Autofestival, VW-Skandal, Mobilitäts-Utopien: Wo mitfahren?


Das diesjährige Autofestival ist von Misstrauen gegenüber Herstellerangaben geprägt. Und soll man trotz niedriger Spritpreise ein Elektroauto kaufen? Antworten und noch mehr Fragen.

VW-Tuning mal anders. Charmantes Volkswagenmodell Dune Buggy bei der Pantowner‘s Car Show 2012. (Greg Gjerdingen / Wikimedia / CC-BY 2.0)

VW-Tuning mal anders. Charmantes Volkswagenmodell Dune Buggy bei der Pantowner‘s Car Show 2012. (Greg Gjerdingen / Wikimedia / CC-BY 2.0)

Was schenk‘ ich mir zum Autofestival? Erzürnt über die Diesel-Mogelei von VW habe ich mich bei den Elektroautos umgesehen. Doch für die gibt’s keine Prämien mehr – und kaum Ladestationen. Dem Klimaschutz zuliebe habe ich es mit Bahn und Bus versucht. Vielleicht war’s der falsche Zeitpunkt – jedenfalls haben die Verspätungen durch Wetterbedingungen und Baustellen mein Umweltbewusstsein untergraben. Und natürlich der verlockend niedrige Spritpreis.

Da wäre es an der Zeit, es mal mit einem Benziner zu versuchen. Die neuesten Modelle mit Direkteinspritzung sind besonders verbrauchseffizient – und blasen besonders feine und gefährliche Partikel in die Luft. Bis es dafür Filter gibt, könnte ich ja aufs Carsharing umsteigen. Der neue Dienstleister namens Carloh bietet zwei Modelle an … Dieselautos von Opel und VW. Was also schenk‘ ich mir zum Autofestival? Kopfschmerzen …

Bann für Betrüger

„Entweder werden Diesel-PKW aus den Städten verbannt, oder man macht sie sauber.“ Im Interview mit der Deutschen Welle spricht sich Axel Friedrich für hartes Durchgreifen aus. Für den – bei Autofreaks verhassten – deutschen Abgasexperten ist der VW-Skandal eine Art später Triumph. Nachdem er die „Betrugsaffäre mit unwirksamen Dieselpartikelfiltern“ (Stern) aufgedeckt hatte, war er 2007 von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel diskret versetzt worden. Als unabhängiger Umweltexperte wird er am 27. Januar ab 18h15 auf Einladung von Oekotopten im Oekozenter Pafendall einen Vortrag halten. Das Thema: „Lehren ziehen aus der Manipulation von Abgaswerten bei Autos. Politik, Automobilbranche und VerbraucherInnen sind gefordert!“

Aus den Städten verbannt? Dabei ist für Dieselautos gerade erst die besonders strenge Euro-6-Abgasnorm in Kraft getreten. Das Problem: Die Unterschiede zwischen den beim Norm-Prüfverfahren gemessenen und den realen Emissionen sind im vergangenen Jahrzehnt immer größer geworden. Anders gesagt, die Hersteller haben Digitaltechnik eingesetzt, um ihre Motoren für den Testlauf zu optimieren. Oder gar, wie VW, einen speziellen Betriebsmodus für den Abgas-Testlauf ausgetüftelt, der nur da zum Einsatz kommt. Friedrich fordert, dass die Hersteller ihre Euro-6-Modelle so nachbessern, dass sie die Norm auch im Realbetrieb einhalten. Die EU-Kommission hatte als Reaktion auf den VW-Skandal verlangt, dass endlich die von der Autolobby bekämpften Praxistests angewendet werden. Und dass dabei der Norm-Grenzwert bis 2017 nur noch um 60 Prozent und ab 2020 um 20 Prozent überschritten werden darf.

Der Diesel-Fluch

Doch Skandal hin oder her, die Lobbies schafften es, eine ausreichende Anzahl von Regierungen für ihre Interessen einzuspannen. Ende Oktober wurde der Kommissionsvorschlag aufgeweicht: 110 Prozent Überschreitung nach 2017, 50 Prozent nach 2020. Während bei Geschwindigkeitsüberschreitungen schon fünf Prozent genügen, um einen zum Verkehrssünder zu machen, wird den Abgassündern eine zehnmal so große Toleranz gewährt. Und wie das Rasen, so tötet auch die Luftverschmutzung. Friedrich nennt eine Zahl von jährlich 430.000 vorzeitigen Todesfällen in der EU und fragt: „Können wir das hinnehmen?

