Anders leben: Inseln der Nachhaltigkeit

Das herrschende Konsum- und Wirtschaftsmodell in Frage stellen – dazu gibt es viele Ansätze. Eine der Initiativen, die auf der Oekofoire im Rampenlicht stehen, ist Equilënster.

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Die Sonne: Als Quelle des Treibhauseffekts eine Bedrohung, als schier unerschöpfliche Energiequelle ein Segen. Lokales Handeln wie in Junglinster mag nicht reichen, um den Klimawandel zu stoppen, doch es bereitet die erforderlichen globalen Antworten vor. (Foto: Solar Dynamics Observatory / Nasa / PD)

Junglinster ist doch das Dorf, durch das man fährt, wenn man nach Echternach will? Ab jetzt nicht mehr. Vergangene Woche wurde der Contournement für den Verkehr freigegeben. Wer nun nach Junglinster will und nicht aufpasst, schießt, wie der Autor, leicht übers Ziel hinaus: Der Positionspunkt auf dem Navi schwebt plötzlich über Feld und Wiesen, und wenn man wieder auf einer erfassten Trasse landet, ist man schon unterwegs nach Graulinster. Grau? Die Fahrt sollte doch eigentlich ins Grüne gehen, genauer gesagt zum Gartenfest der Initiative Equigaart. Also wenden, gegenüber vom 2014 eröffneten „Lënster Lycée“ abbiegen und den Wagen am Fußballfeld parken. Nach ein paar hundert Metern steht man dann am Rand des Plateaus und hat einen herrlichen Blick über die Hügellandschaft und den am Waldrand gelegenen Gemeinschaftsgarten.

Die reizvolle Landschaft überrascht, wenn man Junglinster nur als Straßendorf kennt. Nicht minder erstaunlich ist, dass es in dieser eher als Schlafstadt geltenden 7.000-Einwohner-Gemeinde gleich mehrere Initiativen im Bereich Nachhaltigkeit gibt. Unter dem Namen „equiLënster“ werden mehrere von ihnen an der diesjährigen Oekofoire teilnehmen und sich so einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen.

Auf Initiative von Mouvement écologique und Nachhaltigkeitsministerium sind über 500 Quadratmeter im Zentrum der Ausstellungshallen für Unternehmungen im Zeichen von „Zesummen anescht liewen – anescht wirtschaften“ reserviert. Neben dem Junglinster-Netzwerk stellen sich ganz neue Projekte wie „Eis Epicerie Zolwer“ und die Ausleih-Plattform Dingdong vor. Die meisten Teilnehmer sind aber für Woxx-Leserinnen und -Leser alte Bekannte: die „Transition Platform“ (woxx 1312), das Repair Café (woxx 1274), die „Initiativ bedingungslost Grondakommes“ (woxx 1242), der Saatgut-Verein Seed (woxx 1216), die Wohnungsbau-Initiative Ad-hoc (siehe Seite 19), die Regionalgruppe Gemeinwohlökonomie (woxx 1294) sowie mit Life (woxx 753) eine Pionierorganisation der luxemburgischen Graswurzelbewegung.

Lokal pflanzen

Gemeinschaftsgärten helfen, den Sinn für die Interaktion mit der Natur, den Sinn für Geselligkeit wiederzuerwecken, deswegen sind sie ein wichtiger Bestandteil der Transitionbewegung. Kein Wunder, dass beim Junglinster Gartenfest auch Mitglieder der anderen Initiativen vorbeischauen. Dabei handelt es sich nicht wirklich um einen Gemeinschaftsgarten im engeren Sinn. Die einzelnen Parzellen, immerhin fünf mal zehn Meter groß, werden jeweils von einer Familie bewirtschaftet, gemeinschaftlich genutzte Beete gibt es nicht. Dafür werden die Parzellen jedes Jahr umgepflügt und neu verteilt.

„Um der Schrebergarten-Mentalität entgegenzuwirken“, präzisiert Paul Estgen, Sekretär von Equigaart. Wichtig sei, die lokale Nahrungsmittelproduktion zu fördern, unter anderem wegen der Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf den Klimawandel. „Die meisten der Nutzer haben wenig Erfahrung mit dem Gärtnern, aber sie wollen es einfach mal versuchen“, so Estgen. Deshalb werden Einführungskurse angeboten, und die derzeit etwa 20 Pächter können bei den Profis von Forum pour l’emploi, die dort auch Gemüseanbau betreiben, Hilfe anfordern.

