Die Schuldenbremse in Deutschland
: Dieses obskure Objekt der Begierde

Die Einführung der Schuldenbremse in der Bundesrepublik spaltet die Politik und die Ökonomie. Das umstrittene wirtschaftspolitische Instrument zum Schuldenabbau steht im Zentrum massiver Kontroversen. Renommierte Ökonomen warnen vor den Langzeitfolgen des rigiden Sparkurses.

Die Bundesrepublik befindet sich im Mittelfeld, weit hinter den europäischen Spitzenreitern der Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP).
 (statista.com
)

„Wir sind das einzige Land, das mir bekannt ist – um noch einmal auf die Haushaltskonsolidierung zurückzukommen –, dem es gelungen ist, mitten in der Krise durch eine große, überparteiliche Kraftanstrengung eine Schuldenbremse im Grundgesetz zu verankern. Diese Schuldenbremse ist derart detailliert in das Grundgesetz geschrieben worden, sodass sie den Verfassungsästheten nun wirklich nicht gefällt, aber sodass sie denen, die eine Lücke im Verfassungstext finden wollen, auch fast keine Auswege ermöglicht.“ Angela Merkel weiß wovon sie spricht. Aus dieser Aussage aus ihrer Rede zum Arbeitgebertag 2009 lässt sich das wirtschaftspolitische Dogma der Bundesregierung sehr gut herauskristallisieren: Die Schuldenbremse ist das politische Allheilmittel gegen die bösen Schulden.

Die vorherigen Bundesregierungen hatten hartnäckig für die Einführung der staatlichen Schuldenbremse auf föderalem Niveau gekämpft. 2009 billigten der Bundestag und der Bundesrat das Projekt mit einer Zweidrittelmehrheit. Für dieses Vorhaben war sogar eine Verfassungsänderung nötig: die Schuldenthematik wurde im Artikel 110 des Grundgesetzes geregelt. Ab 2016 darf der öffentliche Haushalt des Bundes nur noch mit einem sehr geringen strukturellen Defizit (0,35% des BIP) finanziert werden.

Auf der Länderebene sorgt die Schuldenbremse nach wie vor für heftige Auseinandersetzungen. Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz waren unter den ersten Bundesländern, die die Schuldenbremse in ihre jeweiligen Landesverfassungen übernommen haben. 2019 zog Nordrhein-Westfalen nach. Dort wurde das wirtschaftspolitische Instrument aber nur in die Landeshaushaltsordnung aufgenommen. In den östlichen Bundesländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurde die Schuldenbremse bisher nicht in die jeweiligen Verfassungen eingefügt.

FDP und Union als starke Befürworter der Schuldenbremse

Politisches Vorbild dieser Reform ist die Schweizer Schuldenbremse, die 2001 per Volksabstimmung beschlossen wurde. Chronische finanziell- budgetäre Ungleichgewichte im dortigen Haushalt sollten mithilfe dieses neuen finanzpolitischen Instrumentes wirksamer abgebaut werden können. Für das Budget von 2003 wurde der Mechanismus der Schuldenbremse erstmals angewendet. Seitdem werden in der Schweiz Investitionsausgaben zusammen mit konsumtiven Ausgaben in einen budgetär-finanzpolitischen Topf geworfen – die finanzpolitische Gleichbehandlung beider Ausgaben kann im Falle eines verstärkten Spardrucks zu staatlichem Investitionsverzicht führen. Diese finanzpolitischen Bedenken werden von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz geteilt. Die sozialdemokratische Nationalrätin Margret Kiener Nellen bemängelt den staatlichen Investitionsstau in wichtigen Bereichen wie dem sozialen Wohnungsbau und der Förderung von Umwelttechnologien.

Die staatliche Schuldenbremse wurde vom ehemaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon lange als optimales Instrument angesehen, um die schwarze Null (also einen ausgeglichenen Haushalt des Bundes) zu garantieren. Die Deutsche Bundesbank begrüßte ausdrücklich diese Reform zur Senkung der Staatsschulden. In der Politik kämpften vor allem die Freidemokraten und die Christdemokraten für dieses wirtschaftspolitische Instrument. Für die Union gehört der Ruf nach einer Schuldenbremse für Bund und Länder seit über einem Jahrzehnt zum Herzstück ihrer finanzpolitischen Agenda. Die FDP geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert sogar die Verankerung einer Schuldenbremse 2.0 für die Sozialversicherungssysteme im Grundgesetz. So sollen die Beitragszahler vor zu hohen Abgaben geschützt werden.

Für den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner ist die Schuldenbremse ein Garant für mehr Generationengerechtigkeit. So spricht sich der liberale Parteivorsitzende für die Verankerung einer Schuldenbremse in den Landesverfassungen sämtlicher Bundesländer aus. Der hessische Ministerpräsident und Christdemokrat Volker Bouffier hält die Schuldenbremse für eine Grundlage der Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Für den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundesinnenminister Horst Seehofer markierte die Einführung der staatlichen Schuldenbremse eine „Wetterwende“ in der Finanzpolitik.

Am anderen Ende des politischen Parteienspektrums steht die konsequente Ablehnung der Schuldenbremse durch die Partei Die Linke. Für die linke Spitzenpolitikerin Sahra Wagenknecht ist die Einführung einer Millionärssteuer die beste Schuldenbremse. Die Partei kämpft für die Abschaffung und Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz. Nach Ansicht von Gregor Gysi und Co. ist die Schuldenbremse ein politisches Mittel um öffentliche Leistungskürzungen und Privatisierungen leichter durchzusetzen. „Frau Merkel, Ihre Schuldenbremse heißt Sozialabbau!“, lautet das Urteil von Sahra Wagenknecht. Die Partei kritisiert die Schuldenbremse als finanzpolitisches Instrument des neoliberalen Dogmas von Austerität und Effizienzdenken.

