Bildungspolitik: Fast geschafft

Nach dem monatelangen Konflikt zwischen Regierung und Lehrpersonen um Sparmaßnahmen im Sekundarschulbereich sieht es so aus, als ob nun endlich eine Einigung erzielt werden könnte.

Ende gut, alles gut? Vorläufig sieht es so aus, als ob im Konflikt zwischen Meisch und den Sekundarschullehrern
eine Lösung gefunden worden sei.(FOTO: ALAMOR BASENET/FLICKR)

Am Montag dieser Woche kam der Durchbruch: Man habe sich einigen können, gab Claude Meisch nach vierstündigen Verhandlungen mit den drei Lehrergewerkschaften SEW, Apess und Féduse zu Protokoll. Ein Kompromiss sei erzielt worden – und werde jetzt der Basis präsentiert, die darüber entscheiden müsse, hieß es von den Gewerkschaften. Im Mittelpunkt sollten, anders als bisher, nicht Einsparungen, sondern Verbesserungen der Schulqualität stehen.

SchülerInnen mit Schwierigkeiten sollen in Zukunft gezielter unterstützt werden. Die Stunden, die dafür anfallen werden – etwa 1.500 im Jahr laut Claude Meisch – sollen über die Altersentlastungen (Décharge) finanziert werden. Wurde den LehrerInnen bei der ersten „Décharge“ ab dem Erreichen des fünfundvierzigsten Lebensjahres eine Freistunde zugestanden, so soll diese Stunde jetzt für andere Zwecke als den normalen Unterricht verwendet werden: für individuelle Schülerbetreuung beispielsweise, für Aktivitäten im außerschulischen Bereich oder für Aufsichtsstunden beim Ausfall eines anderen Lehrers. Bei den Abschlussklassen soll zudem die Dreifachkorrektur (triple correction) zugunsten einer Zweifachkorrektur (double correction) abgeschafft werden. Nur wenn die Diskrepanzen zwischen beiden Noten zu groß sind, sollen die Examen ein drittes Mal korrigiert werden. Für Aufsichtsstunden sollen künftig statt LehrerInnen ErzieherInnen eingesetzt werden, die Vorbereitungen von Nachexamen hingegen LehrerInnen auf freiwilliger Basis anvertraut werden. Der größte Erfolg der Gewerkschaften: Der „coefficient réducteur“, der dafür sorgen sollte, dass nur noch tatsächlich geleistete Arbeitsstunden bezahlt werden, ist vom Tisch.

„Im Sekundarschulunterricht werden in Zukunft nur noch die Stunden bezahlt werden, die auch reell geleistet wurden“ hatte Xavier Bettel in seiner Rede zum „Zukunftspak“ im Oktober 2014 erklärt. Das zielte auf die LehrerInnen von Abschlussklassen. Anders als bei „normalen“ Klassen ist bei den Abschlussklassen – Première, Treizième, Quatorzième – das Schuljahr nicht erst Mitte Juli, sondern bereits Mitte Mai mit den Abschlussexamen zu Ende. Die nicht gehaltenen Unterrichtsstunden sollten durch eine Erhöhung der „Tâche“ der LehrerInnen ausgeglichen werden.

Bereits vor der Rede des Premierministers war in einem Treffen zwischen Meisch und Féduse von einer Verschiebung der „Alters-Décharge“ – also der altersbedingten Freistunden – die Rede. Insgesamt 3,5 Millionen Euro sollten im Sekundarschulbereich eingespart werden. Jeder müsse seinen Teil zur Sanierung der Staatsfinanzen beitragen, hieß es seitens der Regierung.

Bei den Gewerkschaften kochten die Gemüter hoch: Die SekundarschullehrerInnen hätten schon 2007 mit der Erhöhung ihrer Arbeitszeit ihren Teil zur Sanierung der Finanzen beigetragen, hieß es, und man sei nicht bereit, weitere Sparmaßnahmen auf dem Rücken der SekundarschullehrerInnen hinzunehmen.

Schlimmeres vermieden

Nach ersten Verhandlungen zwischen Claude Meisch und den drei Lehrergewerkschaften sah es aus, als ob eine Einigung erzielt werden könnte. Meisch hatte Zugeständnisse gemacht: Im Gegenzug für die Einsparungen sollten in Zukunft über das Schuljahr verteilte mündliche Prüfungen als Arbeitszeit gelten und die Vergütungen für Examenskorrekturen nach oben angepasst werden. Beide Seiten gaben sich im Anschluss an die Gespräche optimistisch. Die Basis machte den Gewerkschaften jedoch einen Strich durch die Rechnung: Die Lehrerkomitees von 24 Schulen lancierten einen Aufruf, die Abschlussexamen 2015 zu boykottieren.

