Die EU, Luxemburg und das Pariser Abkommen
: Das Klima wartet nicht


Als Vorreiter sind sie in Paris aufgetreten, die EU und ihre luxemburgischen Verhandlungsführer. Doch nun gilt es, den ehrgeizigen Ansprüchen eine ehrgeizige Politik folgen zu lassen.

„Climate Ribbons“ – die Angst, dass es nicht klappen könnte (woxx 1349). (Fotos: Raymond Klein)

„Ambitiöses Paris-Abkommen von allen Staaten angenommen: ein Wendepunkt!“ Das ist die Schlagzeile, die sich Carole Dieschbourg in einem Forum-Interview im Oktober, also noch vor der Klimakonferenz, gewünscht hatte. Sie dürfte zufrieden sein. Nach Abschluss des Abkommens am 12. Dezember titelte Anfang der Woche der Journal mit „Ehrgeiziger Pakt“ und das Wort gar mit „Das Wunder von Paris“. Im Tageblatt schließlich hieß es „Ein ehrgeiziges und glaubwürdiges Abkommen“ – dort wurde die Einschätzung aus der Pressemitteilung des Ministeriums zitiert.

Als offizielle Vertreterin im Rahmen der EU-Präsidentschaft hatte die Umweltministerin einen gewissen Anteil am Zustandekommen des Ergebnisses. Und dieses ist, bei allen Vorbehalten, besser, als die meisten im Klimaschutz engagierten NGOs und Experten erwartet hatten (woxx 1350). Doch nun gilt es, das, wofür sich die EU und die Ministerin auf globaler Ebene eingesetzt haben, auf dem eigenen Kontinent und im eigenen Land umzusetzen. Wird die Klimapolitik vor Ort in Europa und in Luxemburg nun auch einen Sprung nach vorn tun?

1,5° C! Dass diese Zahl im Pariser Abkommen auftaucht, ist sicher die große Überraschung. Gewiss, vorgesehen ist nur eine „Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2° C über dem vorindustriellen Niveau, wenn möglich auf 1,5° C“, doch zwei Wochen zuvor sah es aus, als ob man sich mit einer Begrenzung auf +2° C begnügen müsste. Der Durchbruch gelang, glaubt man einem Guardian-Artikel vom 13. Dezember, mittels eines von langer Hand vorbereiteten Manövers der Industriestaaten.

Anfang der zweiten Verhandlungswoche lancierte eine Gruppe von Ländern, darunter die EU und zahlreiche Entwicklungsländer, eine „High Ambition Coalition“, die das Ziel einer Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5° C anstrebte. In den folgenden Tagen sagten andere Länder ihre Unterstützung zu, darunter die USA und Brasilien. Verhandlungstaktisches Ergebnis war, dass ein Keil in die Front der Entwicklungs- und Schwellenländer getrieben wurde. Und dass die Kompromisssuche zwischen 1,5 und 2° C ablenkte vom erpresserischen Vorgehen insbesondere der USA bei Themen wie Verbindlichkeit und Differenzierung.

Die EU pokert hoch

Nichtsdestoweniger: Die nun angestrebte Begrenzung auf 1,5 statt 2° C entspricht einer Forderung, die von Wissenschaftlern, von NGOs und von einem Teil der Länder des Südens erhoben wurde. Denn dieses Ziel erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Klimawandel gestoppt werden kann und keine allzu großen Schäden entstehen. Insbesondere steigt damit die Überlebenschance der vom Anstieg des Meeresspiegels bedrohten pazifischen Inselstaaten.

Doch dieses relativ gute Ergebnis führt zugleich die Widersprüche des Pariser Abkommens vor Augen. Denn die von den UN-Mitgliedstaaten in Eigenregie erstellten Klimaschutzpläne (Intended Nationally Determined Contributions, INDC) reichen keineswegs aus, um die als notwendig angesehene Begrenzung tatsächlich zu erreichen. Verharren die Länder auf diesen Positionen, so führt dies laut einer UN-Schätzung zu einem Anstieg von etwa 2,7° C – mit verheerenden Folgen.

