Kosovo
: Kriminelle an der Macht

Ehemalige UÇK-Kommandeure können nun wegen Kriegsverbrechen von einem neuen Gerichtshof im Kosovo juristisch verfolgt werden. Doch die Probleme des jungen, instabilen Staates werden nicht gelöst.

Wird als maßgeblicher Organisator für Gewaltakte gegen Minderheiten beschuldigt: Hashim Thaçi, Ansprechpartner der Separatisten für den Westen und späteres politisches Oberhaupt der UÇK. (Foto: Kai Mörk / Wikimedia commons)

Wer 1999 die paramilitärische Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) als verbrecherische Organisa­tion bezeichnete, geriet schnell in den Ruch, Anhänger des als Wiedergänger Adolf Hitlers geltenden serbischen Präsidenten Slobodan Milošević zu sein oder serbische Kriegsverbrechen im Kosovo relativieren zu wollen.

Ein Jahrzehnt später sah die Sache etwas anders aus. Carla Del Ponte, Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, veröffentlichte 2008 ihre Erinnerungen an die Arbeit des Gerichtshofs. Darin beschuldigte sie hochrangige Kommandeure der UÇK, nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen, als die UÇK weite Teile des Kosovo kontrollierte, Serben verschleppt, ermordet und ihre Organe verkauft zu haben.

Die parlamentarische Versammlung des Europarates beauftragte den Schweizer Staatsanwalt Dick Marty mit einer Überprüfung dieser Vorwürfe. Anfang 2011 veröffentlichte Marty seine Untersuchungsergebnisse. Demnach trage eine Fraktion der UÇK mit guten Kontakten zur organisierten Kriminalität die Verantwortung für die nach dem Abzug der serbischen Armee im Juni 1999 systematisch verübten Gewaltakte gegen Serben, Angehörige anderer ethnischer Minderheiten, aber vor allem auch gegen Albaner, denen unterstellt wurde, mit den Serben kollaboriert zu haben oder die Politik der UÇK abzulehnen. Maßgeblicher Organisator dieser Gruppe sei Hashim Thaçi gewesen, der sich als Ansprechpartner der Separatisten für den Westen und schließlich als politisches Oberhaupt der UÇK durchsetzen konnte.

Nach dem Krieg wurde er Vorsitzender der regierenden Demokratischen Partei des Kosovo (PDK) und bestimmt seither maßgeblich die Politik des Kosovo. Von 2008 bis 2014 war er der erste Ministerpräsident der unabhängigen Republik.

International sorgte vor allem für Aufmerksamkeit, dass Marty in seinem Bericht den Vorwurf des Organhandels bestätigte. Im September 2011 gründete die EU daraufhin die Special Investiga­tive Task Force (SITF), um unter dem Vorsitz des US-amerikanischen Juristen Clint Williamson den Feststellungen Martys nachzugehen. Williamson hat Erfahrung mit der juristischen Nach­bearbeitung der jugoslawischen Zerfallskriege, unter anderem war er Sonderbotschafter der US-Regierung für Kriegsverbrechen und Mitverfasser der Anklageschrift gegen Milošević vor dem Jugoslawientribunal.

Die SITF soll nicht nur Tatsachen feststellen, sondern auch gerichtlich verwertbare Beweise sammeln und eine Anklageerhebung gegen ausgewählte UÇK-Kader vorbereiten. Deren juristische Verfolgung soll einem neu zu schaffenden Gericht überantwortet werden. Eine Anklageerhebung vor dem Jugoslawientribunal kommt nicht in Frage, denn Verbrechen nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen fallen nicht in dessen Zuständigkeit.

Im Gegensatz zu jenem Tribunal soll das neue Gericht nicht internationales Recht anwenden, sondern kosovarisches Recht. Auch soll es auf dem Papier seinen Sitz im Kosovo haben. Das sind Zugeständnisse, die dazu dienen, die Fiktion der Souveränität des Kosovo aufrechtzuerhalten. Tatsächlich sollen die Prozesse im Ausland, wahrscheinlich in Den Haag, stattfinden. Richter und Staatsanwälte werden international rekrutiert. Der Grund dafür liegt in den Erfahrungen mit Verfahren vor dem Jugoslawientribunal gegen UÇK-Kommandeure wegen Kriegsverbrechen während des Kosovo-Krieges.

In der Regel kamen wichtige Zeugen plötzlich ums Leben oder konnten sich auf einmal an nichts mehr erinnern. Da eine Aufklärung der Verbrechen nach 15 Jahren nur durch Zeugenaussagen möglich ist und die Sicherheit sowohl der Zeugen als auch des juristischen Personals im Kosovo nicht garantiert werden kann, sollen die Prozesse außerhalb des Kosovos stattfinden.