Die Antwort: Offensichtlich! Denn die Dieselabgase – Stickoxide und Feinstaubpartikel – machen kaum jemandem wirkliches Kopfzerbrechen. Wie sonst wäre zu erklären, dass die wenigsten Länder in Europa die Grenzwerte für Luftverschmutzung einhalten und trotzdem den Dieselsprit steuerlich begünstigen. In Luxemburg wird seit Jahrzehnten eine Dumpingpolitik in Sachen Kraftstoffsteuer betrieben, die zum Vielfahren und damit zur Bevorzugung von Dieselmodellen verleitet. Eine Umweltzone im Zentrum der Hauptstadt, aus der Autos unter einer bestimmten Emissionsnorm verbannt würden, gibt es trotz schlechter Luftqualität immer noch nicht. Und die von der Gemeinde Luxemburg ins Leben gerufene Carsharing-Firma Carloh entschied sich – aus technischen Gründen – für Wagen mit Dieselantrieb (woxx 1340).

Unverständlich? Der unabhängige luxemburgische Experte Michel Cames sieht einen Grund für den Dieselwahn in dem Bestreben der europäischen Ölindustrie, dem Einbruch bei den Heizölverkäufen nach 1980 entgegenzuwirken. Später habe man die steuerliche Bevorzugung zusätzlich mit dem Kimaschutz gerechtfertigt – Diesel hat einen höheren Wirkungsgrad, und seine Herstellung ist im Prinzip weniger aufwendig. Die woxx hatte sich bereits 2013 mit Cames unterhalten, als dieser an der Studie „Critical evaluation of the European diesel car boom“ arbeitete.

Der Experte bedauert, dass wegen der Konzentration auf die Dieselmotortechnik weniger in die Erforschung anderer Antriebsarten investiert wurde, insbesondere in die Hybridtechnologie, die in Japan schon weit vorangetrieben worden ist. Heute produzieren die europäischen Raffinerien zu viel Benzin und zu wenig Diesel – aus Rohöl werden nämlich beide Kraftstoffe in einem mehr oder weniger vorgegebenen Verhältnis gewonnen. Dieses Missverhältnis wird durch eine Manipulation des Produktionsprozesses und durch Importe aus den USA ausgeglichen, was die klimapolitischen Vorteile des Diesel wiederum relativiert. Was Cames vor allem ärgert: „Unter schadstoffarm verstehen viele einen niedrigen CO2-Ausstoß.“ Die mit dem Diesel-Boom angestiegene Luftverschmutzung werde dabei vergessen.

Oekotopten vollelektrisch

1355stoosWird 2016 das Jahr der Abkehr vom Diesel? Bei Gelegenheit der vergangenen Autofestivals hatte die woxx immer wieder die „dieselfreundliche“ Zusammensetzung der luxemburgischen Oekotopten-Listen bemängelt. Diese Ausrichtung war unter anderem eine Folge der Entscheidung der Oekotopten, das direkt emittierte CO2 viel stärker zu gewichten als andere Umweltfaktoren, wie etwa das bei der Herstellung anfallende CO2, Stickoxide, Feinstaub oder den Fahrlärm. Mittlerweile hat sich das Bild bei den Oekotopten-Listen stark verändert. Auf den bis Redaktionsschluss einsehbaren Dokumenten fanden sich viele Dieselmodelle, kaum Benziner und kein einziges Erdgasauto. Doch scheint jetzt der Siegeszug von Elektro- und Hybridantrieb zu beginnen.

Während das Oekotopten-Team im Vorfeld des Festivals noch an den endgültigen Listen arbeitete, hat es die neue Fassung des Ratgebers zum Autokauf bereits veröffentlicht. Die steht „im Zeichen des Abgasskandals“ und erläutert den technischen und politischen Kontext des „VWgate“. Folgerichtig werden die Autokäufer aufgefordert, „Benzin-Modellen den Vorzug vor Diesel zu geben“. Leider wird dabei nicht auf die Problematik der neuen Benzinmotoren mit Direkteinspritzung hingewiesen, deren Feinstaub-Ausstoß erst in über einem Jahr durch eine EU-Norm angemessen begrenzt wird. Axel Friedrich vermutet sogar, dass es bei diesen Modellen, ähnlich wie bei den VW-Dieseln, auch zu Mogeleien gekommen ist: „Diese Motortechnik kommt dem Prinzip des Diesels näher, und damit werden auch die Probleme der Abgasreinigung ähnlich.“

Das Ende der Auto-Umweltliste?