Nicht weniger als 1.500 LehrerInnen stellten daraufhin ein Gesuch an Claude Meisch, aus den Examenskommissionen abgezogen zu werden. Der lehnte, wie nicht anders zu erwarten, die Gesuche ab und drohte sogar mit juristischen Konsequenzen im Falle von Ungehorsam.

Für Daniel Reding, Präsident der Apess, ist der jetzt erzielte vorläufige Kompromiss kein voller Erfolg : „Was soll ich Ihnen sagen? Jubeln tun wir jedenfalls nicht.“ Schließlich habe die Lehrerschaft bereits 2007 mit der Erhöhung der Tâche Abstriche machen müssen, jetzt würden ihr erneut Zugeständnisse zugemutet. Man habe halt das Maximum herausgeschlagen, stellt er fest. „Keine der beiden Verhandlungsparteien hätte weiter nachgeben können“, so Reding. Das habe man unter anderem am „extrem angespannten“ Verhandlungsklima gemerkt. „Auch Herr Meisch ist an die Grenzen dessen gestoßen, was er noch vor seinen Regierungskollegen rechtfertigen kann.“

Jules Barthel, SEW, ist ebenfalls nicht vollends zufrieden mit dem Resultat der Verhandlungen: „Die Einigung bringt eine Reihe Einbußen für unsere Leute mit sich. Sagen wir es mal so: Wir haben Schlimmeres vermieden.“ Es gehe jetzt auch darum, für eine effiziente Umsetzung der Maßnahmen zu sorgen, damit die Zugeständnisse nicht umsonst gewesen seien.

Wichtig ist für Apess-Präsident Daniel Reding, dass der jetzt erzielte Kompromiss noch keine Einigung darstellt: „Es ist ein Einigungsvorschlag. Jetzt ist es an der Basis, zu entscheiden, ob das Verhandlungsresultat angenommen wird oder nicht.“ Man werde in jedem Fall die Entscheidung der Basis respektieren. Werde der Vorschlag von ihr nicht angenommen, sei das Schlichtungsverfahren als gescheitert zu betrachten. Der nächste Schritt wäre in diesem Fall die Mediation. „Wobei ich kaum glaube, dass dadurch ein besserer Kompromiss erzielt werden könnte“, so Reding. Ein Scheitern der Mediation würde das Einleiten der Streikprozedur nach sich ziehen.

Vorsichtig optimistisch

Dass es soweit kommen könnte, will Claude Meisch vorerst nicht glauben. „Ich bin vorsichtig optimistisch“ sagt er. „Ich glaube, dass dieser Kompromissvorschlag für beide Seiten zu verkraften ist.“ Vor allem, weil sich der Vorschlag, wie er meint, ja nicht nur um Sparmaßnahmen dreht, sondern auch Verbesserungen für den Schulbetrieb mit sich bringt. „Wenn es bei diesem Verhandlungsresultat Gewinner gibt, dann sind das die Schüler und die Schule.“ Man wolle dafür sorgen, dass weniger Schüler sitzenbleiben und bei vorhandenen Schwächen gezielter gefördert werden. Um ungenügende Noten auszugleichen, sollte es in Zukunft möglich sein, im Laufe des Jahres Nachholprüfungen („kleng Noexamen“) zu absolvieren.

Die Aufgabe des „coefficient réducteur“ von Regierungsseite – eine kleine Niederlage? „Sicherlich haben beide Seiten Wasser in ihren Wein schütten müssen“ findet Meisch, „doch der Kompromiss, den wir jetzt gefunden haben, ist es wert.“ Die Diskussionen seien langwierig und alles andere als einfach gewesen. „Um einen Kompromiss zu erzielen, müssen halt beide Seiten Zugeständnisse machen.“ Ihm sei eine Lösung auf Basis der Altersentlastungen ohnehin lieber gewesen als eine auf Basis des „coefficient réducteur“. „Schon vor den Diskussionen um den ‚Zukunftspak` habe ich für die Option
Altersentlastungen plädiert“ betont der Minister.