Öffentlicher Aufruf 
namhafter Ökonomen

Der Wirtschaftsweise (Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Peter Bofinger und der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, beschreiben in einem öffentlichen Aufruf das Ausmaß der Gefährdung der gesamtwirtschaftlichen Stabilität durch die Schuldenbremse.

Dieses wirtschaftspolitische In-
strument schränkt die Spielräume für eine antizyklische Makropolitik massiv ein. Die ohnehin schwächelnde Binnenkonjunktur der Bundesrepublik stagniert weiter. Außerdem blockiert sie wichtige Zukunftsinvestitionen. Vor allem investive Schulden (z.B. in die Infrastruktur) sind eine notwendige Maßnahme für die mittel- und langfristige Funktionsfähigkeit des Staates. Zu den Unterzeichnern des Aufrufes gehören unter anderem die beiden Volkswirtschaftsexperten, Heinz-Josef Bontrup und Heiner Flassbeck.

Bontrup entlarvt in seinem Buch „Arbeit, Kapital und Staat“ den Mythos über die Gefahr der mangelnden Generationsgerechtigkeit: „Gläubiger und Schuldner verteilen sich jedoch gleichmäßig über die Generationen. (…) Tatsächlich stehen jedoch den Zahlern in jeder Periode auch Empfänger in der gleichen Periode gegenüber, so dass es sich (da der Anteil der Auslandsschulden gering ist) zunächst einmal um intragenerative Umverteilungsvorgänge handelt.“

Der Soziologe Christoph Butterwegge (ebenfalls ein Unterzeichner dieses Aufrufs) zitiert in seinem Buch den deutschen Volkswirten und ver.di-Mitarbeiter Norbert Reuter: „Während eine kollektive fiskalische Belastung zukünftiger Generationen nicht existiert und auch von einer Verdrängung privatwirtschaftlicher Initiative durch öffentliche Verschuldung keine Rede sein kann, zeichnet sich die Gefahr einer kollektiven realwirtschaftlichen Belastung kommender Generationen als Folge des finanziellen Unvermögens des Staates ab, eine ausreichende öffentliche Zukunftsvorsorge zu leisten.“

Heiner Flassbeck, ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine, und bis Ende 2012 gewesene Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), mahnt: „Eine in der Verfassung verankerte „Schuldenbremse“ bildet den Höhepunkt dieser absurden Vorverurteilung des Schuldners. Was diejenigen, die solch einfachen Mustern folgen, aber bei weitem unterschätzen, sind die systemischen Wirkungen, die ihr undifferenziertes Handeln hat. Sie zerstören die Grundlagen für eine funktionierende Marktwirtschaft.“

Die Sparquote privater Haushalte ist in der Bundesrepublik sehr hoch (einer der Gründe für die sehr schwache Binnenkonjunktur), die Unternehmen haben durch die massive Lohnzurückhaltung der deutschen Arbeitnehmerschaft in den letzten Jahren sehr viel gespart (ein weiterer Grund für die anhaltende Schwäche der Binnenkonjunktur), doch der Staat tut nichts, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Im Gegenteil, durch die Einführung der Schuldenbremse schränkt er seinen eigenen politischen Spielraum zur Konjunkturförderung dezidiert ein.

Hier zeigt sich ein politischer Trend, der sich in der Bundesrepublik über die letzten drei Jahrzehnte konsequent durchgesetzt hat: Das Primat der Betriebswirtschaft gegenüber der Volkswirtschaft (Merkels Mantra über die sparsame schwäbische Hausfrau). Die Sparsamkeit der privaten Haushalte und die rationale Verhaltensweise eines Unternehmers im Sinne der Profitsteigerung können nicht das politische Leitmotiv eines ganzen Staates sein. Diese Dysfunktionalität des innerwirtschaftlichen Kreislaufs der Bundesrepublik erklärt zudem die politisch-ökonomische Fixierung und Förderung der Exportindustrie und den massiven Außenhandelsüberschuss Deutschlands. Eine gefährliche Situation für die gesamtwirtschaftliche Stabilität Europas: Wenn immer mehr Mitgliedsstaaten aufgrund des Brüsseler Spardiktats in die Rezession sinken, wird zugleich die deutsche Exportindustrie stark einbrechen – allein 2016 gingen vom deutschen Gesamtexport 58,6% in die Europäische Union und 36,6% in die Eurozone. Man kann es drehen und wenden wie man will, am Ende geht die Rechnung nicht auf. Das Beharren der Bundesregierung auf die Durchsetzung eines rigiden Sparkurses auf gesamteuropäischer Ebene (mit besonderem Fokus auf die südlichen Mitgliedsstaaten der EU) ist nichts anderes als ein mittelfristiges Eigentor.

Wenn im Sinne eines allgegenwärtigen Spardogmas alle relevanten Akteure des Wirtschaftskreislaufs (private Haushalte, Staat und Unternehmen) sparen, wo soll dann das Wachstum herkommen? Die schwarze Null steht der strukturellen Funktionslogik marktwirtschaftlicher Mechanismen diametral gegenüber. Ohne Schulden gibt es keine Ersparnisse auf der Welt. Eine eigentlich simple ökonomische Erkenntnis, doch „Experten“ wie Angela Merkel, Christian Lindner oder Wolfgang Schäuble sehen das sicherlich anders.


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