LITERATUR: Dreimal Reisen

Der Schriftsteller Georges Hausemer hat soeben seinen Band mit Reisegeschichten „Und abends ein Giraffenbier“ veröffentlicht. Es handelt sich um Stücke die in den letzten zehn Jahren in verschiedenen Zeitungen erschienen sind.

In klassischer aber politisch unkorrekter Schriftstellerpose: Georges Hausemer. (Foto: woxx)

woxx: Wie kommt man dazu, Reisegeschichten zu verfassen?

Georges Hausemer: Als ich noch ein kleiner Junge war, saß ich oft vor dem Globus und habe mir all die Kontinente mit den komischen Ländern und Städten angesehen. Aber als junger Mensch hat man eben nicht die Mittel so weit zu reisen. Im Grunde sind meine längeren Reisen auch erst zehn Jahre her. Die veröffentlichten Texte datieren alle aus dem letzten Jahrzehnt. Und je mehr ich reiste, desto unwiderstehlicher wurde die Reiselust, was in Luxemburg auch nicht verwundern muss. Es ist eben ein Land, in dem man schnell zum Klaustrophobiker wird. 1995, anlässlich des Kulturjahres, habe ich angefangen für die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu schreiben. Die Redaktion wollte einen Text über Luxemburg haben. Danach hatte ich dort einen Fuß in der Tür und konnte ihnen so auch andere Texte anbieten.

Wurden Ihre Reisen von den Zeitungen finanziert?

Nein. Vor Jahren hätte das vielleicht noch geklappt. Damals wurden vielleicht mal die Spesen übernommen. Aber dieser Usus ist mit der Zeitungskrise verschwunden. Da muss man sich eben nach anderen Sponsoren umschauen, seien es Reiseagenturen oder Fluggesellschaften. Meine Afrika-Reise zum Beispiel lief im Rahmen eines Auftrags des Entwicklungsministeriums, für das ich luxemburgische Kooperationsprojekte in Westafrika besichtigte. Es sind sehr verschiedene Reisen, die ich beschreibe, manchmal war ich ganz allein unterwegs, für andere zu zweit oder in der Gruppe. Das habe ich nie weit im Voraus geplant.

Auf dem Buchcover ist von Reisegeschichten die Rede und nicht von Berichten. Vermischen Sie Realität und Fiktion?

In verschiedenen Texten mischt sich schon etwas Fiktion ein. Zumal in den kleineren Texten. Es gibt eben Momente während einer Reise, in denen die Fantasie einsetzt.

Sie erfinden Sachen dazu?

Ja, in den kleineren Texten, die auch lyrischer sind als die Reportagen, kann man das. Außer es handelt sich um eine Reisereportage für eine bestimmte Zeitung. Da ist es schon heikel. Aber, wenn man nebenbei auch Fiktion schreibt, dann inspirieren einen Reisen immer zum Geschichten erzählen. Ob die nun genau so geschehen sind oder nicht, ist nicht mehr nachzuvollziehen und kann dem Leser auch egal sein.

Die Frankfurter Allgemeine hat eigentlich nichts mit einem linken Blatt wie der taz am Hut. In welchem Maß passen Sie sich den Zeitungen an, für die Sie schreiben?

Ich hatte da nie Probleme, außer dass verschiedene Zeitungen verschiedene deutsche Rechtschreibungen anwenden. Darüber hinaus denke ich beim Schreiben nicht weiter nach, für wen ich schreibe. Es sind meine Geschichten und es ist mein Stil. Die einzige Beschränkung, an die ich mich halten muss, sind die Textlängen.

Welchen Stellenwert hat dieses Buch für Sie im Vergleich mit Ihren anderen Werken, Ihren Romanen zum Beispiel?

Die Reisen hängen auch mit etwas wie einer „Schaffenskrise“ meinerseits zusammen. Vor zehn Jahren begann ich der reinen Fiktion, der reinen Literatur, nicht mehr zu trauen. Ich brachte es nicht mehr über mich, einfach ins Blaue hinein zu fantasieren und Geschichten zu erfinden. Ich verspürte das Bedürfnis, von etwas Konkretem auszugehen und das zu beschreiben. Auch wenn ich Fiktives hineinmische, bleibe ich trotzdem immer nah an der Realität. In dem Sinne hat dieses Buch im Bezug auf meine Arbeit der letzten zehn Jahre einen relativ hohen Stellenwert, schon allein, weil es meine Hauptarbeit war. Neben dem Lexikon natürlich, an dem ich auch vier Jahre gearbeitet habe.

Hat es denn funktioniert? Können Sie wieder Fiktionen schreiben?

