Biografische Ausstellung: Wikipedianische Unterhaltung für 
regnerische Nachmittage


Unter dem Titel „Thierry! D’Expo“ präsentiert das Centre national de l’audiovisuel (CNA) in Düdelingen eine monografische Ausstellung über den Luxemburger Sänger und Schauspieler Thierry van Werveke (1958-2009).

Der Plot der Ausstellung trägt die Merkmale eines Melodramas: Held aus gutem Haus gerät im jugendlichen Alter auf die schiefe Bahn. Musik und darstellende Kunst sowie Förderer, die seine Talente erkannt haben, helfen ihm, bedingt im Leben Fuß zu fassen. Ein Schutzengel in Form einer verständnisvollen Ehefrau führt ihn schließlich zurück in die (klein)bürgerliche Ordnung. Die Drogenexzesse des früheren Lebens sowie der beständige Alkoholkonsum, auf den der Held nicht verzichten mag, fordern ihren Tribut. 50-jährig stirbt er auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens.

Ausstellungsräume, die wichtigen Lebensstationen von der Kindheit bis zum Tode gewidmet sind, sowie ein Ausstellungskino beleuchten die Biografie van Wervekes vor allem aus der Sicht seiner Wegbegleiter*innen und entwerfen das Porträt eines einzigartigen, künstlerischen Phänomens. Getragen wird dieses Bild von trivialen Raumtexten, die unter anderem den Drogenabsturz des „sensiblen“ van Werveke (Ausstellungstext) durch die Scheidung seiner Eltern erklären. Die Erzählung der Schau ist durch und durch getränkt von bürgerlichen Moralvorstellungen. Insbesondere die Rückkehr in das Biedere bei gleichzeitiger Beibehaltung des „Enfant Terrible“-Images bietet so dem Teil des über 50-jährigen Luxemburger Establishments, dem „Thierry“ noch ein Begriff ist, einen Weg, um die eigene mehr oder weniger wilde Vergangenheit mit anschließender gesellschaftlicher Domestizierung zu verarbeiten und zu idealisieren.

Die Höhen und Tiefen von van Wervekes Biografie könnten für viele bekannte und unbekannte Vertreter*innen seiner Generation stehen. Wogegen rebellierten die zwischen 1950 und 1960 Geborenen? Wie reagierten die Eltern auf die häufig mit Schulabbrüchen gepaarten Drogenexperimente ihrer Söhne und Töchter? Wie standen Gesellschaft, Politik und katholische Kirche zu Rebellion und jugendlichem Lifestyle der späten 1960er- und 1970er-Jahre? Ist Alkoholabhängigkeit per se ein Zeichen der sozialen Marginalisierung? Die zeitgenössische Biografik analysiert Lebensläufe mit ihren Brüchen in einem transnationalen, sozialhistorischen Kontext und verbindet so Mikro- und Makrohistorie. Leider lassen die Kurator*innen der Düdelinger Ausstellung übergeordnete Fragen zu Zeitgeist und Sozialgeschichte aus und verpassen damit die Gelegenheit, ihr Werk zum Ausgangspunkt einer breiten Reflexion über die gesellschaftlichen Konflikte zu machen, die der Nährboden von van Wervekes künstlerischem Schaffen waren.

Die Gestaltung der Ausstellung setzt die Erzählung der Textebene mit rekonstruierten Räumen distanzlos um. Ein der Kindheit gewidmeter Raum reproduziert die Vorstellung der Ausstellungsmacher von einem bürgerlichen Wohnzimmer der 1960er-Jahre mit (Farb?)-Fernseher und Heimkino. Ein mit dreckigen Matratzen und Müll inszenierter Raum zur Straßen-Punk-Lebensrealität soll die dunkle Obdachlosenphase des Künstlers darstellen. Unverständlich ist in diesem Ausstellungssegment die Präsentationsweise einer Schwarz-Weiß-Fotografie, die eine Drogenspritze abbildet. Besucherinnen und Besucher können das Exponat nur durch ein auf Erwachsenen-Augenhöhe angebrachtes „Gucki“ betrachten. Da es keine Objektbeschriftung trägt, wird nicht klar, ob es sich um das Bild einer Drogenspritze des Künstlers handelt oder ob die Ausstellungsmacher mit der versteckten Installation auf die Tabuisierung des Konsums von harten Drogen in den 1970er-Jahren hinweisen wollen. Eine unbestrittene Errungenschaft der „wilden“ Generation, der van Werveke angehörte und als deren prominentes Sprachrohr er gelten kann, ist sicher die gesellschaftliche und politische Anerkennung der Existenz des harten Drogenkonsums in Luxemburg. Die Fixerstube, an der Ausstellungsbesucherinnen und -besucher vorbeikommen, wenn sie die Autobahnauffahrt im städtischen Bahnhofsviertel benutzen, um nach Düdelingen zu fahren, ist ein sichtbares Zeichen des gesellschaftlichen und politischen Haltungswandels. Der konsequente Verzicht auf Exponat-Beschriftungen erschwert es den Besucher*innen, zwischen Dekorationsgegenständen und Künstler-Devotionalien zu unterscheiden und die Bedeutung der Exponate einzuordnen. Gehörten das ausgestellte Mikrofon und das Schlagzeug dem Künstler oder sind sie Teil einer realistischen, freilichtmusealen Inszenierung? Die gleiche Frage stellt sich bei dem cognacfarbenen Sofa und dem roten Miele-Staubsauger … in dem Raum gegen Ende der Ausstellung, der der teilweisen Rückkehr in die bürgerliche Ordentlichkeit gewidmet ist.

Die Düdelinger Inszenierung hebt den Unterschied zwischen Sammlungsobjekten und Präsentationsmaterial auf und macht die konstruierten Szenen aus dem Leben van Wervekes zu Ausstellungsobjekten, mit denen die Kurator*innen ihre persönliche Vorstellung von einem Anti-Establishment-Künstler zum Ausdruck bringen. Van Wervekes Witwe unterstreicht in den Filminterviews, dass sich ihr verstorbener Mann nicht auf seinen Alkoholismus reduzieren lasse. Die Ausstellungsmacher übertünchen diese und andere Charakterisierungen van Wervekes durch seine Weggefährt*innen, durch die klischeehafte Omnipräsenz von Bier-, Wein- und Schnapsflaschen in der Ausstellung, mit der sie die Alkoholsucht des Menschen und Künstlers van Werveke in den Vordergrund spielen. Seine suchtbedingte, teilweise Isolierung wird zugleich unreflektiert mit Marginalisierung gleichgesetzt.

Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass es sich bei „Thierry! D’Expo“ um eine anekdotische Kult-Ausstellung handelt, die es verpasst, das metaphorische Potenzial, das dem Thema innewohnt, auszuschöpfen. Das sollte interessierte Nostalgiker*innen allerdings nicht davon abhalten, dort in Erinnerungen an die alten Zeiten zu schwelgen.

Noch bis zum 30. Dezember 2018 im CNA.

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