Arbeitszeitverkürzung
: Klassenkampf in Gambia


Man solle über Arbeitszeitverkürzung nachdenken, schlug Wirtschaftsminister Schneider kürzlich vor. Auf keinen Fall! lautete die klare Antwort des Staatsministers. Alles nur Wahl
kampfshow oder die Rückkehr eines zentralen sozialen Konflikts in die Regierung?

Ein Pyrrhussieg? In Frankreich ist nach Erkämpfung der 35-Stunden-Woche dennoch eine Wochenarbeitszeit von – je nach Statistik – 37 bis 40 Stunden die Regel. (Foto: Internet)

Wirtschaftsminister Etienne Schneider möchte künftigen Produktivitätszuwachs nicht nur als Profit in die Hände der Unternehmer wandern sehen. Das sagte er beim Neujahrsempfang der LSAP Anfang Januar, wo er auch über die Folgen der Digitalisierung sprach. Entweder müsse den Werktätigen mehr Lohn ausbezahlt werden, oder die Arbeitszeit gehöre verkürzt.

Schneider berief sich damit auf die proletarische Basisformel im Arbeitskampf, „mehr Lohn, weniger Arbeit“. Die Unternehmerverbände reagierten prompt. Es sei unverständlich, warum Schneider jetzt mit diesem Thema daherkomme, sagte Jean-Jacques Rommes auf Radio 100,7. „Warum sollte man die 40-Stunden-Woche antasten, wo das doch keinerlei Mehrwert bringt?“, so der Generaldirektor des Unternehmverbandes UEL. „Wir brauchen eine globale Diskussion über die Arbeitszeit in einer digitalisierten Welt. Aber ich würde es vorziehen, wenn sich Herr Schneider eher an Silicon Valley inspirieren würde, als den Luxemburger Unternehmern die Ideen des OGBL aufzuzwingen.“

Mit anderen Worten: Über eine Re-Organisation der Arbeitszeit nachdenken im Zuge der Digitalisierung und Robotisierung der Arbeitswelt möchte Rommes zu gegebener Zeit schon. Doch nicht etwa aus der Perspektive der Arbeitnehmer, die der OGBL vertritt. Nach dem Vorbild von Silicon Valley geht es Rommes vielmehr darum, die zunehmend überflüssig werdende menschliche Arbeitskraft möglichst effektiv und kostensparend einzusetzen; nur dann, wenn man sie wirklich braucht.

In der vergangenen Woche beeilte sich der liberale Staatsminister Xavier Bettel denn auch auf dem Neujahrsempfang des Unternehmerverbandes Fedil, die Ideen seines sozialdemokratischen Regierungskollegen vom Tisch zu wischen. Dasselbe hatte zuvor auch Bettels Parteikollegin, Familienministerin Corinne Cahen getan.

Die Gewerkschaften hielten sich zunächst mit Kommentaren auffallend zurück. Doch ganz so schnell, wie Bettel, Rommes und Co. sich das vielleicht wünschen, ist das Thema möglicherweise trotzdem nicht abgetan. Denn es findet auch verhaltene Resonanz unter Mitgliedern des Parlaments.

Sozialdemokratie unter Druck

Die europäische Sozialdemokratie sei durch die gesellschaftliche Dynamik erheblich unter Druck und „dabei, sich ernsthafte Fragen zu stellen“, kommentiert Marc Baum, Abgeordneter von Déi Lénk, Schneiders Vorstoß. „Das sieht man auch an Benoît Hamon in Frankreich, der eine 32-Stunden-Woche fordert, also eine noch wesentlichere Arbeitszeitverkürzung als die bislang geltende 35-Stunden-Woche“, sagt Baum.

Also doch mehr als bloßes Wahlkampfgeplänkel angesichts der dieses Jahr anstehenden Gemeindewahl? Eher nicht, vermutet Michel di Felice von der Arbeitnehmerkammer CSL, der den Wirtschaftsminister für wenig glaubwürdig hält: „Schneider muss sich ab und zu mit sozialen Äußerungen hervortun, um seine Daseinsberechtigung in der sozialdemokratischen Partei nicht vollständig zu verlieren.“

Indes steht Arbeitsminister Nicolas Schmit seinem Parteikollegen Schneider nachdrücklich bei. „Prinzipiell bin ich mit dem, was er gesagt hat, einverstanden“. so Schmit gegenüber der woxx. Es gehe jedoch nicht nur um Arbeitszeitverkürzung. „Es geht auch um die Organisation der Arbeit und die Flexibilisierung der Arbeitszeit.“ Beides könne nicht allein zu Lasten der Arbeitnehmer gehen, daher sei „Zeitsouveränität auch die wichtigste Frage, die man absolut nicht ausklammern darf“.

