Elbphilharmonie in Hamburg
: Eingegipster Wohlklang

 

Nach knapp zehn aufregenden Jahren Bauzeit findet am 11. Januar in der Hamburger Elbphilharmonie das Eröffnungskonzert statt. An der Akustik wird bis zuletzt gefeilt.

Fotos: Andreas Lorenz-Meyer

Würde jetzt draußen auf der Elbe das Schiffshorn eines Ozeanriesen dröhnen, man bekäme hier drinnen nichts davon mit. Der Große Saal ist von zwei Betonschalen umgeben, und zwischen denen sitzen Stahlfederpakete, die jeglichen Hafenkrach daran hindern, in das Herzstück der Elbphilharmonie zu gelangen. Störende Geräusche von außen sind also ausgeschlossen.

Aber natürlich geht es bei einem Konzerthaus wie diesem vor allem um den Schall, der im Raum erzeugt und vom Publikum als Wohlklang wahrgenommen wird. Für diesen ist der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota verantwortlich, der einen Schallreflektor hat einbauen lassen. Wie ein Ufo hängt die Konstruktion unter der 25 Meter hohen, zeltartig sich zuspitzenden Decke des Saals und sorgt dafür, dass sich der Schall nicht in der Spitze verliert. Und dann sind da noch die Wände, die „akustische Relevanz“ haben, wie es Tom Schulz, Pressesprecher der Elbphilharmonie, ausdrückt.

Akustik wie in Epidauros

Alte Konzertsäle haben ja deswegen eine so gute Akustik, weil sie voller Stuckverzierungen, Putten und Leuchter sind. Dinge, die eigentlich ornamentalen Zwecken dienen, dem Schall aber auch jede Menge Gelegenheit bieten, sich zu brechen. Darum ist der Große Saal mit Gipsfasern verkleidet. Man spricht hier im Haus von der „weißen Haut“. Schulz steht ziemlich weit oben auf der Tribüne vor einem Stück dieser weißen Haut, die mit lauter kleineren und größeren Einbuchtungen versehen ist. „Diese Einbuchtungen reflektieren den Schall in vielerlei Richtungen. Sie verteilen ihn auf möglichst natürliche Weise. Sehen Sie hier: Selbst in den Einbuchtungen ist die Oberfläche nicht glatt, sondern profiliert. Das bringt noch mehr akustische Feindifferenzierung. Und hat Kosten gespart, weil man nicht extra ausfräsen musste. Ein schöner Nebeneffekt.“

Insgesamt 11.000 Gipspaneele kleiden den Saal aus, den gerade ein Kontrabassist mit seinem Instrument auf dem Arm betritt. In einer Stunde beginnt die Probe. Die Musiker sind hingerissen von der Akustik, sagt Schulz, weil sie ihr Zusammenspiel erleichtert. Die Bassgruppe sieht die ein ganzes Stück entfernte Harfe nicht nur, sondern hört sie auch, so Schulz. Die Musiker können also hörend auf das reagieren, was im Orchester passiert. Der Konzertsaal eifert einem antiken Vorbild nach, dem Amphitheater von Epidauros. Dort, so heißt es, habe man auf jedem Platz klar und deutlich ein zu Boden fallendes 100-Drachmen-Stück hören können. Zweites Vorbild: moderne Fußballstadien, die die Zuschauer ganz nah heranholen ans Geschehen. Entsprechend steht die Bühne in der Mitte des Saals, umgeben von den Zuschauerrängen für 2.100 Personen. In den mit grauem Stoff bezogenen Sitzen lassen sich bestimmt auch längere Aufführungen gut überstehen.

Dass sie auch in ein Kino passen würden, ist kein Zufall. Man soll bei der Bestuhlung nicht gleich an klassische Musik denken, schließlich wird hier neben Beethoven und Mozart ab und an auch Jazz zu hören sein. Im Januar etwa spielt der US-Musiker Brad Mehldau. Experimentelle Töne gibt es beim Auftritt der Einstürzenden Neubauten. Bei solchen Konzerten mit elektrisch verstärkter Musik werden dann Stoffsegel aus dem Boden gefahren, die den Schall schlucken statt ihn zu reflektieren. Das Konzerthaus zeigt sich sehr offen für Klänge jenseits des Klassischen. Bei Heavy Metal ist aber die Grenze erreicht, versichert Schulz.

Wahrzeichen der Hafenstadt

Die Elbphilharmonie liegt an exponierter Stelle. Sie bildet die Westspitze der Hafencity, des neuen Hamburger Stadtviertels. 1875 wurde hier, im Sandtorhafen, der Kaispeicher A gebaut. Bis in die 1990er-Jahre lagerte man darin Kakao, Tabak und Tee. Auf dem Backsteinbrocken sitzt nun der spektakuläre Neubau. Am besten nähert man sich ihm auf dem Wasser. Ab Landungsbrücken tuckert die Fährlinie 72 hinüber. Mit einem Zwischenhalt im Industriegebiet an der Südseite des Flusses.

