Donald Trump als US-Präsident: „Es wird ein wilder Ritt“

Dass Donald Trump nicht viel von Fakten hält, ist nicht neu. Doch als Präsident der Vereinigten Staaten könnte der Geschäftsmann schon bald mit einer Realität konfrontiert werden, gegen die er mit wütenden Tweets allein nicht angehen kann. Ein Gespräch mit dem US-amerikanischen Historiker Jeffrey Herf.


Konstatiert beiderseits des Atlantik eine „gravierende Erosion der Sphäre der Öffentlichkeit“: der Historiker Jeffrey Herf. (Foto: Jeffrey Herf)

woxx: Wie würden Sie die Stimmung in Ihrer Umgebung nach den Wahlen beschreiben?

Jeffrey Herf: Ich kann hier nur für mich selbst sprechen. Ich bin besorgt, aber nicht panisch. Auch weil ich hoffe, dass unser System der „checks and balances“ (das US-amerikanische System der Gewaltenteilung – Anm. der Red.) Donald Trump daran hindern wird, seine Vorstellungen von Politik umzusetzen. Und weil er bald feststellen wird, dass das Präsidentenamt sich von der Führung seines Familienunternehmens drastisch unterscheidet.

Werden „checks and balances“ allein ausreichen, um den Führungsstil von Trump zu domestizieren?

Ich weiß es nicht. Es wird jedoch sowohl von rechts als auch von links Widerstand gegen einen autoritären Präsidenten geben. So war beispielsweise das „Wall Street Journal“ als Stimme der Großkonzerne während des Wahlkampfes nicht froh über Trumps Versuche, Druck auf das Unternehmen „United Technologies“ auszuüben, um Arbeitsplätze in Indiana zu erhalten. Die „New York Times“ hat seine Angriffe auf ethnische und religiöse Minderheiten im Blick. Es bildet sich eine Opposition der politischen Mitte gegen Trump heraus. Aber es wird ein wilder Ritt werden, soviel ist klar.

In einem der Artikel, die Sie vor den Wahlen über Trump geschrieben haben, charakterisieren Sie ihn als „diktatorische Persönlichkeit“. Was meinen Sie damit?

Vielleicht trifft der Ausdruck nicht ganz zu, doch bei Trump handelt es sich zweifellos um eine autoritäre Persönlichkeit. Er hat sein ganzes Leben als Erwachsener als Chef eines Familienunternehmens zugebracht. Er musste also nie lernen, auf Augenhöhe mit Menschen umzugehen. In der Vergangenheit hat er gesagt, wenn er etwas von Politikern wolle, dann bezahle er sie. Gleichzeitig sagt er, dass er den „Sumpf“ in Washington austrocknen wolle und beschuldigt Hillary Clinton der Korruption. Doch er ist selbst daran gewöhnt, Leuten Geld dafür zu geben, um zu bekommen, was er will. Nun denkt er, dass es immer so laufen muss. Ich glaube nicht, dass er damit Erfolg haben wird.

Sie betonen, dass es sich bei seiner Immobilienfirma um ein Familienunternehmen handelt. In der Linken wird bisweilen argumentiert, dass mit Trump nun die Welt der Großkonzerne unmittelbar die Macht im Weißen Haus übernimmt.

Das ist Quatsch. Mit einer Rechenschaftspflicht wie sie der Manager eines Konzerns zumindest innerhalb des Unternehmens und gegenüber den Aktionären hat, war Donald Trump nie konfrontiert. Trump tritt jetzt aus seiner Welt des Immobilienhandels und der Golfplätze in die Welt der internationalen Politik. In seiner eigenen kleinen Welt konnte er Leute einfach entlassen, sie kontrollieren. In der Politik kann er nicht einfach Regierungschefs anderer Länder feuern, wenn ihm etwas an ihnen nicht passt. Er kann auch nicht den Senat der Vereinigten Staaten oder das Abgeordnetenhaus vor die Tür setzen, nicht einmal die hochrangigen Beamten oder die Redakteure von „Washington Post“ oder „New York Times“. Die Frage ist, ob Trump auf dieselbe Weise regieren wird, wie er seine Wahlkampagne geführt hat. Man wird genau beobachten müssen, wie er sich gegenüber der Führungsspitze des US-amerikanischen Verwaltungsapparats verhalten wird. Falls er auch als Präsident seine autoritäre Marschroute verfolgen wird, wofür momentan einiges spricht, wird es Widerstand dagegen geben.

„Die Ironie des Ganzen ist, dass Trump die Philosophie der Postmoderne in Massenkultur verwandelt hat.“

In einem Ihrer Artikel schreiben Sie, dass Trump, anders als etwa Mussolini, keinen antikapitalistischen Impuls artikuliere. Er liefere vielmehr Kapitalismus auf Stereoiden. Wird er versuchen, eine „Trump-Kleptokratie“ zu errichten, wie Paul Waldman jüngst in der „Washington Post“ schrieb?

