drauf: „Was vor allem fehlt in Luxemburg – und daran ist nicht nur das Ministerium schuld – ist die kulturpolitische Debatte. Es reicht nicht wenn die Medien nur Kultur ankündigen und nachher kritisieren. Sie müssen auch bereit sein, das Kulturverständnis selbst zu diskutieren und kritisch zu hinterfragen.“ Das Ministerium selbst, konnte zum Zeitpunkt der Redaktion und der Recherche, wegen der Feiertage nicht erreicht werden.

Für ein Land dessen Hauptstadt 2007 wieder Kulturhauptstadt Europas wird, sollte eine solche Debatte eigentlich der Grundsatz aller Handlungen sein.

www.maskenada.lu
www.ill.lu


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