Féduse-Präsident Camille Weyrich erklärt, man habe sich auf eine zukünftige Auswertung der Resultate der Maßnahmen geeinigt. „Sollten durch den Kompromiss mehr Ressourcen eingespart werden als gedacht, könnte etwas Substanzielles wieder an die Lehrer zurückfließen.“ Dass der „coefficient réducteur“ vom Tisch ist, ist für Weyrich aber nicht der große Erfolg: „Es ging ja von Anfang an um die Alters-Décharge, der ‚coefficient réducteur` war eine Ersatzmaßnahme, die von Herrn Meisch vorgeschlagen wurde.“ Wären vom „coefficient réducteur“ aber vor allem LehrerInnen von Abschlussklassen betroffen gewesen, so werde die Sparlast jetzt gleichmäßiger auf alle verteilt.

„Beim ‚coefficient réducteur` handelte es sich um eine extrem ungerechte Sparidee“, so auch Jules Barthel, SEW. „Man darf auch den psychologischen Aspekt nicht unterschätzen. Die Aussagen des Premierministers sind vielen übel aufgestoßen.“

Von den LehrerInnen scheint die Lösung bisher eher gut aufgenommen zu werden. Empört hatte viele von ihnen vor allem die oben erwähnte Ankündigung des Premiers – weil in ihr die Behauptung impliziert sei, dass man bisher mehr bezahlt habe, als tatsächlich gearbeitet wurde. Dass der „coefficient réducteur“ jetzt nicht mehr zur Debatte steht, wird gewissermaßen als Wiedergutmachung betrachtet.

Angst vor einem Streik

Camille Weyrich zeigt sich vorsichtig optimistisch: „Unter den Lehrern, mit denen ich gesprochen habe, gibt es keinen, der radikal gegen den Kompromissvorschlag wäre“ erklärt er. Jules Barthel vom SEW stellt dasselbe fest: „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass der Vorschlag von der Basis abgeschmettert werden würde. Aus den Reaktionen, die ich bisher erhalten habe, geht das aber nicht hervor.“ Man sei zwar nicht wirklich zufrieden mit der vorläufigen Einigung, aber vor allem das Fehlen von Alternativen könnte viele dazu bewegen, dafür zu stimmen. Viele würden auch vor einem eventuellen Streik zurückschrecken. „Es gibt in Luxemburg eben keine wirkliche Streikkultur“, so Barthel.

Wie es jetzt weitergeht? Daniel Reding, Apess: „Wir werden für nächste Woche eine Informationsversammlung für alle Lehrer einberufen, bei der wir das Resultat der Verhandlungen den Kollegen im Detail darlegen werden. Danach wird es eine Abstimmung aller Lehrer geben.“ Für Weyrich könnte die Versammlung schon Anfang nächster Woche stattfinden. „Vor den Pfingstferien wird es ein Resultat geben.“

Ob der Kompromiss steht, bleibt also noch abzuwarten. Ihn abzulehnen wäre aber zum jetzigen Zeitpunkt fatal für das Bild der Lehrerschaft. Ihm zuzustimmen würde hingegen beweisen, dass es auch den LehrerInnen um die Qualität der Schule geht und dass sie bereit sind, dafür Zugeständnisse zu machen. Letztendlich wird ja nur eine Verschiebung der Ressourcen stattfinden; eine der Hauptforderungen – keine Einsparungen im Bildungsbereich – wäre damit erfüllt. Ob es wohl ohne die harte Linie der Lehrerkomitees soweit gekommen wäre?

„Nicht unbedingt“, erklärt Jules Barthel. „Es sah zumindest kurzzeitig so aus, als ob zwei der drei Gewerkschaften einem früheren Kompromissvorschlag einigermaßen positiv gegenüberstanden …“ Dass der Vorschlag dann doch nicht angenommen wurde, sei sicherlich auch das Verdienst des Koordinationsbüros der Lehrerkomitees, das den Druck erhöht habe. Aber auch die Basis der Gewerkschaften habe ihren Teil dazu beigetragen; viele wütende Anrufe seien beispielsweise bei den Gewerkschaften eingegangen.

Xavier Bettel jedenfalls hat sich – nach der großspurigen Ankündigung vor einigen Monaten – bei seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag (siehe Thema) erfreut über die vorläufige Einigung gezeigt: „Beide Seiten haben bewiesen, dass es ihnen um die Sache geht: Um die Qualität der Schule und die Zukunftschancen der Schüler und Schülerinnen.“


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