Das ist nicht auszuschließen. Zugleich wird sein Unternehmensimperium enorm viel Zeit beanspruchen, falls er sich nicht davon trennen wird. Er wird dann permanent in Interessenkonflikte zwischen seiner Rolle als Unternehmer und als Präsident kommen. Das wird ihm beim Erreichen seiner politischen Ziele hinderlich sein.

Ihrer Meinung nach ermangelt es Trump an jedwedem klar erkennbaren politischen Ziel. Wird die Bewegung, die er hinter sich vereint hat, umso mehr versuchen, ihn mit ihren radikalen Forderungen vor sich herzutreiben?

Es wird auf jeden Fall Versuche in diese Richtung geben. Seine bisherige Auswahl von Kabinettsmitgliedern macht jedoch deutlich, dass seine populistische Selbstdarstellung als der eines Außenseiters von Anfang an ein Märchen war. Er war nie ein Außenseiter und sein Kabinett wird, wenn man die darin versammelten Personen in Betracht zieht, eins der „wohlhabendsten“ in der amerikanischen Geschichte sein.

Hinter dem Populisten verbirgt sich also ein Realpolitiker?

Trump ist ein Bündel aus Widersprüchen. In der Außenpolitik besteht der zentrale Widerspruch seiner Äußerungen, dass er sich geradezu enthusiastisch über Wladimir Putin geäußert hat, zugleich jedoch den Atom-Deal mit dem Iran neu verhandeln will. Er kann aber nicht zugleich Härte gegen den Iran zeigen und Freund von Putin sein. Putin unterstützt das Assad-Regime, das wiederum enge Beziehungen zum Iran unterhält. Wenn sich Assad mit Putins Hilfe im syrischen Bürgerkrieg durchsetzen wird, dann wird das auch die Position des Iran im Nahen Osten stärken. Auch die Allianz mit Westeuropa lässt den Enthusiasmus Trumps für Putin eigentlich nicht zu. Er muss sich also entscheiden, was seine Prioritäten sind.

Wie muss man sich Trumps Elektorat vorstellen?

Es handelt sich um nahezu die Hälfte des US-amerikanischen Elektorats. Er hat die Stimmen von 53 Prozent der weißen weiblichen Wählerstimmen bekommen, außerdem einen großen Anteil der Stimmen weißer männlicher Wähler. Die Polarisierung der Wahlen entlang der Hautfarbe war sehr verstörend. Achtzig Prozent jener Republikaner, die sich für die Wahlen registriert waren, haben ebenfalls Trump gewählt. Neunzig Prozent dieser Wählergruppe haben 2012 für den damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney gestimmt. Er hat also einige Stimmen verloren, aber dennoch standen die Republikaner zu einem großen Teil hinter ihm.

Gerade die unterprivilegierte Schicht der WählerInnen wird oft maßgeblich für Trumps Wahlerfolg verantwortlich gemacht.

Das hat auch damit zu tun, dass man die ökonomischen Folgen der Globalisierung in den USA vernachlässigt hat. Wenn es in bestimmten Branchen keine Jobs mehr gibt, dann muss man Möglichkeiten zur Umschulung schaffen, dafür sorgen, dass die Menschen andere Arbeit finden. Das ist ein Bereich, in dem man in den Vereinigten Staaten viel von Europa lernen kann.

„Trump ist ein Bündel aus Widersprüchen.“

Statistiken zeigen, dass die Stimmen der mittleren Einkommensklassen sehr entscheidend waren. Auch Pegida und andere populistische Bewegungen in Europa rekrutieren sich maßgeblich aus dem Mittelstand. Das sind Leute, die durchaus etwas zu verlieren haben.

Das stimmt. Und hier gibt es natürlich bedrückende Parallelen zu den 1930er-Jahren in Europa. Trump hat weder Nuancen noch Komplexität in seinen Argumenten gezeigt. Er hat mit den Ängsten der Menschen gespielt und an ihre niedrigsten Instinkte appelliert. Doch eine gewisse Mitverantwortung liegt hier auch beim regierenden Präsidenten Obama. Er hat davor zurückgeschreckt, über die Bedrohung durch den radikalen Islam zu reden. Aus Angst, dass dadurch der Islam per se verteufelt wird oder der „Islamophobie“ bezichtigt zu werden. Doch die Menschen wollten einen Präsidenten, der ehrlich über die ideologischen Wurzeln des Terrorismus mit ihnen redet. Die Demokraten und Hillary Clinton haben während der Wahlkampagne in dieser Hinsicht ebenfalls nicht viel unternommen. Für das Wahlresultat war das sehr entscheidend. Der französische Premierminister Manuel Valls hat seinen Finger auf einen wunden Punkt gelegt, als er sagte, dass wir uns im Krieg mit dem radikalen Islam befinden. Das war keine Kriegserklärung, wie ihm häufig unterstellt wurde, sondern lediglich eine Feststellung. Es ist höchste Zeit, auf Autoren wie Bassam Tibi, Boualem Sansal oder den verstorbenen Fouad Ajami zu hören. Sie haben den Unterschied von Islam und Islamismus herausgearbeitet und schrecken nicht davor zurück, über Antisemitismus auch in einem arabischen, iranischen oder islamischen Kontext zu sprechen. Wir brauchen eine solche Ehrlichkeit heute. Denn wenn sich die politische Mitte vor solchen Feststellungen scheut, dann wird das Marine Le Pen für sich zu nutzen wissen.