Wir stehen neben der Scheune und blicken über den Garten, Kinder laufen umher, vorne kann man Biogetränke kaufen, weiter hinten zwischen fünf verschiedenen Suppen wählen. Direkt am Wald sind ein paar Erwachsene damit beschäftigt, Äpfel zu schälen und zu zerkleinern, wohl für das Schwesterprojekt Equibongert. „Unserer Gemeinde hat eine lange Tradition im Obstanbau“, erläutert Estgen. Es gebe viele alte Streuobstwiesen: „Als wir angefragt haben, bekamen wir viele Angebote: ‚Hëllef fir d’Natur‘, die Gemeinde, Privatleute, die sich alle nicht um die Verwertung kümmern konnten. Die Herausforderung war, Freiwillige für das Pflücken zu finden.“ Mittlerweile wird in Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen Apfelsaft, Apfelmus und Quetschekraut hergestellt und verkauft. „Mein Traum ist, nur noch lokal hergestellte Marmelade zu verbrauchen.“

Hinter solchen Ideen steht keineswegs der Wunsch, sich von der Welt abzuschotten und „wie früher“ zu leben. Die Initiativen des „Anderen Wirtschaftens“ versuchen zwar, Inseln der Nachhaltigkeit in einem Meer der Nicht-Nachhaltigkeit entstehen zu lassen. Doch diese Pioniere aus Junglinster und anderswo sind keine Exoten oder gar Sektierer, sondern Mitglieder von Umwelt- und Klimakommissionen. Und sie setzen das um, was sich aus der 1992 auf dem Erdgipfel in Rio beschlossenen „Lokalen Agenda 21“ als Forderung ergibt: lokale Produktion fördern, grüne Energie erzeugen, Importe reduzieren, Verbrauch senken.

Strohhaus in der Schlafstadt

Angefangen hat alles, als Junglinster 2008 dem Klimabündnis beitrat – mittlerweile umfasst die Vereinigung in Luxemburg 37 von 105 Gemeinden. „Die Gemeinde hat sich dagegen entschieden, eine Kommission einzusetzen, um den Klimaschutz lokal voranzubringen“, erinnert sich Paul Estgen. Mike Hagen, Erster Schöffe, pflichtet ihm bei: „Wir wollten nichts Formelles. Für die Umsetzung der Ziele des Klimabündnisses haben wir deshalb Equiclic als Asbl gegründet. Es ging darum, die Bürger einzubinden.“ Wichtig sei in der Folge gewesen, dass die Gemeindeführung ein offenes Ohr für die Vorschläge von Equiclic hatte. „Wir hatten Mitglieder aus fast allen Parteien“, versichert Estgen, der selber parteilos ist. Hagen, Präsident von Equigaart, ist Sozialist; der bei dem Gespräch nicht anwesende CSV-Gemeinderat Jean Boden ist ebenfalls an den Equiclic-Projekten beteiligt.

Passend zu dem leicht bewölkten, aber noch angenehm warmen Herbstnachmittag halten Estgen und Hagen eine Bierflasche in der Hand. Eine Bio-Marke, die ich noch nie gesehen habe: „Riedenburger Dolden Sommer Sud“. Die grüne Gemeinderätin und Präsidentin von Equiclic, Irène Schmitt, steht mit einer Teetasse daneben, schwärmt vom ersten „großen“ Projekt, dem Strohhaus auf dem Schiltzbierg, mit dem die Verwendungsmöglichkeiten lokaler Baumaterialien demonstriert werden sollte. Ob weitere Häuser geplant seien? Herzliches Lachen. „Ein Strohhaus als neue Kita“, regt Estgen an. „Für die Bäckerei“, meint Hagen. Und Schmitt: „Ein Jugendhaus!“

Als „besonders bürgernah“ lobt die Equiclic-Präsidentin den Equiosk – einen Getränkekiosk in der Dorfmitte, der im Sommer bei gutem Wetter jeden Nachmittag von Ehrenamtlichen betrieben wird. Und damit einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt leistet und Geld für das Nord-Süd-Projekt der Gemeinde in Togo einbringt. Spricht man nicht immer nur die gleichen Personen an? „Bei jedem unserer Projekte kommen neue Leute hinzu“, versichert Estgen. Und die Ausländer? Anders als bei Transition Minett oder bei den hauptstädtischen Gemeinschaftsgärten scheint hier alles auf Luxemburgisch zu laufen. „Es hängt vom Projekt ab“, so der Sekretär von Equiclic, „bei Thema Bäckerei ist Französisch die Arbeitssprache.“

