Chile unter Pinochet: Enklave deutscher Tugenden

Der Film „Colonia“ will hinter die Kulissen der berühmt-berüchtigten Colonia Dignidad blicken, einer von Deutschen gegründeten Siedlung in Chile, die mit dem Pinochet-Regime kollaborierte. Resultat ist ein spannender Thriller, hinter dem aber der politische Rahmen verblasst.

1362kinoAllzu viele Illusionen sollten sich ehemalige Fans chilenischer Widerstands-Gruppen nicht machen. Denn wer als Linke(r) vom Film „Colonia“ politisches Kino oder eine Reise in die Zeit der Chile-Solidarität erwartet, wird enttäuscht. Der politische Kontext des Ganzen, der Putsch Augusto Pinochets gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende 1973, gerät in Florian Gallenbergs Verfilmung zur pittoresken Popkultur.

Hauptpersonen des Films sind die Lufthansa-Stewardess Lena, von der Harry-Potter Muse „Hermine“ (Emma Watson) gespielt, sowie ihr Freund Daniel (Daniel Brühl). Ihm stattet Lena einen Überraschungsbesuch in Santiago ab, just als der gewaltsame, von den USA gestützte Militärputsch seinen Anfang nimmt. Daniel läuft etwas unbeholfen als politischer Aktivist zu Versammlungen, schwenkt Fahnen und skandiert Parolen in gebrochenem Spanisch. Den linken Polit-Aktivisten nimmt man ihm so wenig ab wie die Frühstücksidylle in der nachempfundenen WG-Atmosphäre der 1970er-Jahre. Spiegeleier bratend hüpft Daniel halbnackt durch die Wohnung, bis die Beschaulichkeit jäh durch den Staatsstreich am 11. September 1973 unterbrochen wird und sich die beiden im „estadio nacional“ widerfinden, dem Ort, an dem unter Pinochet Tausende Linke zu Tode gefoltert wurden.

Die Kamera jedoch hält sich nicht lange mit den Geschehnissen im Stadion auf, wo symbolisch ein paar linke Aufwiegler abgeknallt werden, sondern folgt Lenas ängstlichem Rehblick, die beobachtet, wie man Daniel in ein Auto verpfercht und in Pinochets Folterverliese verschleppt. Bei Amnesty International wird man ihr den heißen Tipp geben, in der „Colonia Dignidad“ Ausschau nach ihm zu halten. Kurzentschlossen streift sie ihre schicke Stewardess-Uniform ab und begibt sich in züchtiger Tracht an den Ort irgendwo im chilenischen Nirgendwo.

Soweit das Intro des Films. Nun – so hofft man – kann man aufatmen, denn mit den Plattitüden ist vorerst Schluss. Doch mit der Entspannung wird es aus anderen Gründen nichts, denn in der von dem deutschen Laienprediger Paul Schäfer gegründeten „Colonia Dignidad“ geht nun der Psychoterror erst so richtig los, gemäß eines Alltags, wie er den Vorstellungen eines „urchristlichen Lebens im gelobten Land“ (O-Ton Schäfer) entsprechen soll.

Als der von Mikael Nyqvist überzeugend dargestellte Schäfer den sichtbar misshandelten Daniel übernimmt, zeigt sich der sadistische Sekten-Guru erstaunt über die plumpen Methoden von Pinochets Schergen: „Psychisch kann man einen Mensch doch noch viel stärker quälen als physisch“, belehrt er lachend die Folterer, bevor der Zuschauer diese psychischen Qualen beobachten kann.

Eindrucksvoll weiß Regisseur Gallenberger die von beklemmender Zucht (nebst protestantisch verbrämten Glaubensriten) bestimmte Atmosphäre in Szene zu setzen, indem er die autarke Gemeinschaft zeigt, die streng nach Geschlechtern getrennt ihr Leben auf Verzicht und Arbeit gründet, von Schäfer mit harter Hand geführt. Der Tagesablauf ist minutiös nachgestellt, bis hin zum Besuch des Diktators Pinochet, bei dem ihm die Bewohnerinnen der Kolonie ein bayerisches Bilderbuch-Dorf präsentieren. Den sexuellen Missbrauch von Chorknaben aus der Gemeinschaft deutet Gallenberger nur an. Bedrückende Szenen, in denen Frauen von Männern erniedrigt werden, erspart er dem Zuschauer hingegen nicht. Lena und Daniel finden mit Ursel (Vicky Krieps) eine Verbündete, mit der sie versuchen, aus der Enklave zu fliehen.

Aus der Kollaboration der deutschen Siedlung mit dem Pinochet-Regime macht der Film kein Geheimnis. Dass die Kolonie als Operationsbasis des Pinochet-Geheimdienstes „Dirección Nacional de Inteligencia“ (DINA) diente, wird ebenso wenig ausgespart wie die Tatsache, dass deutsche Regierungen nie ein Interesse an der Aufklärung der Geschehnisse in der „Colonia Dignidad“ zeigten. Hingegen haben, wie sich hinzufügen lässt, hohe Vertreter der CSU wie Franz-Josef Strauß die Siedlung in den 1990er Jahren besucht.

Rund 250 bis 300 Menschen lebten nach Schätzungen in der Colonia Dignidad. Sie mussten Zwangsarbeit leisten, Kinder und Jugendliche wurden sexuell missbraucht und mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Ihnen versucht der Film ein Gesicht zu geben. Auf ihre Kosten jedoch werden Zehntausende unter Pinochet Gefolterte und Verschwundene und die vom Westen gewünschte Errichtung einer Militärdiktatur von dem Thriller über die „Colonia“ in den Hintergrund gerückt.

Neu im Utopolis Kirchberg.

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