Es hat mich über eine Phase des Zweifelns hinweggebracht. Und jetzt, nachdem das Lexikon erschienen ist, habe ich wieder viel mehr Lust Fiktives zu schreiben. Das Lexikon zu redigieren war vor allem knallharte Arbeit an den Fakten, bei denen man sich keinen Ausrutscher erlauben durfte. Im Moment liegt mir „Und abends ein Giraffenbier“ aber sicherlich am meisten am Herzen. Was auch normal ist für einen Schriftsteller, denn zu den früheren Stücken baut man ja mehr Distanz auf. Es ist ein Dokument meiner schriftstellerischen und journalistischen Aktivitäten. Und es ist vom Visuellen her das Buch, das mir am Besten gefällt. Den Deckel sowie das Layout finde ich sehr gelungen. Jedenfalls identifiziere ich mich sehr stark mit diesem Buch.

Wie sind Sie beim Verfassen vorgegangen?

Im Grunde genommen habe ich diese Reisen exakt drei mal gemacht: Erstens bereite ich mich zu Hause auf das Reiseziel vor, sammle Informationen und recherchiere in Reiseführern. Denn um blind irgendwo hinzureisen braucht man Monate, um sich zurecht zu finden. Dann mache ich die Reise selbst, mit Notizblock und Fotoapparat – um mir eine Art visuelles Tagebuch zu erstellen. Schließlich breite ich das gesammelte Material auf meinem Schreibtisch aus und erlebe die Reise zum dritten Mal, indem ich darüber schreibe.

In Ihren Texten über Europa hat die Kultur einen hohen Stellenwert, bei ferneren Reisen neigen Sie eher zu langen Erklärungen über Geschichte und Kontext des Landes. Warum gehen Sie so unterschiedlich an verschiedene Reiseziele heran?

Asien und Südamerika sind uns eben ziemlich fremd. Und da geht man anders ran. Ich schaue mir den Alltag der Leute, für den ich mich immer stark interessiere, näher an. In Europa hingegen sind die Lebensweisen nicht so unterschiedlich. Da geht man auf andere Details ein, schon allein, weil man als Reisender mit ganz anderen Problemen konfrontiert wird. Man lebt, erlebt und schreibt dann auch anders.

Birgt dies nicht das Risiko, dem Exotismus zu verfallen?

Das besteht natürlich. Auch wenn ich mich andererseits frage, ob es den Exotismus heute noch gibt. Die Globalisierung macht – außer vielleicht in Afrika, wo die Menschen noch recht ursprünglich leben – alles gleich. Asien ist zum Beispiel sehr wohl angepasst. Nebenbei ist es auch eine Sache des Charakters: Ich bin nicht derjenige, der schnell ins Schwelgen gerät. Reisen heißt für mich auch immer kämpfen, ich lege mich nicht 14 Tage lang an einen Strand, sondern versuche, so nah wie möglich an die Lebensbedingungen der Leute heran zu kommen. Schlussendlich ist es am Leser, zu entscheiden, ob es Exotismus in meinen Geschichten gibt.

Versuchen Sie neutral und objektiv einzuschätzen, was Sie erleben?

Neutral ist man nie. Ich bin ein subjektiver Beobachter, der sich immer bewusst ist, ein Fremder zu sein. Egal wie nah ich an andere Kulturen oder Menschen komme. Man kann nicht Teil einer wildfremden Kultur werden.

Sie wollten also auch noch nie an einen ihrer bereisten Orte ziehen?

Nein, nicht im Absoluten. Sicherlich gibt es Orte, an denen ich Lust hätte längere Zeit zu verbringen. Aber der Ort, für den ich meine hiesige Existenz aufgeben würde, existiert wahrscheinlich nicht. Vielleicht bin ich auch zuviel in Luxemburg verwurzelt und muss nur von Zeit zu Zeit ausbrechen.

Vertreten Sie ein Engagement oder eine politische Haltung in Ihren Geschichten?

Mir ist es wichtig, wahrhaftig zu bleiben und das zu umgehen, was Reisereportagen normalerweise an sich haben: Eine Verherrlichung, die nichts mit der Realität zu tun hat. Ich gebe meinen Standpunkt wieder. Sicher bin ich zum Beispiel kein großer Fan der USA. Ich kann nicht dorthin gehen und die Augen vor all den negativen Aspekten verschließen. Ich verherrliche nichts und bin auch fähig, Kritik an den Zuständen zu üben. Schlussendlich schreibe ich keine Werbetexte.

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„Und abends ein Giraffenbier“, éd. Guy Binsfeld, 25 €, www.editionsguybinsfeld.lu


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