In der Tat, als ich später mit meinem Suppenteller zum weiter unten gelegenen Bierzelt spaziere, höre ich um mich herum kein Luxemburgisch mehr – die meisten reden Französisch, zum Teil mit luxemburgischem Akzent, zwei Frauen unterhalten sich auf Englisch, eine Mutter redet auf Deutsch auf ihr Kind ein. Junglinster ist eine Einwanderungsgemeinde, auch wenn der Ausländeranteil mit einem Drittel unter dem Landesdurchschnitt liegt. Auffallend an den Bevölkerungszahlen ist auch, dass relativ wenige Portugiesen und Italiener hier wohnen, dafür aber überdurchschnittlich viele Briten und Niederländer. Die wirtschaftlichen Aktivitäten um die Sendeanlagen des „Broadcasting Center Europe“ der CLT in Junglinster und Beidweiler dürften diese Bevölkerungszusammensetzung mit beeinflusst haben.

Technik ist nicht alles

Eine Bevölkerungszusammensetzung, die wohl auch zur Erfolgsgeschichte der „Equienercoop“ beigetragen hat, der lokalen Energie-Genossenschaft. „Wir sind eine Gruppe von Leuten, die wissen, wie man so etwas angeht“, rühmt Jules Muller die Vorgehensweise beim Businessplan. Ich habe ihn auf dem Hinweg getroffen; vom Hügel aus überblicken wir die Cité gegenüber mit ihren thermischen Solaranlagen. Die Fotovoltaikanlagen der Equienercoop kann er mir von hier aus nicht zeigen: Anlagen mit 55 Kilowatt befinden sich auf dem Dépôt communal in Junglinster, mit 90 Kilowatt auf den neuen Schulgebäuden in Gonderingen.

Erntefest bei Equigaart. Das alternative Junglinster feiert mit Suppe, Saft und Sonne. (Foto: Raymond Klein)

Erntefest bei Equigaart. Das alternative Junglinster feiert mit Suppe, Saft und Sonne. (Foto: Raymond Klein)

Der hauptberufliche Ingenieur erzählt, wie die Standorte ausgewählt wurden und das Projekt noch 2012 fertiggestellt werden musste, um von den günstigen Förderbedingungen zu profitieren. Für die Vorfinanzierung wurde den Einwohnern der Erwerb von Anteilen angeboten – mit unerwartetem Erfolg: „Binnen zwei Monaten hatten wir über 300.000 Euro zusammen. Wir hätten viel größere Anlagen finanzieren können.“ Die Kooperative hat mittlerweile 140 Mitglieder.

Ob ein weiteres Projekt geplant sei? Muller spricht von der neuen Sporthalle, verweist aber auf die noch immer unzureichende Förderung, vor allem angesichts der Kosten für den Anschluss an das Stromnetz. Und plädiert für eine andere Idee zum Nutzen der Nachhaltigkeit: Den Strom von kleinen Anlagen solle man gleich für den Eigenbedarf nutzen, statt ihn einzuspeisen. „Damit kann man zwar nicht den Reibach machen wie der da unten.“ Er zeigt auf ein Hausdach, das ganz von Solarpanels bedeckt ist. Aber, so die Hoffnung des Ingenieurs, alle die Hausbesitzer, die derzeit nur ein paar Quadratmeter für ihre Warmwasseranlage nutzen, könnten mit dem Rest des Dachs bis zur Hälfte ihres Strombedarfs erzeugen. Das lohne sich wirtschaftlich gesehen, und man vermeide die Komplikationen, die derzeit bei der Einspeisung von Solarstrom entstehen. Ich verweise auf die problematische Ökobilanz der dafür benötigten Batterien. Muller hält an seinem Vorschlag fest, räumt aber ein: „Als Ingenieur weiß ich: Nichts ist wirklich einfach bei solchen Fragen.“

Wieviel können technische Lösungen bewirken? Wo ist eine Umstrukturierung erforderlich? Und inwiefern ist eine Veränderung des Konsumverhaltens unabdingbar? Mit theoretischen Fragen wie diesen beschäftigen sich die Junglinster Initiativen nur begrenzt. „Equiclic ist eine Art Ideenwerkstatt für die anderen Strukturen“, erklärt Paul Estgen. Und fragt sich, ob es den Equi-Gärtnern nicht eher darum gehe, Gemüse zu ernten, als die Welt zu verbessern. „Die am Equiosk Beteiligten werden für unsere Themen sensibilisiert“, mutmaßt Irène Schmitt, „aber die wenigsten identifizieren sich so richtig mit den Nachhaltigkeitszielen.“ Gewiss, es werden Konferenzen organisiert, auch ein Film über Transition Towns wurde gezeigt. Aber: „Das Theoretische zieht nicht so viele Leute an“, stellt Schmitt fest.