In der Kompaktklasse empfiehlt Oekotopten Hybridautos, vergisst dabei aber nicht Alternativen, die noch umweltverträglicher sind: Man könne den alten Wagen ja noch behalten und auf zu erwartende „sauberere Motoren, praxisnähere Tests und somit ehrlichere Daten“ spekulieren. Oder auf eins von den Pedelecs umsteigen – für die es ebenfalls Oekotopten-Listen gibt und die – hoffentlich – bald von der Vignetten-Pflicht befreit werden.

Weniger überzeugend ist allerdings Oekotoptens uneingeschränkt positive Bewertung der Elektroautos: „[Sie] sind sicherlich die ökologischste Wahl. Sie emittieren, mit dem aktuellen Strommix aller luxemburgischen Stromanbieter, kein CO2.“ Das stimmt jedoch nur, wenn man sich auf die direkten Emissionen beschränkt. Man könnte aber bei Strom, der aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird, auch das bei der Herstellung der Windräder und Solarpanel angefallene CO2 einrechnen. Hinzu kommt, dass die luxemburgischen Stromanbieter zwar eine als grün zertifizierte Strommenge liefern, diese aber nicht unbedingt zeitgleich von grünen Anlagen eingespeist wird (woxx 1128). Und nicht zuletzt ist die – für die Herstellung aufgewendete – „graue Energie“ bei Elektrofahrzeugen besonders hoch. Oekotopten führt diesen Faktor bei den Hybridmodellen an, nicht aber bei den – aufgrund der größeren Batterie noch problematischeren – reinen Elektrofahrzeugen. Daraus ergibt sich nicht, dass Elektroautos abzulehnen wären, nur, dass sie nicht so „ökologisch“ sind, wie sie scheinen.

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Der um den Individualverkehr entstandene Lebensstil soll mittels Elektroantrieb aufrechterhalten werden. Werbung von 1958 für den Kleinwagen NSU Prinz. (Helmuth Ellgaard / CC-BY-SA 3.0)

Auf der von der woxx alljährlich ebenfalls herangezogenen Auto-Umweltliste des alternativen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) genießen die E-Cars (und die Plug-in-Hybride) immer noch eine Sonderbehandlung. Diese Antriebsart sei derzeit nicht mit den Verbrennungsmotoren zu vergleichen – wegen der Datenlage, die, sowohl was Verbrauch und indirekte Emissionen als auch die Ökobilanz von der Herstellung bis zur Entsorgung angeht, als unsicher betrachtet werden muss. Was sachlich überzeugt, ist für potenzielle Autokäufer dennoch ärgerlich. Zwar kann man einer gesonderten Elektroauto-Liste entnehmen, dass – auf den deutschen Strommix bezogen – der sportliche Tesla 103 Gramm CO2 pro 100 Kilometer erzeugt, der Renault Twizy 45 dagegen nur 33 Gramm. Doch wer zwischen einem der neuen Plug-in-Hybridmodelle und einem Hybriden ohne Steckeranschluss wählen will, bleibt ratlos zurück.

Die im vergangenen August veröffentlichte Liste der „Verbrenner“ wird angeführt von einem Hybriden, danach kommen Dieselmodelle und Erdgasautos. Doch die Aussagekraft dieser Bewertung hat sich durch den in der Zwischenzeit aufgeflogenen Betrug stark relativiert. Zwar belegt nur in der Kategorie Vans ein VW-Diesel einen Spitzenplatz, doch ist gegenüber den offiziellen Abgaswerten Misstrauen angebracht. Wie andere Ersteller solcher Listen hat der VCD stets die Abgaswerte der Hersteller übernommen, wohlwissend, dass die realen Werte höher liegen. Doch ging man davon aus, dass alle Norm-Messungen eine ähnliche Abweichung zeigen, also untereinander vergleichbar sind. Seit man weiß, dass zumindest der VW-Konzern Mogel-Software eingesetzt hat, sind die Ergebnisse dieser Messungen unbrauchbar.