Deshalb steht und fällt der Wert des Abkommens mit der Anwendung des Artikels 14, der Bestandsaufnahmen im 5-Jahres-Rythmus vorsieht. Diese sollen alle Staaten dazu bringen, ihre Klimaschutzpläne zu verbessern – in Eigenregie, wohlgemerkt. Auch hier gilt: Was nach einer schlechten Lösung aussieht, ist besser als das, was viele erwartet hatten. Denn bereits vor der Konferenz war klar, dass Form und Inhalt der INDCs nicht zur Disposition stehen würden – die jetzt vorliegenden Pläne also keinen vernünftigen Klimaschutz gewährleisten könnten. Carole Dieschbourg hatte daher den Revisionsmechanismus zu einem Essential der EU-Position gemacht – in der Hoffnung, dass die INDCs nach und nach an das ehrgeizige Ziel angeglichen würden.

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„Konferenz der Adapter“ – wenn man den Klimawandel nicht verhindern kann, muss man sich anpassen. Klamauk-Aktion der „Compagnie Arzapar – les Clowns Citoyens“ im Kulturzentrum Centquatre.

Doch es ist zu befürchten, dass diese Rechnung nicht aufgeht: Experten schätzen, dass mit den jetzigen INDCs das Kohlenstoffbudget für das 1,5-Grad-Ziel bereits um das Jahr 2020 erschöpft wäre – ab dann dürften überhaupt keine Treibhausgase mehr ausgestoßen werden. Von der woxx während der Verhandlungen befragt, hatte sich Claude Turmes für eine erste Revision der INDCs noch vor 2020 ausgesprochen. Im Pariser Abkommen ist hierfür das Jahr 2023 vorgesehen. Der grüne Europaabgeordnete verweist auf eine Art Proto-Revision, bei der 2018 die INDCs in NDCs, also in fest zugesagte nationale Klimaschutzpläne umgewandelt werden sollen. „Zu dem Zeitpunkt wird der Weltklimarat (IPCC) einen Bericht vorlegen, der sich vermutlich für eine Begrenzung auf 1,5° C ausspricht. Und feststellen, dass wir uns nicht auf dem hierfür erforderlichen Emissionspfad befinden.“ So könne politischer Druck entstehen. „Ich hoffe, dass eine substanzielle Zahl von Ländern sich dann entschließt, ihre Verpflichtungen nach oben hin anzupassen.“

Dabei sollten dann eigentlich die Vorreiter der „High Ambition Coalition“ in der ersten Reihe zu finden sein. So ist zum Beispiel der jetzige EU-Klimaschutzplan nicht mit dem von der Union in Paris vertretenen 1,5-Grad-Ziel vereinbar, sondern reicht bestenfalls für 2 Grad. „Wenn die EU ihre eigene Position ernst nimmt, muss sie weit darüber hinausgehen“, mahnt Claude Turmes. Derzeit gilt: Bis 2030 die CO2-Emissionen um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 senken. Will man die Lastenverteilung zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern einigermaßen fair gestalten, kommt man auf Werte, die doppelt so hoch liegen.

Gilt die Wette?

Dabei ist zu bedenken, dass seinerzeit bei den Verhandlungen über das 2020-Ziel die Forderung nach einer Senkung um 30 Prozent erhoben worden war. Allerdings blieb es dann doch bei bescheidenen 20 Prozent, die zu erreichen die EU – aufgrund der Wirtschaftskrise – sich nicht besonders wird anstrengen müssen. Die damalige Entscheidung für den Schongang macht es nicht leichter, nun den Turbo einzuschalten. Hinzu kommen die politische Krise der EU und die zahlreichen Alleingänge der Mitgliedstaaten – eine Verbesserung des 2030-Ziels wird also schwer durchzusetzen sein. Vielleicht hatte sich die EU in Paris die Sache mit den 1,5 Grad doch nicht so richtig überlegt?