Also hat Trump auch ein bisschen Recht?

Nein. Zwar hasst Trump den radikalen Islam, den Hitler als autoritäre Ideologie immer bewundert hat. Doch Trump ist ein Verschwörungstheoretiker. All diese Geschichten, dass Obama nicht in den USA geboren sei oder dass die Muslime in den USA bei den Anschlägen vom 11. September vor Freude in die Luft gesprungen seien bis hin zu seinen jüngsten Äußerungen, wonach Millionen von illegalen Einwanderern an den Präsidentschaftswahlen teilgenommen hätten, sind nicht nur falsch, sondern enthalten die Behauptung, wonach eine Verschwörung im Gange sei. Wenn er auch als Präsident der Vereinigten Staaten so weitermacht, wird er seine Glaubwürdigkeit zerstören. Die Ironie des Ganzen ist, dass Trump die Philosophie der Postmoderne in Massenkultur verwandelt hat. Jeder hat seine eigene Erzählung mit einer inhärenten Wahrheit, es gibt weder Fakten noch beweiskräftige Sachverhalte, Wahrheit ist durch Macht definiert, es ist, als ob die Theorien von Jacques Derrida und Michel Foucault zur gesellschaftlichen Handlungsanleitung würden – nicht dass die beiden darüber glücklich wären.

Um eine auf Verschwörungstheorien basierende alternative Realität zu schaffen, musste Hitler die Weimarer Demokratie zerstören, die Oppositionsparteien und die freie Presse zerschlagen. Ein spezifisches Merkmal unserer Zeit ist es, dass aufgrund des Kabelfernsehens und der sozialen Medien wie Twitter und Facebook nicht erst eine Diktatur errichtet werden muss, um ein Massenpublikum für Verschwörungstheorien zu schaffen. Einer Vielzahl von Menschen ist es heute möglich, ernsthaften und faktenorientierten Journalismus zu ignorieren, die „Mainstream-Medien” abzulehnen und in einer alternativen Realität zu leben, die sich aus im Internet fortgeschriebenen Verschwörungstheorien speist. Dies stellt eine gravierende Erosion der Sphäre der Öffentlichkeit dar, wie sie für liberale Demokratien seit dem 19. Jahrhundert bestimmend war. In dieser neuen Situation wird die politische Mitte auf beiden Seiten des Atlantiks hart darum kämpfen müssen, die grundlegende Geltung von Faktum und Beweis zu restituieren und wieder eine tragfähige Sphäre der Öffentlichkeit herzustellen.

Trumps Wille, den größten Nonsens für bare Münze zu nehmen, macht ihn für Millionen von Menschen attraktiv. Als Historiker finde ich das besonders verstörend. Wenn sich diese Haltung verbreitet, gibt es keinerlei Grund mehr, irgendetwas von dem ernst zu nehmen, was wir Historiker schreiben: „Ihr mit euren Fußnoten und euren Archiven – das ist bedeutungslos; ihr seid einfach nur Lügner und pickt euch die Sachen heraus, die eurer Meinung entsprechen!“ Eine solche Haltung stellt nicht nur die Arbeit der Universitäten in Frage. Jeder, der zwischen Faktum und Lüge unterscheiden will, ist davon betroffen. Davon auszugehen, dass man den Nachweis führen kann, die Erde sei rund und nicht flach, dass dies keine Meinung, sondern eine Tatsache ist – all dies steht dann zur Disposition. Und dagegen müssen wir uns wehren.


Jeffrey Herf ist Historiker und Inhaber des Lehrstuhls für moderne europäische Geschichte an der Universität von Maryland. Er ist spezialisiert in moderner deutscher Geschichte, hat vor allem zur Geschichte des Nationalsozialismus und Antisemitismus publiziert und sich dabei auch die Frage nach dessen Fortwirken gestellt. Zu den zahlreichen Büchern, die er geschrieben hat, zählen die Werke „The Jewish Enemy: Nazi Propaganda during World War II and the Holocaust“ (2006) sowie jüngst „Undeclared Wars with Israel: East Germany and the West German Far Left, 1967-1989“ (2016). Vor den US-Präsidentschaftswahlen hat Herf mehrere Analysen zu Person und Politik Trumps veröffentlicht, darunter eine Diskussion von Parallelen und Unterschieden zwischen Trump und den historischen Faschisten, die unter dem Titel „Is Donald Trump a Fascist?“ in der Zeitschrift „The American Interest“ erschienen ist.


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