EUROPÄISCHE LINKE: Mosaik der Strategien

Fast zehn Jahre nach der Verfassungsdebatte verfügt die Linke immer noch nicht über eine europapolitische Strategie. Zwar ist sie, wie in Frankreich, stärker geworden, doch die Positionen der einzelnen Parteien bleiben widersprüchlich.

Waren die Anhänger des Nein wirklich nur souveränistische Dinosaurier? Ein Teil der Linken hofft auf das Ableben der EU, doch ein anderer setzt auf das Aussterben der Nationalstaaten.

„Abzuwarten bleibt, wem diese Hoffnung nützt“, mit diesen Worten schließt das nebenstehend besprochene Buch, ein skeptisches Echo auf die Erklärung der PCF-Vorsitzenden am Tag nach dem französischen Referendum: „Heute erhebt sich große Hoffnung.“ Zwar wurde durch das französische Nein das Prestige der EU-Institutionen dauerhaft erschüttert, doch die Festschreibung des neoliberalen Kurses im Vertrag von Lissabon konnte nicht verhindert werden. Enttäuscht wurde auch die Erwartung, die gelungene Mobilisierung für das Nein werde zu einem europaweiten Linksruck führen.

Front de gauche

Genützt hat die Post-Nein-Hoffnung den linken Parteien allenfalls in einigen Ländern, auf europäischer Ebene ist die Linke nach wie vor weit davon, eine Gesamtstrategie zu entwickeln. Sieht man sich die Websites an, so erscheint die auf europäische Tagespolitik ausgerichtete GUE/NGL-Fraktion durchaus als lebendige Struktur. Die „Europäische Linkspartei“ dagegen dümpelt eher vor sich hin, obwohl sie eine einheitliche Integrations-freundliche Ausrichtung hat und ihr Sinn eigentlich in der Aufgabe liegt, die Parteistrukturen untereinander zu vernetzen. Doch sind es vor allem die deutsch-französischen Beziehungen, die gepflegt werden, wie die gemeinsame Erklärung zum Elyséevertrags-Jubiläum zeigte. Und auch hier dürfte es sich eher um einen Schulterschluss auf höchster Ebene handeln – insbesondere zwischen Oskar Lafontaine und Jean-Luc Mélenchon – und weniger um die Herausbildung einer neuen, deutsch-französischen linken Identität.

Im Rückblick waren die Verfassungsdiskussion in Frankreich und der entstandene Riss im sozialdemokratischen Lager sicherlich entscheidend für das seit 2009 bestehende Linksbündnis „Front de gauche“. Zum einen hat das Parteienbündnis mehrere Wahlerfolge zu verzeichnen – zuletzt das beachtliche Ergebnis von Mélenchon bei den Präsidentenwahlen. Zum anderen existiert zum ersten Mal seit dem Niedergang des PCF eine stabile politische Kraft links vom PS.

Dennoch steht das Bündnis vor großen Herausforderungen, und dies umso mehr, als es der rot-grünen Regierung verweigert hatte, ohne sich aber deshalb in die Fundamental-opposition drängen zu lassen. Immer wieder wird darüber spekuliert, ob der PCF – dessen Wählerschaft sich stabilisiert hat – das Bündnis verlassen könnte, um zum Beispiel im Vorfeld der kommenden Gemeindewahlen mit dem PS gemeinsame Sache zu machen. Demgegenüber könnte sich im FDG und links davon eine radikale Allianz der Verweigerer bilden. Dazwischen findet man den Parti de gauche, dessen Vorsitzender Mélenchon versucht, mit einer Mischung aus anspruchsvollen Reformvorschlägen und harscher Kritik an den Sozialdemokraten ein Gleichgewicht zu wahren. Doch es scheinen die einseitige Kritik und die verbalen Exzesse Mélenchons gewesen zu sein, die Marc Dolez, Mitbegründer der Partei, zum Austritt gebracht haben.

Auch die europapolitischen Positionen der französischen Linken sind unklar. Der PCF-Europaabgeordnete Patrick Le Hyaric hat zum Beispiel ein Buch für das „Europa der Völker“ und gegen die „Bedrohung“ des Stabilitätspakts veröffentlicht, sieht dies aber als Appell, einen „Prozess der Neugründung Europas“ einzuleiten. Mélenchon entpuppt sich beim genauen Zuhören als überzeugter Internationalist, doch sein Interesse und das seiner Anhänger gilt mindestens ebenso sehr den Entwicklungen in Lateinamerika wie denen jenseits von Rhein, Alpen und Pyrenäen.

Dass die europäische Linke noch immer unter dem Verdacht steht, antieuropäisch zu sein, hat mehrere Gründe. Während der Mobilisierung für das Nein zur EU-Verfassung wurde kein besonderer Wert darauf gelegt, sich von Rechtspopulisten und Nationalisten abzugrenzen – was zum Beispiel im Falle der offen souveränistischen niederländischen SP auch schwierig gewesen wäre. Doch das Nein zum Vertrag als ein Nein zu Europa zu werten, wird der Realität nicht gerecht. Lange vor 2005 gab es linke Warnungen und Kritik am neoliberalen Kurs der EU. Einem Verfassungs-Projekt die Unterstützung zu verweigern, das diesen Kurs nicht oder ungenügend korrigiert, kann man den Linken nicht gut vorwerfen – selbst wenn, wie die Position von PDCI und SF zeigt, das Nein nicht die einzige Option war.

Europa anders, aber wie?

Hinzu kommt, dass die Krise mittlerweile enthüllt hat, wie europäisch die damaligen Befürworter wirklich denken und handeln: Wichtiger als der europäische Geist waren Nicolas Sarkozy die französische Souveränität, Angela Merkel die deutsche Finanzorthodoxie und Jean-Claude Juncker das Vetorecht in Fiskalfragen.

Doch die Krise hat sicherlich auch die anti-europäischen Kräfte innerhalb der Linken gestärkt, ob sie nun den Euro, die EU oder übernationale Strukturen insgesamt ablehnen. Eine hierauf aufbauende Europa-Strategie hätte den Vorteil, dass man sich damit gegenüber Sozialdemokraten und Grünen profilieren könnte. Ein Teil der linken Parteien wird vermutlich diesen Weg, verbunden mit einer Radikalisierung und einer Rückbesinnung auf klassenkämpferische Analysen, wählen.

Andere Ansätze zielen darauf ab, zum geplanten ordoliberalen „politischen Europa“ ein Gegenprojekt zu entwickeln. Doch der Konsens gegen den neoliberalen Kurs, der das Nein zur Verfassung als gemeinsamen Nenner ermöglichte, taugt nicht als Basis für eine positive gemeinsame Strategie. Interessant an einer „alternativen Verfassung“ wäre, dass sie Sozialdemokraten und Grüne unter Zugzwang bringen und auf diese Weise eine strategische Kooperation zwischen den Akteuren links von der Mitte einleiten könnte. Der Preis aber – Ausgrenzung einer ganzen Reihe von kleineren, die Integration ablehnenden Parteien – dürfte den europafreundlichen „Großen“ zu hoch sein.

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Siehe auch EU-VERFASSUNG: Die nächste kommt bestimmt!

 


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