„Wenn Sie sich auf Basis der jüngsten VCD-Auto-Umweltliste für den Kauf eines Neuwagens aus dem VW-Konzern entschieden haben und jetzt zu den Geschädigten gehören, dann tut uns dies sehr leid“, entschuldigt sich der VCD. Und unterstreicht: „Auch wir wurden betrogen.“ Ob es in diesem Jahr eine Auto-Umweltliste geben wird, sei noch unklar. Vorher müsse sichergestellt werden, „dass ehrliche und nachvollziehbare Daten erhoben und veröffentlicht werden“.

E-Car-Alptraum

Ob der Ärger über den Betrug dazu führt, dass die Luxemburger massiv auf Elektroautos umsteigen? Immerhin hält die Regierung offiziell am Ziel von 40.000 E-Cars für 2020 fest – derzeit dürften es etwa 1.000 sein. Wird die wohlwollende Bewertung seitens Oekotopten die Abschaffung der „Car-e“-Prämie wettmachen? Angesichts der geringen Autonomie der Elektrofahrzeuge ist das Thema „Tanken“ besonders kritisch. Wer keine Garage mit Stromanschluss besitzt, für den kommt ein E-Car kaum in Frage – daran ändern auch die 800 versprochenen Ladestationen nichts. Wer dagegen mit den Einschränkungen zurecht kommt, für den ist ein Elektroauto, kombiniert mit der Nutzung von Carsharing für längere Strecken, wohl die umweltschonendere Option.

Ein weiterer Grund, der Elektromobilität skeptisch gegenüber zu stehen, ist das, was Industrie und Autofreaks in diese Technologie hineinprojizieren. „[Der Verbrennungsmotor] mag strengere Abgasnormen einhalten können, doch führt dies zu einem öden Fahrgefühl“, prognostiziert Michiel Langezaal, Gründer von Fastned, dem Betreiber eines Netzes von Schnellladestationen in den Niederlanden. Für ihn ist es das Elektroauto, das die „Freude am Fahren“ rehabilitiert: „Schnelles Beschleunigen, keine schädlichen Abgase, dreimal energieeffizienter und mit purem Sonnenlicht anzutreiben.“ Mit anderen Worten, der um den Individualverkehr entstandene Lebensstil soll mittels Elektroantrieb aufrechterhalten werden. Langezaal vergleicht die Verbrennungsmotoren mit dem Zigarettenrauchen und freut sich, dass die todbringenden Abgase eines Tages aus den Städten verschwinden werden. An die Verkehrstoten, Opfer von alter und neuer Antriebstechnik gleichermaßen, verschwendet er keinen Gedanken.

Gewiss, auch die Verkehrssicherheit kann von neuer Technologie profitieren. Die Autoindustrie befinde sich in einem „Spagat zwischen Technik für mehr Sicherheit und dem Spaß am Rasen“, schrieb der VCD zur Internationalen Automobil-Ausstellung im September, bei der das vernetzte Auto und das „autonome Fahren“ im Mittelpunkt standen. Der Verkehrsclub befürchtet, „dass die Digitalisierung mehr dazu genutzt wird, lediglich den Komfort zu erhöhen, statt konsequent auf mehr Sicherheit zu setzen.“

Auch der technophile Verkehrsminister François Bausch schwärmte bei der offiziellen Vorstellung des Autofestivals von einem technologischen Umbruch, nachdem er versucht hatte, die Bedenken der Autohändler in Sachen Dienstwagen-Besteuerung zu zerstreuen (woxx 1354). „Das selbstfahrende Auto wird das Mobilitätsdenken endgültig revolutionieren.“ Dass, wie der Minister versicherte, der Individualverkehr hierdurch einen noch größeren Stellenwert bekommen wird, ist allerdings zweifelhaft. Denn selbstfahrende Autos sind eine Absage an die „Freude am Fahren“ – anders als das „Autonome Fahren“ – bei dem die Technik den Fahrer nur bei unangenehmen Manövern wie dem Einparken bevormundet. Verwandelt sich das Auto vom „Objekt der Begierde“ zum reinen Medium einer „Mobilitäts-Dienstleistung“, wie es Bausch vorschwebt, dann wird das Fahrerlebnis des „Individualverkehrs“ künftig eine Mischung von Taxifahren, Schnellzug (auf Autobahnen) und Pferdekutsche (innerorts) sein. Beschleunigen, Überholen und Anhupen entfallen dabei leider. Und Ministerreden zu Autofestivals wird es ebenfalls keine mehr geben.

www.oekotopten.lu

www.vcd.org

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