1353stoosIn Carole Dieschbourgs Ministerium sieht man das anders. Eine Anfrage der woxx wurde schriftlich beantwortet: Die EU habe über ihre Verpflichtung zur CO2-Reduktion bereits im Vorfeld der Pariser Konferenz entschieden. Die 40-Prozent-Senkung sei „einer der ambitiösesten Beiträge zum Klimaschutz von allen 187 Ländern, die bisher ihre Pläne mitgeteilt haben“. Man scheint davon auszugehen, dass es beim jetzigen Ziel bleibt: „Die EU-Kommission wird vor der Sommerpause einen Vorschlag auf den Tisch legen, wie diese Anstrengung unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden soll.“

In der Tat hatte die EU ihr Klimaziel für 2030 nur auf Unionsebene festgelegt – die Verteilung zwischen den Mitgliedstaaten muss noch verhandelt werden. In der Vergangenheit war diese Lastenverteilung unter anderem unter Berücksichtigung der Wirtschaftsleistung erfolgt: So mussten zwischen 2013 und 2020 Dänemark, Irland und Luxemburg einen überdurchschnittlichen Beitrag zum gesamteuropäischen Reduktionsziel leisten, vielen ärmeren Ländern dagegen wurde eine Erhöhung der Emissionen zugestanden. Dabei war das Großherzogtum allerdings noch gut weggekommen – es war dabei, seine ursprünglich eingegangene Reduktionsverpflichtung zu verfehlen, und verkaufte dies als Beleg für seine schwierige Lage. Die 2008 beschlossene, für Luxemburg günstige Lastenverteilung – und der massive Zukauf von Emissionsrechten – ermöglichen es uns derzeit, zugleich den Musterschüler in Sachen Reduktion zu spielen und weiterhin der Flegel mit dem höchsten CO2-Pro-Kopf-Ausstoß zu sein.

Wer mogelt, gewinnt

Der 2008 amtierende Umweltminister Lucien Lux hatte sich damals trotzdem beklagt, die EU-Kommission überschätze das Bruttosozialprodukt und bürde Luxemburg eine zu schwere Reduktionslast bis 2020 auf (woxx 938). Doch Umweltschützer waren sich einig, dass Luxemburg aufgrund seiner Sonderrolle als größter Verschmutzer, seines finanziellen Spielraums und der jahrzehntelangen Versäumnisse eigentlich viel größere Anstrengungen auf sich nehmen müsste. Mittlerweile scheinen die Grünen sich Lux‘ Lesart zu eigen gemacht zu haben. Aus dem Umweltministerium heißt es: „Luxemburg hatte für die Periode 2013 bis 2020 das ambitiöseste Ziel innerhalb der EU.“ Immerhin will man sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen: „Für die Zeit nach 2020 werden von Luxemburg weitere Anstrengungen erwartet.“

Im Vorfeld der Klimakonferenz hatte sich im vergangenen Jahr die Chamber mit derartigen Anstrengungen befasst. Am 19. November wurde auf der Grundlage eines 200 Seiten starken Berichts der Umweltkommission (Document parlementaire 6688/00) eine Orientierungsdebatte durchgeführt. In dem von dem grünen Abgeordneten Henri Kox verfassten Dokument ist festgehalten, dass Luxemburg bis 2020 nicht daran vorbei kommen wird, Emissionsrechte für Projekte in Entwicklungsländern zu erwerben. Anders als bisher sollen dabei aber nur ökologisch und sozial einwandfreie Vorhaben ausgewählt werden. Außerdem wird für die Periode von 2020 bis 2030 der Rückgriff auf diesen „Ablasshandel“ – wie ihn die Kritiker bezeichnen – stark eingeschränkt.

Angstkarte Tanktourismus

Interessant sind auch die Ausführungen zum – seit Jahrzehnten von Teilen der Umweltbewegung und der Grünen geforderten – Ausstieg aus dem Tanktourismus. Hier wird eine Empfehlung der EU-Kommission zitiert sowie auf eine noch nicht abgeschlossene Studie von Dieter Ewringmann verwiesen, die es erlauben soll, „eine Strategie zur Beendung des Tanktourismus zu entwickeln“. Doch diesen deutlich formulierten Auftrag sucht man vergeblich in der von der Kommission vorgelegten und vom Parlament angenommenen Klima-Motion.

Argumente gegen den Tanktourismus gibt es zur Genüge: Von der ethisch fragwürdigen Abschöpfung von Steuereinnahmen zum Schaden der Nachbarländer über die ungewisse Zukunftssicherheit dieser Einnahmequelle bis hin zur nicht mehr zeitgemäßen Förderung der Nutzung von Auto und LKW. Das Gegenargument ist rein finanzieller Natur, aber gewichtig: Für einen Anstieg der Akzisen (Mineralölsteuern) um ein Prozent müsse man mit einem Rückgang des verkauften Volumens um vier Prozent rechnen, warnt der Kommissionsbericht – unterm Strich ein herbes Verlustgeschäft für den Staatshaushalt.