Während der Fahrt kann man das Gebäude aus verschiedenen Winkeln betrachten. Das Dach ist, passend zur maritimen Umgebung, wellenförmig. Die Fassade besteht aus gebogenen und bedruckten Glaselementen. Ein wenig erinnern sie an vereiste Autoscheiben, die man freigekratzt hat. Der optische Effekt kommt von den Folien, die in der Verglasung stecken. Sie halten Sonneneinstrahlung ab, sodass sich das Gebäude nicht so stark aufheizt. Auch der ungewöhnliche Grundriss ist von der Fähre aus gut zu erkennen. An der Ostseite breit aufgestellt, wird die Elbphilharmonie nach Westen hin immer schmaler. Es fehlt nicht viel und aus ihr würde ein Dreieck. Mehr Platz zum Bauen gab es auf dem auf drei Seiten vom Wasser umgebenen Stückchen ehemaliger Industriehafenfläche einfach nicht. Die Architekten, Herzog & de Meuron aus Basel, mussten in die Höhe gehen.

Vom Eingang an der Ostseite geht es in gemächlichem Tempo eine langgezogene, gebogene Rolltreppe hinauf zur Plaza, der auf 37 Metern gelegenen Aussichtsplattform. Die Fahrt dorthin hat fast etwas Feierliches, und das war auch so beabsichtigt. Man braucht sich nur vorzustellen, dass einen ein schnöder Aufzug heraufhievte! Die Plaza ist frei zugänglich, man kann außen um das ganze Gebäude herumgehen, zu den Hamburger Kirchtürmen hinüberblicken oder kilometerweit die von Kränen gesäumte Elbe hinunter. Wer Musik hören will, schlendert über geschwungene Treppengänge weiter zum Großen und Kleinen Saal. Die Foyers, die man dabei durchquert, liegen versetzt übereinander, wie gestapelt. Überall öffnen sich Durchblicke zu anderen Ebenen. Tragende Säulen, mal dicker, mal dünner, sind zum Teil schief zwischen Boden und Decke eingesetzt. Warum, erklärt Enno Isermann von der Hamburger Kulturbehörde: „Dadurch wird das Gesamtgewicht des Gebäudes, etwa 200.000 Tonnen, auf die 1.745 Gründungspfähle im Fundament und auf die Treppenhaus- und Aufzugskerne verteilt. Die tragen den größten Teil des Gewichts.“

Viel Stoff für Schlagzeilen hat Hamburgs neue Attraktion lange Zeit geliefert. Die Baukosten liefen aus dem Ruder. 789 Millionen Euro sind es am Ende geworden, inklusive Hotel und Parkhaus, ohne die 45 Privatwohnungen im Westteil des Gebäudes. 789 Millionen, ein Vielfaches der anfangs veranschlagten Summe. Wobei Isermann betont, dass der erste Beschluss der Hamburger Bürgerschaft 272 Millionen vorsah. „Die 77 Millionen Anfangssumme, die immer genannt werden, hören wir nicht so gerne. Diese beziehen sich auf eine sehr frühe Kostenschätzung, in der man noch davon ausging, dass Hotel und Parkhaus privat finanziert werden.“ Aber von 272 auf 789 Millionen zu kommen, sei natürlich auch kein planerisches Glanzstück. Bauliche Faktoren hätten bei der Kostenexplosion eine Rolle gespielt. Unter anderem der schlickige Untergrund und das gewaltige Gewicht des Konzerthauses.

Viel Geld, viel Gegenwert

Vor allem lag es aber an der „schlechten Vertragsstruktur am Anfang“, gibt Isermann zu. Man habe zu bauen begonnen, als die Planung noch nicht so weit war, dass man guten Gewissens hätte anfangen können. Deswegen gab es den Streit mit dem Bauunternehmen Hochtief. Es hat viele Plankonkretisierungen der Stadt als Planänderungen verstanden, so Isermann. Die Fertigstellung wurde mehrmals verschoben. Zwischendurch stellte Hochtief die Arbeiten am Dach wegen Sicherheitsbedenken sogar ein. Im April 2013 ordnete die Stadt das Projekt dann organisatorisch und finanziell neu. Isermann: „Seitdem läuft es gut. Es ist bei den 789 Millionen geblieben.“

Letzte Station: der Kleine Saal, für Kammermusik oder Liederabende gedacht. Maximal 550 Zuschauer finden hier Platz. Akustisch folgt er dem Schuhschachtelprinzip. Die Wandverkleidung ist aus französischer Eiche von der Loire. Eine elegante Lösung, an Sandriffelungen erinnernd. Allerdings stehen Baugerüste an der Längsseite des Raumes, ein Radio dudelt. Es muss jetzt, wenige Wochen vor der Eröffnung, noch nachgebessert werden. Der Akustiker Toyota hat den späten Eingriff veranlasst. Mehrere Paneele, die vorher gerade in der Wand saßen, mussten herausgenommen und um zehn Grad gedreht werden. So soll sich der Schall noch besser im Raum verteilen. Bis zuletzt wird in der Elbphilharmonie am perfekten Sound gearbeitet.

www.elbphilharmonie.de

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