Richtige Brötchen backen

Das ist bei den Anhängern der Transition Town häufig anders. Die diskutieren Fragen wie die nach den Konsumgewohnheiten: Man kann „besser“ konsumieren – zum Beispiel, indem man nur noch Biofleisch isst. Die ganze Oekofoire ist ja eigentlich immer noch eine Besser-Konsumieren-Veranstaltung. Man kann auch anders konsumieren – indem man ganz auf Fleisch verzichtet – oder aber einfach weniger. Nicht, indem man hungert, sondern indem man auch als Vegetarier auf mit künstlicher Bewässerung erzeugte Tomaten verzichtet. Und doch: Mitten im Mainstream des falschen Lebens stößt man beim Versuch, gegen den Strom zu schwimmen und richtig zu leben, immer wieder an die Grenzen des Machbaren.

Wie nachhaltig kann eine Gemeinde wie Junglinster überhaupt werden? Zum Gartenfest waren, trotz der Empfehlung auf der Einladung, nicht alle zu Fuß gekommen. Fünfzehn Autos parkten am Wegrand – sicher nicht alle, weil sie Suppenkessel oder Biobierkästen transportieren mussten. Geht man davon aus, dass irgendwann jeder seinen Verbrennungsmotor gegen einen solarstromgetriebenen Elektromotor austauscht, dann ist das kein Problem. Nimmt man dagegen an, dass sich die Menschheit den motorisierten Individualverkehr bald nicht mehr leisten kann, dann stellt sich das Problem ganz anders: Wie sollen die Einwohner der Gemeinde Junglinster zu ihren Arbeitsplätzen kommen ohne Bahnanbindung und mit einer Siedlungsstruktur, die ganz im Zeichen des Autos steht. Stichwort Postwachstums-Ökonomie (siehe Seite 10): Wie werden die Einwohner reagieren, wenn ihre Mittelschicht-Konsumstandards in Frage gestellt werden, einschließlich der Biotomaten und des ökologisch gebrauten Flaschenbiers?

Neue Wege ausprobieren, um besser vorbereitet zu sein, das ist die Grundidee der Transition-Bewegung. In Luxemburg entwickeln diese Initiativen ein schärferes Bewusstsein für die anstehenden Herausforderungen, doch fehlt es ihnen oft an der Verwurzelung in der Bevölkerung. Bei den Junglinster Projekten tritt umgekehrt die Theorie in den Hintergrund, doch unter der scheinbaren Angepasstheit glimmen subversive Ideen.

Die jüngste Initiative heißt Equibrout und ist eigentlich die Antwort auf ein Mittelschichtskonsum-Problem: Es gibt im Dorf keinen Bäcker mehr, bei dem man frisches Brot und Gebäck kaufen kann. Statt auf Gefrierbrot umzustellen oder per Auto auf Brötchenkauf zu gehen, kam man auf die Idee, wie im Energiebereich selbst die Initiative zu ergreifen. Wie und mit welchem Ziel man eine kooperative Bäckerei gründen könnte, wurde diskutiert – es gab einen Konsens, regionale Produkte und traditionelle Rezepte zu verwenden.

Das Kapital zusammenzubekommen, dürfte nicht so schwierig werden, den richtigen Bäcker zu finden schon eher. Sorgen bereitet vor allem die Frage des Lokals – in schnell wachsenden Gemeinden mit steigenden Immobilienpreisen immer eine Herausforderung. Paul Estgen könnte sich vorstellen, in einer ersten Phase eine Verkaufsstelle für anderswo hergestelltes frisches Brot einzurichten. Mike Hagen ist anderer Meinung: „Es ist wichtig, dass die Menschen zusehen können, dass sie das Gefühl haben, dieses Brot ist etwas Besonderes.“ Eigentlich findet Estgen das auch. Und, vor allem: „Mit diesem Projekt können die Beteiligten erleben, dass man als Bürger die Dinge selbst in die Hand nehmen kann.“

 www.equiclic.lu


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