Mit Zeitsouveränität meint Schmit die Frage, wer über den jeweiligen Zeitpunkt und Zeitraum der zu verausgabenden Arbeitskraft entscheiden darf. Nach Schmits Vorstellungen soll diese „Souveränität“ zwischen Belegschaft und Unternehmern ausgehandelt, verteilt und tarifvertraglich festgelegt werden.

In der klassischen Staatslehre jedoch ist Souveränität unteilbar. Und das scheint auch die Haltung der Unternehmerverbände zu sein. Schmit sagt jedoch, dass er, wie schon beim Gesetz zur Arbeitsorganisation, den Unternehmern Paroli bieten will: „Sowohl wir als auch die Gewerkschaften haben anerkannt, dass die Betriebe für die Arbeitsorganisation Flexibilität benötigen.“ Doch, so Schmit, man müsse den Unternehmern auch Grenzen setzen, „sonst wird das zu Missbrauch führen“: „Am Ende hat man dann Leute, die überfordert und krank sind, Burnout haben, an Stress leiden, und die Produktivität wird dadurch nicht gefördert, sondern abgeschwächt.“

Kampf um Zeitsouveränität

Von einer gesetzlich verankerten allgemeinen Reduzierung der Arbeitszeit nach französischem Vorbild will Schmit nichts wissen: „Wenn wir heute sagen würden, ab jetzt wird nur noch 32 Stunden pro Woche gearbeitet, wie würden wir dann in den Krankenhäusern die Pfleger finden, um die Arbeitszeitreduzierung aufzufangen? In vielen Sektoren hätten wir gar nicht das erforderliche Personal.“

(© Wikipedia)

Für Schmit ist die Abkehr von einer generellen Regel eine unabdingbare Lehre aus den Fehlern, die in Frankreich begangen worden sind. Dort ist „man pauschal auf 35 Stunden gegangen, hat den Arbeitskraftverlust jedoch in vielen Bereichen aus Kostengründen nicht durch die Neuschaffung von Arbeitsplätzen aufgefangen“. Die Folgen: personelle Überbelastung und der Verfall der Qualität.

In der Tat lässt sich zwar die maximale Arbeitszeit, nicht jedoch die Zahl der Beschäftigten in einem Privatunternehmen gesetzlich vorschreiben. Das erklärt, warum nach einer Aufweichung der 35-Stunden-Woche in Frankreich inzwischen eine Wochenarbeitszeit von – je nach Statistik – 37 bis 40 Stunden wieder die Regel ist.

Doch wer wie Schmit auf die tarifvertragliche Regelung des Konflikts hofft, dem wird der Standard in Deutschland eine Warnung sein. Hier wird im Schnitt, ähnlich wie in Luxemburg, um die 41 Stunden pro Woche gearbeitet. Von einem „Kurs auf die Dreißigstundenwoche“ (woxx 1403/04) ist man also weit entfernt. Jenseits der Mosel gelten 30 Stunden in etwa als tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit, wenn man Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte in die Rechnung mit einbezieht.

In solcher Deregulierung der Arbeit mittels der Schaffung neuer Unternehmensformen wie dem umstrittenen Dienstleister „Uber“ erkennt Marc Baum ein weiteres Problem: „Das stellt ja quasi auch eine Arbeitszeitreduzierung dar, indem man gar keine klassischen Arbeitsverträge mehr in Aussicht stellt. Das unterläuft dann auch die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen.“

Déi Gréng lehnen eine generelle Arbeitszeitverkürzung nach den Worten von Parteipräsident Christian Kmiotek ab, und finden wie Schmit, dass das vorläufig branchen- und sektorenabhängig „von den Sozialpartnern“ zu vereinbaren sei. Darüber hinaus sehe man Arbeitszeitverkürzung aber schon als Ziel, und wenn eine Branche damit beginne, werde der „Druck auf die anderen erhöht“.

Damit deutet er an, dass auch hinter dem vermeintlich so friedlichen Luxemburger Modell ein soziales Kräfteverhältnis steht, das sich verändern kann. Marc Baum sieht Linke und Gewerkschaften da derzeit im Aufwind: „Die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen haben ja in den letzten dreißig Jahren nur Defensivkämpfe führen können. Doch das ändert sich gerade.“ Für Baum stellt die Digitalisierung eine gesellschaftliche Herausforderung dar, innerhalb der „linke und gewerkschaftliche Positionen zur Arbeitszeitverkürzung wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen“.


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