„Die Menschen hier zahlen den Preis für die EU-Politik“

Die Zustände im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sind unmenschlich, und dies wohl auch mit System. Ein Gespräch mit Mixalis Aivaliotis von der NGO „Stand by Me Lesvos“.

Keine Schulen, Spielplätze oder Kindergärten, zu wenig Nahrung und von schlechter Qualität: die Zustände im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. (Bildquelle: Fotomovimiento/Flickr)

Als „tension palpable“ hatte Carole Reckinger im Gespräch mit der woxx die angespannte Situation im Flüchtlingscamp Moria beschrieben. Sie hatte das Lager im vergangenen Juli zum wiederholten Mal besucht. Seither ist alles nur noch schlimmer geworden, wie ein Gespräch mit Mixalis Aivaliotis von der NGO „Stand by Me Lesvos“offenbart. Die vor der türkischen Küste gelegene Insel ist noch immer ein Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die nach Europa wollen. Doch die Zustände im Lager Moria sind besonders im Winter untragbar: „Viele der Flüchtlinge müssen inzwischen in kleinen Zelten schlafen, und zwar in Sommerzelten, die für den Winter nicht geeignet sind, da sie weder vor Regen noch Kälte schützen“, sagt Aivaliotis.

Das Camp selbst ist ein umfunktioniertes altes Militärlager und war eigentlich für gerade einmal 1.500 Soldaten ausgelegt. Nun hausen dort rund 7.000 Menschen bei unzureichender Nahrungsmittelversorgung, auch die Sanitäranlagen sind allenfalls rudimentär. „Das trifft auch auf die medizinische Versorgung zu“, so Aivaliotis gegenüber Thomas von der Osten-Sacken. Dieser ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation „Wadi e.V.“, die auch Programme von „Stand by Me Lesvos“ für Flüchtlinge in Moria unterstützt, und hat das Gespräch mit Aivaliotis für die woxx geführt.

Botschaft an die Flüchtlinge in der Türkei?

Den Menschen, die häufig bis zu einem Jahr untätig im Camp verweilen müssen, fehlt demnach jede Perspektive. Selbst für die Kinder gibt es weder Schulen, noch Kindergärten oder Spielplätze. Aivaliotis hält es durchaus für denkbar, dass die Zustände von der griechischen Regierung vorsätzlich aufrechterhalten werden, um eine Botschaft an die noch in der Türkei befindlichen Flüchtlinge zu senden, jedoch: „In der Türkei halten sich Millionen von Flüchtlingen auf und sehr viele sind verzweifelt; sie versuchen auch weiterhin Mittel und Wege zu finden, dort weg zu kommen. Sie werden niemals aufhören zu glauben, dass, wenn man erst Griechenland erreicht hat, man sich auf EU-Boden befindet und eine Zukunft hat. Die Menschen hier zahlen den Preis für diese Politik.“

Von heftigen Handgreiflichkeiten im Lager berichtet Aivaliotis, einmal wurde womöglich sogar Feuer gelegt. Neben Kriminalität, Prostitution und Drogenmissbrauch komme es immer wieder zu sexuellen Übergriffen und sogar Vergewaltigungen „Sehr viele Frauen haben Angst, sie verlassen ihre Zelte nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr.“

Derweil ist die Stimmung unter der ansässigen griechischen Bevölkerung uneinheitlich, wie Aivaliotis sagt: „Die Menschen hier kann man in drei Gruppen unterteilen. Ein gutes Drittel ist bereit zu helfen und will, dass sich die Situation für die Flüchtlinge auch verbessert. Ein weiteres Drittel ist strikt gegen die Flüchtlinge und dafür, dass diese schnellstmöglich wieder verschwinden, weil sie zu viele Probleme verursachten. Das übrige Drittel verhält sich, sagen wir, indifferent.“ Dieses Verhältnis könne sich jedoch sehr schnell ändern, denn: „Wie man es dreht und wendet, die Zahl der Flüchtlinge ist zu hoch für eine Insel mit 80.000 Einwohnern.“

Das Interview mit Mixalis Aivaliotis von der NGO „Stand by Me Lesvos“ lesen Sie am Freitag in der gedruckten Ausgabe der woxx.

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