Das Problem an der Konstruktion eines solchen hybriden Gerichtshofes, der mit internationalem Personal als de jure nationales Gericht agieren soll, ist die dafür notwendige Zustimmung des kosovarischen Parlaments. Ein erster Versuch, die für die Errichtung des Gerichtshofs benötigten Verfassungsänderungen beschließen zu lassen, scheiterte Ende Juni, weil die notwendige Zweidrittelmehrheit verfehlt wurde.

Die Härte, mit der nun eine gerichtliche Verfolgung führender UÇK-Kader vom Westen gefordert wird, überrascht.

Unter Aufgabe jeglicher diplomatischer Zurückhaltung forderten anschließend Vertreter der USA und der EU ultimativ, dass das Parlament den Weg freimache für die Errichtung des Gerichtshofes. Sollte das Parlament dem nicht nachkommen, so kündigten US-Vertreter explizit an, würden die USA etwaige Versuche Russlands, ein UN-Tribunal für den Kosovo zu errichten, im Sicherheitsrat nicht blockieren. Dies wäre ein Rückschlag für das Bemühen um eine internationale Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Der Druck stieg, nachdem Williamson Ende Juli die Ergebnisse der Nachforschungen der SITF bekanntgab und verkündete, dass sich die Vorwürfe bestätigt hätten und gegen eine Reihe von Personen Anklage erhoben werden könne.

Am 3. August schließlich wurden die Gesetzesänderungen in einer zweiten Abstimmung vom Parlament angenommen. Nach Jahren, in denen der Westen die UÇK unterstützt und von deren Mitgliedern begangene Verbrechen übersehen hat, überrascht die Härte, mit der nun eine gerichtliche Verfolgung führender UÇK-Kader gefordert wird. Der Grund für diesen Meinungswandel dürfte in dem Bild liegen, welches der Kosovo heute abgibt. Die Regierenden im Kosovo rekrutieren sich aus der ehemaligen Führungsebene der UÇK. Im juristischen Sinne kann man sie alle als Kriminelle bezeichnen.

Von Korruption über jede Form von Schmuggel bis zu Erpressung und Mord reicht die Liste der Delikte. Lange war das kein Problem für westliche Staaten. Doch diese Kriminellen sind immer weniger im Stande, Stabilität zu gewährleisten. Die Massenflucht der verelendeten Bevölkerung, das Wachsen eines ­islamistischen Milieus sowie die anhaltende, vom Kosovo ausgehende Destabilisierung der Region lassen die einstigen Verbündeten heute zum Problem werden. Zumindest seitens der USA wird mittlerweile unverhohlen kundgetan, dass man sich ein anderes Regierungspersonal im Kosovo wünscht.

Allerdings ist kaum zu erwarten, dass ein simpler Austausch der Regierenden die Verhältnisse im Kosovo grundlegend ändern würde. Vielmehr deutet eine derart personalisierte Diskussion auf die Unfähigkeit hin, das Desaster im Kosovo zu verstehen. Auch der Marty-Report schildert die Verbrechen an ethnischen Minderheiten und politischen Rivalen als das Werk einiger krimineller Individuen, welche die eigentlich einen noblen Zweck – den Kampf für die nationale Unabhängigkeit – verfolgende UÇK faktisch unterwandert hätten. Zwar hat Marty einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktion der Situation im Kosovo um 1999 geleistet, aber diese Analyse geht fehl. Verbindungen zur organisierten Kriminalität und illegale Methoden der Finanzierung des bewaffneten Kampfes waren kein Spezifikum der kosovarischen Guerilla.

Charakteristisch für den Kosovo ist, dass die Transformation eines von bewaffneten Banden kontrollierten Landes in einen bürgerlichen Nationalstaat und die Verwandlung der kriminell erworbenen Vermögen in legales Kapital nicht einmal ansatzweise gelingen wollen. Dies liegt jedoch nicht an der oft als Begründung angeführten Rückwärtsgewandtheit der kosovarischen Gesellschaft. Im Kosovo ist vielmehr der derzeitige Endzustand der seit drei Jahrzehnten stattfindenden ökonomischen und sozialen Verwüstung Südosteuropas zu besich­tigen, deren derzeit letzten Akt die Griechenland aufgezwungenen Austeritätsmaßnahmen markieren. Daran wird auch die Verurteilung einiger ehemaliger UÇK-Kommandeure nichts ändern. Bestenfalls lässt sich so die Schuld für das Scheitern des nation building auf einige Kriminelle abwälzen.

Peter Korig ist freier Autor.

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