„Haltet eure Versprechen!“ Der Mini-Eiffelturm nach einer Protestaktion in Le Bourget am 11. Dezember.

Demgegenüber wäre ein fast vollständiger Ausstieg natürlich auch die Vorbedingung dafür, ein nützliches Instrument der Politikgestaltung unter normalen Bedingungen zum Einsatz zu bringen. Würde sich nämlich der Spritpreis in Luxemburg dem Niveau der Nachbarländer annähern, so könnte man die Akzisen erhöhen, ohne Einnahmeverluste befürchten zu müssen. Was es wiederum ermöglichen würde, eine bei Umweltschützern und Grünen beliebte Reformidee umzusetzen: Die steuerliche Belastung der Arbeit reduzieren, indem man den Ressourcenverbrauch stärker besteuert – gegebenenfalls auch auf europäischer Ebene.

In einem Interview im Quotidien sprach sich Claude Turmes dafür aus, den Verfall der Erdölpreise durch Steuererhöhungen zu kompensieren – der niedrige Ölpreis konterkariere derzeit die Entwicklung von grünen Autos und allgemein die energetische Transition. „Deshalb muss man kurzfristig auf europäischer Ebene über eine Erhöhung der Mineralölsteuern diskutieren“ – Turmes zielt damit auf einen künstlichen Preisanstieg auf etwa 100 Dollar pro Baril ab. Ob Luxemburg dabei weiter Steuerdumping betreiben darf, sagt er nicht. Man kann es sich schlecht vorstellen, denn auf die Frage nach der Popularität solcher Steuern antwortet er im Interview: „Politiker sind nicht dazu da, populäre Maßnahmen zu ergreifen, sondern die fundamentalen Probleme anzugehen.“

Kein Nullsummenspiel

Im Umweltministerium scheint man allerdings keinen nationalen Handlungsbedarf zu sehen: Beim Stichwort „Verursacherprinzip“ verweist man die woxx auf diverse Passagen des Pariser Vertragstextes wie die „Loss and damage“-Klausel, die Nord-Süd-Finanztransfers und das als mögliches Instrument angeführte „carbon pricing“. Und auf einen, unter Umweltschützern und Grünen nicht unumstrittenen, Marktmechanismus: „Auf europäischer Ebene haben wir einen Emissionshandel, der – wenn auch unzureichend – dem Verursacherprinzip Rechnung trägt.“

Auf nationaler Ebene scheint man eher auf Maßnahmen der Förderung zu setzen als auf solche, die wehtun und unpopulär sein könnten. Man werde einen neuen, dritten, nationalen Klimaschutzplan erstellen und die Politik des zweiten fortführen und ausbauen, insbesondere im Bereich Energieeffizienz bei Gebäuden, bei den öffentlichen und den alternativen Verkehrsmitteln sowie beim Rückgriff auf erneuerbare Energien, teilt das Umweltministerium mit.

In der Tat – dank der grünen Regierungsbeteiligung scheint sich in dieser Hinsicht mehr zu bewegen als zuvor. Doch ein Problem ist das gleiche geblieben wie vor 15 Jahren, als Umweltminister Charles Goerens den ersten nationalen Klimaschutzplan vorstellte: Die Regierung basiert ihren Maßnahmenkatalog auf das, was ihr möglich erscheint – und hat in der Vergangenheit immer feststellen müssen, dass es zuwenig war. Wann wird eine Regierung von den zu erreichenden CO2-Einsparungen ausgehen und dann Maßnahme für Maßnahme durchrechnen, wie viel erforderlich ist, um ihre „ehrgeizigen“ Klimaschutzziele zu erreichen?

Weder Luxemburg noch die EU können sich den eigenen Widersprüchen entziehen. Wie sie sich ihnen stellen, hat Signalwirkung. Sollte eines der reichsten Länder der Erde keine vernünftige Energiewende hinbekommen und das weltweit potenteste Staatenbündnis den Schongang statt des Turbos einlegen – wie könnten beide den Rest der Welt glauben machen wollen, dass der Klimawandel abzuwenden sei? Diplomatisch erfolgreich, faktisch gescheitert, das wäre dann die Bilanz des „Wunders von Paris“.


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